Die Augen des angeklagten Ertan Y. (Name geändert) sind verbunden. Seine Unterarme liegen in Handschellen und sind an einem Bauchgurt angebunden, seine Knöchel stecken in Fussfesseln. Mit kleinen Schritten betritt er am ersten Verhandlungstag das Gerichtsgebäude. Um ihn herum beziehen Polizisten einer Sondereinheit Stellung; mit vermummten Gesichtern, Helmen, Schutzwesten, Maschinenpistolen.
Der 36-jährige Türke soll gemäss der Basler Staatsanwaltschaft eine bedeutende Rolle in der organisierten Kriminalität innegehabt haben. Er soll als Boss der Motorradgang Hells Angels aufgetreten sein, Anlagebetrug sowie illegales Glücksspiel mitorganisiert, Gefängnisaufseher bestochen und eine 14-Jährige vergewaltigt haben.
Die Staatsanwaltschaft verlangt 16 Jahre Gefängnis, der Verteidiger beantragt fünf Monate bedingt. Am Donnerstag wird das Strafgericht sein Urteil verkünden – und bekannt geben, was mit den beschlagnahmten Gegenständen passiert.
Im Strafverfahren handelt es sich um eine Nebensache, die in der öffentlichen Debatte aber zum Hauptthema wurde. Denn in der Asservatenkammer der Staatsanwaltschaft liegen Luxusuhren, die dem Schweizer Fussballnationaltrainer Murat Yakin und dem Stürmer Breel Embolo gehören.
Ertan Y. bewegte sich nicht nur in einer Schatten-, sondern auch in einer Glitzerwelt. Auf sozialen Medien inszenierte er sich auf einer Jacht und in einem Privatjet, mit edlen Zigarren und teuren Steaks. Er trat zudem als Agent einer Spieleragentur auf und zelebrierte seine Kontakte zu Fussballstars wie Yakin, Embolo und den Xhaka-Brüdern. Auf Instagram dokumentierte er, wie er mit ihnen dinierte, wie sie ihm zum Geburtstag gratulierten oder wie sie an einem Sponsorenanlass zusammenstanden.
Ertan Y. war einer, der überall Geschäfte witterte. So kam es, dass er für einige Fussballer zum Uhrenhändler wurde. Luxusuhren sind für viele ein Statussymbol. In der Garderobe dreht sich das Gespräch gemäss Szenekennern oft darum, wer gerade welche Uhr trage. Anerkennung erhält, wer einen Zeitmesser besitzt, den man nicht beim Bijoutier kaufen kann. Dabei ist es auch üblich, die Uhr, die einem am Handgelenk von Kollegen gefällt, abzukaufen.
Eine solche Trophy-Uhr ist die Rolex Daytona. Die Herstellerin hält das Angebot kleiner als die Nachfrage, um den Wert in die Höhe zu treiben. So wird eine Uhr zur Geldanlage. Wer sie in einer Bijouterie kaufen will, muss sich darum bewerben, um überhaupt auf eine Warteliste gesetzt zu werden. Man gibt ein Versprechen ab, die Uhr ein Leben lang zu tragen.
Es ist wie bei der Motorradgang: einmal Hells Angel, immer Hells Angel. Einmal Rolex, immer Rolex. Und dennoch wechseln viele dieser Uhren ständig die Besitzer. Je seltener das Modell, desto höher der Status des Trägers. An die raren Exemplare kommt man nur über Beziehungen.
Hier kommt Ertan Y. ins Spiel. Er nutzte seine Netzwerke in der Fussball- und Rapszene sowie seine Reichweite auf Instagram mit 50'000 Followern, um Uhren zu vermitteln. Auf vielen Fotos rückte er die Rolex an seinem Arm ins Bild und machte mit dem Hashtag #rolex darauf aufmerksam. Sein Handgelenk wurde zum Schaufenster seines Uhrenhandels.
Yakin lernte den Hells Angel über einen gemeinsamen Bekannten kennen und vertraute ihm vor vier Jahren mehrere Uhren zum Weiterverkauf an. Den Überblick über die Anzahl verlor Yakin. Die Geschäfte liefen informell ab. Die einzigen Belege sind Whatsapp-Chats. Mit dem Erlös wollte Yakin eine goldene Rolex Daytona von Embolo kaufen, die dieser ebenfalls dem Hells Angel anvertraut hatte. Es ist die Uhr, mit der Ertan Y. auf Instagram herumstolziert. Doch der Deal kam nicht zustande.
Im Juni 2021 verhaftete die Polizei Ertan Y. und beschlagnahmte dabei auch die Uhren von Yakin und Embolo sowie grosse Bargeldsummen. Embolo kümmerte sich nicht darum. Yakin aber wollte sein Eigentum zurück.
Über seinen Anwalt verlangte er zuerst von der Staatsanwaltschaft und später vom Gericht sechs Uhren zurück – ohne Erfolg. Das Gericht schickte Yakins Anwalt stattdessen eine Einladung zur Verhandlung und bat ihn, seinen Antrag dort zu stellen. Yakin ging davon aus, dass sich das Problem diskret lösen liesse und seine Rolle im Verfahren nicht publik werden würde.
Doch sein Anwalt trug den Antrag im öffentlichen Teil der Verhandlung vor und musste dabei seinen Auftraggeber offenlegen. So stand Yakin plötzlich im Mittelpunkt des medialen Interesses am ansonsten ereignisarmen Verhandlungsauftakt. Als der Trainer in derselben Woche sein Kader für die Europameisterschaft präsentierte, interessierte seine Hells-Angel-Affäre teilweise mehr als seine Spielerauswahl. Doch Yakin gab sich in dieser Sache wortkarg.
Nun sagt er auf Anfrage von CH Media, wozu dieses Portal gehört: «Ich hatte 2020 keinerlei Kenntnis über die Verfehlungen, welche dem Hauptbeschuldigten nunmehr vorgehalten werden.» Dieser wurde im Jahr darauf verhaftet. «Damals konnte ich nicht wissen, an wen ich meine Uhren aushändige. Hätte ich das gewusst, hätte ich dies nicht getan», sagt er. Die gleichen Worte wählte er in einem Interview mit der «NZZ am Sonntag».
Offenkundig wusste Yakin auch nicht, dass Ertan Y. schon damals ein verurteilter Krimineller war. Mit 16 wurde dieser wegen eines Angriffs verurteilt. Mit 26 sprach ihn ein Gericht schuldig, weil er mehrere Mädchen mit Geld dazu gebracht hatte, mit ihm Sex zu haben. Hinzu kamen Waffen-, Drogen- und Verkehrsdelikte. Mit 30 verprügelte er einen Mann in Basel im Ausgang gemeinsam mit anderen Tätern. Das Opfer erlitt eine Hirnblutung und musste am Kopf operiert werden.
Ertan Y. konnte zwar auch freundlich auftreten. Doch seine Schattenseite war kein Geheimnis. Schliesslich hatte er sie auf seinen Arm tätowiert: HELLS ANGELS. Die Motorradgang zählt sich selber zu den Gesetzlosen.
Von Yakins Forderungen wird das Gericht womöglich einen Teil erfüllen. Denn der Verteidiger des mutmasslichen Schwerverbrechers unterstützt einige davon. Yakin habe Anspruch auf einen Verkaufserlös von 151'000 Franken, den Ertan Y. mit zwei Yakin-Uhren erzielt habe. Zudem solle er eine Uhr zurückerhalten. Die goldene Rolex Daytona solle das Gericht zudem Embolo aushändigen. Diese wird regelmässig für 75'000 Franken gehandelt.
Embolo ist Markenbotschafter der Genfer Uhrenfirma Cvstos. An offiziellen Auftritten trägt er deshalb eine limitierte Version, welche die Firma für ihn kreiert hat, und keine Rolex.
Yakin ist langjähriger Markenbotschafter von Carl F. Bucherer. Die Luzerner Luxusuhrenherstellerin sponserte nicht nur ihn persönlich, sondern auch die Nationalmannschaft. Alle Spieler und Trainer erhielten vor jedem Turnier eine neue Uhr. Sie mussten diese bei offiziellen Nati-Auftritten abseits des Rasens tragen und durften sie als Prämie behalten.
Bei langjährigen Spielern und Trainern häufte sich so eine Uhrensammlung an. Yakin sah darin offenbar auch eine Gelegenheit für einen Nebenverdienst. Mindestens eine Uhr von Carl F. Bucherer übergab er dem Hells Angel zum Verkauf. Sie liegt nun ebenfalls in der Asservatenkammer. Am Donnerstag wird Yakin erfahren, welche Uhren er zurückerhält.
Carl F. Bucherer hatte sich die Zusammenarbeit mit ihrem Markenbotschafter wohl anders vorgestellt. Just bei Yakins Kaderpräsentation für die Euro war die Firma allerdings erstmals nicht mehr dabei. Jörg Bucherer hatte sein Unternehmen im Vorjahr an Rolex verkauft; kurz darauf starb er. Damit endete das Sponsoring. Rolex übernahm den Vertrag nicht. Die Edelmarke gibt ihren Namen nur für Edelsportarten wie Tennis, Golf oder Reiten her. (aargauerzeitung.ch)
Auf dem Unterarm steht gross Hells Angels...