Die Geister in der Zürcher SP-Basis scheiden sich. Die einen sind begeistert ob der Aussicht, dass der weltgewandte Noch-Botschafter Tim Guldimann im Herbst auf der SP-Liste für den Nationalrat kandidieren will. Andere sind skeptisch. Denn der politische Quereinsteiger habe sich zuletzt nicht gross um Zürich gekümmert, heisst es. «Er könnte auch in einem anderen Kanton kandidieren», sagt einer. Zu reden gibt aber auch: Der Diplomat, der noch bis Ende Mai als Schweizer Botschafter in Berlin arbeitet und dann in Rente geht, fliegt für seine Auftritte in der Schweiz häufig an.
Etwa einmal pro Woche, wollen Beobachter registriert haben, treffe der Wahlberliner und Auslandschweizer aus der Luft in Zürich ein. Im rot-grünen Lager, das Umweltschutz grossschreibt, stösst das auf einiges Stirnrunzeln. «Natürlich würde ich nie mit dem Flugzeug irgendwo hinpendeln», staunt etwa Elena Marti, die Co-Präsidentin der Jungen Grünen Zürich. «Bedauerlicherweise jetten viele Europäerinnen und Europäer herum, als wären sie mit dem Velo unterwegs.»
Tim Guldimann bestätigt auf Anfrage: «Ich fahre im Moment im Zusammenhang mit meiner Kandidatur von Berlin oft nach Zürich. In der Regel mit dem Flugzeug. Wenn es geht, mit dem Nachtzug.» Diese Reisen bezahle er selbstverständlich selbst. Offen räumt er ein: «Ja, diese Reisen mit dem Flugzeug sind aus ökologischer Sicht problematisch.»
Aber es gehe unter den gegebenen Umständen nicht anders: «Ich finde es wichtig, dass sich Auslandschweizer in unserer Politik direkt engagieren. Wenn ich es tue, muss ich reisen, schon für den Wahlkampf und, wenn ich gewählt werde, auch danach.» Und er sagt ohne Umschweife: «Wenn man das ökologisch nicht akzeptiert, soll man mich nicht wählen. Das verstehe ich.» Umweltschutz liege ihm am Herzen, sagt der Botschafter: «Als ich zehn Jahre in Bern lebte, hatte ich kein Auto. Jetzt in Berlin fahre ich Auto, vor allem wegen der Familie.»
Und er sagt noch von sich aus: «Wenn Sie mich fragen, ob ich manchmal auch unnötig herumfahre, dann gebe ich zu: Ja.» Auf die Frage, ob er nach einer allfälligen Wahl in die Schweiz ziehen würde, winkt Guldimann ab: «Nein, ich würde auch bei einer Wahl nicht in die Schweiz ziehen.» Denn er kandidiere als Auslandschweizer. «Meine Familie lebt in Berlin. Meine Frau ist hier berufstätig, sie ist Journalistin. Meine Kinder gehen hier zur Schule.»
Klar sei aber auch: «Während der Sessionen würde ich unter der Woche aber in der Schweiz wohnen.» Alles gut und recht, meint Nationalrätin Regula Rytz, Co-Präsidentin der Grünen Schweiz. Aber sie sagt: «Ich erwarte von einem SP-Mitglied, dass es den Nachtzug nimmt.» Wenn er von Berlin in den Nationalrat wolle, dann solle er den Zug nehmen, findet die Grüne ungerührt. «Die Verbindung nach Berlin ist sehr gut. Ich bin schon x-mal mit dem City Night Line gefahren.
Man reist ganz entspannt und kommt am Morgen gut geschüttelt an.» Guldimann spielt die Grünen-Kritik zurück: «Dann freue ich mich, dass sich auch die Grünen dafür einsetzen, dass der Nachtzugverkehr mit Deutschland nicht eingeschränkt wird. Er ist gefährdet», sagt der Noch-Botschafter. Er weiss, wie man sich wehrt: Im Aussendepartement war er der Mann für heikle Missionen, zuletzt noch letztes Jahr als Sondergesandter in der Ukraine.
Am Samstag, 30. Mai, soll der Diplomat von der Zürcher SP nominiert werden für Nationalratswahlen. «Ich habe Ende Mai meinen letzten Arbeitstag als Botschafter in Deutschland. Am Tag danach entscheidet die Partei über die Kandidatenlisten. Ich bin dann pensioniert.»
Guldimann wird die Nomination gemäss allgemeiner Einschätzung schaffen. Er würde sich freuen, macht er klar: «Ich bin Zürcher. Meine Wahl wäre für mich auch eine Rückkehr zur Schweiz und zu meiner politischen Identität. Ich fühle mich nebst den Auslandschweizern auch meinem Kanton verpflichtet.»