Er, den wir in diesem Artikel Milan nennen werden, wäre gern Sportlehrer. Eigentlich ist er das schon. Seit neun Jahren unterrichtet Milan in der Stadt Zürich Primarschülerinnen und Sekschüler. Allerdings nur an Privatschulen. An öffentlichen Schulen darf Milan nicht tätig sein. Denn: Die Schweiz anerkennt sein Lehrerdiplom aus Nordmazedonien nicht. Und das, obwohl Milan schon seit zwei Jahren alles in seiner Macht Stehende tut, damit er offiziell unterrichten darf.
Inzwischen ist Milan mit den Nerven am Ende. Er sagt: «Egal, was ich tue, ich komme nicht vom Fleck.» Dabei könnte es, wenn es nach ihm geht, so einfach sein. 2005 schloss er im Alter von 25 Jahren erfolgreich sein Studium an der Universität Skopje ab. Diplomierter Professor für Sportkultur lautet danach seine Bezeichnung. Nach seinem Abschluss kommt Milan in die Schweiz, wo er zunächst als Skilehrer und im Service tätig ist.
2014 beginnt er erstmals als Sportlehrer an einer Privatschule. Ein Beruf, den er liebt. «Die Kinder haben Freude. Meine Arbeitgeber sind zufrieden mit mir», sagt Milan. Erst vor zwei Jahren, als er eine Stelle bei einer öffentlichen Schule annehmen möchte, merkt er, dass sein nordmazedonisches Diplom zuerst anerkannt werden muss. Und zwar von der EDK, der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektorinnen und -direktoren. Damit beginnt ein langer, mühsamer Weg, der noch immer nicht zu Ende ist.
Im Juni 2021 reicht Milan sein Gesuch um Anerkennung seines ausländischen Sportlehrerdiploms ein. Drei Monate später, im September, kommt die Antwort der EDK: «Für eine Antragsberechtigung bei der EDK muss im Herkunftsland, in Ihrem Fall Nordmazedonien, eine vollumfängliche und uneingeschränkte Lehrbefähigung für die öffentliche Schule vorliegen.» Er aber verfüge nicht über die verlangten Diplome, behauptet die EDK. Denn die Fachprüfung «strucen ispit» – zu Deutsch: Berufsprüfung – fehle.
«Die EDK argumentiert nun, dass ich meine Ausbildung als Sportlehrer nicht abgeschlossen habe. Aber das stimmt nicht», sagt Milan. Sein Diplom von der Universität hat er im Sack und kann es vorweisen. Mit diesem gilt man in Nordmazedonien als ausgebildete Lehrperson. Vom nordmazedonischen Staat hat Milan sogar extra eine diesbezügliche Bestätigung eingefordert, erhalten und der EDK zukommen lassen. Doch die EDK hat ihn mit derselben Antwort wie zuvor abgespeist: Er brauche die Prüfung.
Milan glaubt, dass es sich um ein Missverständnis handelt. Dass die EDK das Schulsystem in Nordmazedonien vielleicht nicht gut genug kennt. Denn jenes sieht vor, dass Lehrpersonen nach ihrem Uniabschluss ein Jahr lang ein befristetes Arbeitsverhältnis haben. Sozusagen eine Probezeit. Nach diesem Jahr müssen sie die besagte Berufsprüfung absolvieren, um eine Festanstellung zu erhalten. Geprüft wird darin lediglich das Wissen über das nordmazedonische Schulsystem.
«Es ist also eine Prüfung, die erstens nichts mit meinem Diplom zu tun hat, zweitens mir nichts bringt, wenn ich in der Schweiz unterrichte, und drittens eine Prüfung, die ich gar nicht absolvieren darf», sagt Milan. Er hat nämlich, abgesehen von Praktika während des Studiums, nie in Nordmazedonien unterrichtet. Um die Prüfung überhaupt absolvieren zu dürfen, müsste er zuerst ein Jahr in Nordmazedonien arbeiten. Genau diesen Weg schlägt ihm die EDK vor. Doch für Milan kommt diese Option nicht in Frage. Er ist verheiratet, hat zwei Kinder, ist eingebürgert. Sein Lebensmittelpunkt: die Schweiz.
In ihrer Antwort weist die EDK ausserdem darauf hin, dass sein Gesuch um die Diplomanerkennung noch gar nicht materiell geprüft wurde, da er ohne die Berufsprüfung «formell nicht antragsberechtigt» sei. Erst wenn er eine Antragsberechtigung habe, die Kanzleigebühr von 1000 Franken bezahlt und alle Unterlagen vorliegen würden, würde eine Expertenkommission sein Gesuch tatsächlich inhaltlich prüfen.
Heisst: Die EDK hat Milans Gesuch gar nie wirklich bearbeitet, sondern direkt abgelehnt. Eine Ablehnung, die auch nicht anfechtbar ist. Für Milan eine Pattsituation. Also sucht er sich Hilfe bei seinem Arbeitgeber, einer Privatschule. Diese unterstützt ihn dabei, eine offizielle Einschätzung der ETH Zürich zu erhalten, die bestätigt, dass seine Ausbildung gleichwertig ist wie die frühere Turn- und Sportlehrerausbildung I und II an der ETH. Und auch die anderen Schulen, bei denen Milan angestellt ist, machen sich für ihn stark, schreiben lange Empfehlungsschreiben für ihn.
Mit all diesen Unterlagen und der Bestätigung des nordmazedonischen Staats, dass die besagte Prüfung nichts mit der Gültigkeit seines Diploms zu tun hat, stellt Milan im Dezember 2022 ein weiteres Gesuch. Es ist Februar 2023 als die Antwort der EDK vorliegt. Und sie zeigt: Milans Bemühungen haben nichts gebracht. Die EDK hält an der Ansicht fest, dass er die Bedingungen, um sein Gesuch prüfen lassen zu dürfen, nicht erfüllt. Seine Dokumente haben sie noch immer nicht angeschaut.
«Ich weiss nicht, was ich noch tun kann. Ich will doch einfach nur Sportlehrer sein», sagt Milan. Es herrsche Lehrpersonenmangel. Immer wieder werde er von öffentlichen Schulen für Vollzeitstellen angefragt. Und immer wieder müsse er ablehnen. «Währenddessen arbeite ich an drei Privatschulen in kleinen Pensen und muss nebenbei immer noch im Service arbeiten, damit meine Familie über die Runden kommt.»
Wie der Kanton Zürich diese Woche mitteilte, starten in das neue Schuljahr insgesamt 620 Lehrpersonen ohne abgeschlossenes Lehrdiplom. Und 46 Lehrpersonenstellen sind noch immer offen.
Die ständige Unsicherheit macht Milan fertig. Zwei Jahre geht das Hin und Her mit der EDK nun schon. In diesen zwei Jahren ist die EDK kein einziges Mal auf seine Argumente eingegangen. Und hat auch kein einziges Mal das Bildungsministerium Nordmazedoniens kontaktiert, um allfällige Missverständnisse zu klären. Milan weiss das. Er hat selbst angerufen.
Auf Nachfrage bei der EDK heisst es, man könne keine Angaben zu einem spezifischen Gesuchsteller machen. Und weiter: «Die Abteilung Diplomanerkennung des Generalsekretariats (GS EDK) hat Zugang zu zahlreichen Datenbanken (europäische und internationale) über ausländische Schulsysteme und die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer. Bei Bedarf werden die zuständigen ausländischen Behörden im konkreten Einzelfall direkt kontaktiert.» Bedarf schien in Milans Fall wohl nicht da gewesen zu sein. Die EDK schreibt:
Bei der EDK sind im Jahr 2022 1559 Gesuche von Lehrpersonen mit ausländischem Diplom eingegangen. Die EDK überprüfte davon nur 1109 Gesuche. 450 fielen gemäss ihres Jahresberichts entweder nicht in ihre Zuständigkeit oder konnten keine Antragsberechtigung vorweisen. So wie Milan, dessen Gesuch die EDK sich materiell zu prüfen weigert, geht es darum womöglich noch vielen anderen Lehrpersonen in der Schweiz.
Genau darum meldete sich Milan mit seiner Geschichte bei watson. Er kennt andere Lehrpersonen aus Nordmazedonien, die bei der EDK aus denselben Gründen nicht weiterkommen. Trotz Diplom. «Ich verstehe einfach nicht, warum uns Steine in den Weg gelegt werden, wenn gleichzeitig ein Schreiner ohne Diplom Mathematik unterrichten darf», sagt Milan. Es geht ihm auch um die Schülerinnen und Schüler. Und die unterbelegten Schulen. «Wir könnten die Schulen entlasten.»
Ein ähnlicher Unsinn ist der numerus clausus bei Medizinern, welcher das Angebot künstlich verknappt und damit auch die Löhne hochtreibt.