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Parteien im Profil: Warum die SP mit ihrem Gutmenschen-Kurs immer verliert

Jacqueline Fehr, Cédric Wermuth und Christian Levrat am Programmparteitag 2010 in Lausanne, an dem sich die Parteilinke durchsetzte. 
Jacqueline Fehr, Cédric Wermuth und Christian Levrat am Programmparteitag 2010 in Lausanne, an dem sich die Parteilinke durchsetzte. Bild: KEYSTONE

Parteien im Profil: Warum die SP mit ihrem Gutmenschen-Kurs immer verliert

Die SP ist die Partei der Bessermenschen und schadet sich damit selbst. Zu oft frönt sie ihren idealistischen Reflexen, statt sich mit einem «Kuhhandel» zu begnügen.
03.09.2015, 10:2804.09.2015, 13:07
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Was macht die Sozialdemokratie aus? Parteipräsident Christian Levrat umschreibt es mit einem prägnanten Satz: «Wir stehen einerseits für hohe Ideale und andererseits für pragmatische Schritte», sagte der Freiburger Ständerat an der Medienkonferenz zum Wahlkampfauftakt der SP Schweiz. Das Wahlprogramm ist ein Abbild dieses Anspruchs: «Faire Löhne, bezahlbare Wohnungen und sichere Renten für alle statt für wenige.» So weit, so vernünftig.

In der öffentlichen Wahrnehmung aber ist die SP weniger eine lösungsorientierte Partei als eine Klassenkämpferin, die überrissene Initiativen lanciert oder mitträgt und damit an der Urne massiven Schiffbruch erleidet. Zuletzt etwa mit der 1:12-, der Mindestlohn- oder der Erbschaftssteuerinitiative. Und wenn sie es mit einer vernünftigen, pragmatischen Vorlage versucht, scheitert sie ebenfalls, weil sie den allgemeinen Leidensdruck masslos überschätzt. Bestes Beispiel ist die Einheitskrankenkasse.

Christian Levrat muss das Nein zur Erbschaftssteuerinitiative erklären.
Christian Levrat muss das Nein zur Erbschaftssteuerinitiative erklären.Bild: KEYSTONE

In solchen Fällen muss Christian Levrat hinstehen und erklären, warum seine Partei vom Volk einmal mehr verprügelt wurde. Diese Bilder zementieren das Image der SP Schweiz als linkste Sozialdemokratie Europas. Als Partei, die der Taube auf dem Dach nachjagt, statt sich mit dem Spatz in der Hand zu begnügen. Als politische Kraft, der die reine Lehre wichtiger ist als der «faule» Kompromiss. Lieber verlieren und sauber bleiben, als «dreckig» siegen.

Wenn das Volk ihnen nicht folgen will, reagieren viele Sozis entsprechend ungehalten, mit Empörung oder weinerlicher Quengelei.

Dieses Image mag unfair sein, doch die SP betreibt ähnlich wie ihre «Erzfeindin» SVP eine paradoxe Politik: Sie setzt sich ein für die «kleinen» Leute, die sie zu einem grossen Teil an die SVP verloren hat, lässt sich aber von Gutsituierten wählen: Staatsangestellten – früher eine Klientel der FDP – und Mittelständlern mit sozialem Gewissen, denen es nichts ausmacht, dass die SP ihnen das Geld aus der Tasche ziehen will. Während der Mindestlohn von jenen Leuten am deutlichsten verworfen wurde, die am stärksten von ihm profitiert hätten – den Geringverdienern.

Solche Widersprüche werden von der Partei mit Vorliebe verdrängt. Das passt zu einem Charakterzug, den viele ihrer Exponenten auf unangenehme Weise zur Schau stellen: Ein Gefühl der moralischen Überlegenheit. Seht her, wir sind doch so sozial, multikulti und weltoffen! Die SP ist nicht die Partei der Gut-, sondern der Bessermenschen. 

Der Mindestlohn wurde von jenen am stärksten abgelehnt, die am meisten davon profitiert hätten.
Der Mindestlohn wurde von jenen am stärksten abgelehnt, die am meisten davon profitiert hätten.Bild: KEYSTONE

Von diesem Gefühl sind sie felsenfest überzeugt, darum sind sie auch so bestrebt, die Menschheit mit Initiativen, Gesetzen und Verboten zu ihrem Glück zu zwingen. Wenn das Volk ihnen nicht folgen will, reagieren viele Sozis entsprechend ungehalten, mit Empörung oder weinerlicher Quengelei. Es gefällt ihnen nicht, wenn ihnen etwa von den Medien kritische Fragen gestellt werden. Was soll das, wir sind doch die Guten?

Eine pragmatische Ausländerpolitik würde bedeuten, dass die SP die Probleme nicht verdrängt, sondern offen anspricht. 

Damit steht sich die SP zu oft selbst im Weg. Das gilt besonders für die Ausländer- und Asylpolitik. Kaum ein Thema löst in der Bevölkerung so grosse Emotionen aus. Die Linke reagiert darauf mit Empörung über SVP-Kampagnen und Belehrungen. Und nimmt es seufzend hin, wenn Nationalkonservative ihr die Schuld an der hohen Zuwanderung in die Schuhe schieben, statt die wahren «Sünder» zu benennen: Die globalisierte Wirtschaft und die neoliberale Tiefsteuerpolitik, die keine Partei so inbrünstig vertritt wie die SVP.

Eine pragmatische Ausländerpolitik würde bedeuten, dass die SP die Probleme nicht verdrängt, sondern offen anspricht. Und sich nicht auf bezahlbare Wohnungen und Jobs für Frauen und ältere Arbeitnehmer beschränkt, sondern heikle Bereiche wie den Verlust an Heimatgefühl nicht ausspart. Doch mit diesem «Schmuddel» will die SP nichts zu tun haben.

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Pascale Bruderer wurde 2011 im Aargau gleich im ersten Wahlgang in den Ständerat gewählt.
Pascale Bruderer wurde 2011 im Aargau gleich im ersten Wahlgang in den Ständerat gewählt.Bild: KEYSTONE

Das gleiche Dilemma zeigt sich beim zweiten grossen Reizthema Europa. Prinzipiell ist die SP für den EU-Beitritt, in der Realität aber ist die einst heisse Liebe erkaltet. Denn ihr Idealbild des Vereinigten Europa hat tiefe Risse bekommen. Auf dem Höhepunkt der Griechenland-Krise kam es aus den Reihen der Schweizer Linken gar zu offen feindseligen Voten an die Adresse der EU. Die Jungsozialisten, die zunehmend den SVP-Stil imitieren, forderten gar die Ausladung von EU-Parlamentspräsident Martin Schulz vom SP-Wahlfest am 12. September in Turgi.

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So dümpelt die SP vor sich hin, sie wird am 18. Oktober weder durchstarten noch abstürzen. Dabei sind ihre populärsten Köpfe zumindest in der Deutschschweiz – die Romandie ist ein Kapitel für sich – ausgesprochene Pragmatiker: Simonetta Sommaruga, Pascale Bruderer, Anita Fetz, Mario Fehr. Bei Wahlen holten und holen sie Stimmen bis ins bürgerliche Lager. 

Das zeigt, was für die SP möglich wäre, wenn sie mehr auf pragmatische Ideen setzen würde, statt ihrem idealistischen Reflex zu frönen. 

«Dreckig» siegen ist meistens besser als sauber verlieren.

Im Callcenter der SP

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Im Callcenter der SP
Die Wahlkampf-Zentrale der SP: Von hier aus werden möglichst viele SP-Wähler angerufen.
quelle: az / roland schmid
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65 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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DerWeise
03.09.2015 15:55registriert Februar 2014
Schöne Analyse. Die SP könnte ihre Stimmen min ver 1.5-fachen, würde sie glaubwürdig Themen ansprechen und Lösungen bieten. Stattdessen macht sie sich, immer wieder getrieben von einer fast kranken Political Correctness zum "nützlichen Idioten" der Wirtschaft und überlässt das Feld der SVP, welche dann beim Normalbürger absahnen kann (ohne jeglichen Nutzen für eben diesen Bürger).
es ist bezeichnend, dass SP-Exponenten, die nicht mehr im Amt sind, eine viel ehrlichere Haltung haben als die jetzigen Millionärsfrauen (sorry musste sein), welche den kleinen Mann verteten sollen. Z.b Ruedi Strahm
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Sapere Aude
03.09.2015 16:25registriert April 2015
Das im Artikel beschriebene Paradoxon besteht innerhalb der sozialdemokratischen Bewegung seit ihrer Gründung (bsp. Sozialdemokratie vs Sozialismus). Das momentane Problem der SP ist die Überidioligiesierung verbunden mit fehlenden Pragmatismus. Pragmatisch denkende Sozialdemokraten wie ich haben in der Partei einen schweren Stand, da alternative Ideen und kritische Stimmen an der Parteilinie kaum tolleriert werden. Es wäre an der Zeit, Marx und Co in die Schublade zu legen und konkrete Lösungen für konkrete Probleme zu entwickeln, weg von Idiologie hin zu einer vernünftigen Politik.
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Crecas
03.09.2015 11:13registriert Februar 2014
Ich finde nicht, dass wenn man statt auf sture Ideologie am Rande des Spektrums auf Pragmatismus setzt, ein Sieg dann "dreckig" wäre.

Pragmatismus ist nicht "dreckig".

Zum Glück haben wir die Mitte, welche ein schöner Ausdruck dieses Pragmatismus ist. Man stelle sich vor wir hätten nur SVP und SP... Dann wär die Situation wohl so verfahren wie in den USA.
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