Der erste Tag einer neuen Legislatur. In der Luft liegt freudige Nervosität. Für die 49 neugewählten Mitglieder von National- und Ständerat ist es ein grosser Tag. Fast noch grösser ist der Tag für die Angehörigen, die sie zur Premiere ins Bundeshaus begleiten: Mami und Papi, Söhne, Töchter sowie Ehemann oder Partnerin sind ins Machtzentrum des Landes gekommen. Selbst abgebrühte, langjährige Parlamentarier lässt der Legislaturstart nicht völlig unberührt. Neo-Ständerätin Petra Gössi, immerhin ehemalige FDP-Präsidentin, spricht von einer gewissen Nervosität.
Der grosse Moment muss festgehalten werden. So bittet etwa die neue Nationalrätin und Profi-Cellistin Estelle Revaz (SP/GE) direkt nach Betreten des Bundeshauses einen Journalisten, mit ihrem Handy ein Foto von ihr mit den stolzen Eltern vor dem grossen Weihnachtsbaum zu machen. Mit einem Halstuch haben sich Revaz' Eltern bereits ihre Plätze auf der Zuschauertribüne reserviert. Die Vereidigung ihrer Tochter wollen sie mit ungestörtem Blick verfolgen können.
Dies haben auch die Eltern der St. Gallerin Esther Friedli (SVP) sichergestellt. Schon mehr als eine Stunde bevor die Sitzung des Ständerats eröffnet wird, warten sie auf der Zuschauertribüne über dem noch weitgehend ruhigen Ständeratssaal.
Etwas einsam sitzt dort unten derweil der Zürcher Sozialdemokrat Daniel Jositsch vor seinem Laptop. Vorletzten Samstag hat seine Fraktion in fast nicht zu überbietender Deutlichkeit seinen lange und öffentlich gehegten Bundesratstraum beendet. Von weitem sieht der auf seinem Computer geöffnete Terminkalender recht voll aus, auch wenn Jositsch keine Hearings bestreiten muss.
Freundlich aufgenommen hat die SP-Fraktion die Zürcher LGBTQ-Aktivistin, Influencerin und Autorin Anna Rosenwasser, der auf Instagram 37'000 Menschen folgen. Sie schaffte vom Platz 20 der SP-Liste aus den Sprung auf Platz 8 und somit in den Nationalrat.
Rosenwasser, die bislang noch kein politisches Amt ausgeübt hat, sagt in der Wandelhalle, sie fühle sich sehr wohl unter ihren Parteigenossinnen und -genossen. Als Neugewählte mit eher untypischer Polit-Laufbahn gefalle ihr, «dass ich in der Fraktion weder über- noch unterschätzt werde». Noch ist nicht klar, in welcher Kommission Rosenwasser Einsitz nimmt. Ihre Präferenz wäre die Wissenschafts- und Bildungskommission. «Ich bin gespannt auf die Arbeit in einer Kommission und die vertiefte Auseinandersetzung mit spezifischen Dossiers. Das kenne ich noch nicht.»
Die Verteilung der Kommissionssitze, wessen Wünsche von Partei- und Fraktionsleitung berücksichtigt werden, und wer in einer weniger beliebten Kommission seine Sporen abverdienen muss - das steht dann erst am Dienstag auf dem Programm, an den Fraktionssitzungen. Der Montag ist für die Feiern, das Feierliche reserviert.
Und so darf Gerhard Pfister kurz nach 14.30 Uhr oben auf dem Sitz des Ratspräsidenten als erster mit der Glocke läuten. Als amtsältester Nationalrat ist er der Alterspräsident des Nationalrats. Ausgerechnet Pfister, Mitte-Reformator, Politstar der Stunde, gefragter Philosoph. Ihm fällt das Privileg zu, die erste Rede der Legislatur zu halten, damit einen Grundton zu setzen. Er nutzt die Gelegenheit für eine Ode an die Institutionen: «Die Institutionen sorgen dafür, dass (...) kein Mensch, kein Mitglied des Parlamentes allmächtig werden darf oder es auch nur werden kann», sagte er. Und damit die Botschaft bei allen ankommt: «Das Amt ist wichtig, nicht die Person, der das Volk das Amt befristet geliehen hat.»
So viel Bescheidenheit aus dem Mund des Mitte-Zampanos darf getrost als erste Überraschung der neuen Legislatur gewertet werden.
Während Pfister in seiner Ansprache auf den grossen Schriftsteller Stefan Zweig zurückgreift – er zitiert aus dem Roman «Die Welt von Gestern» –, begnügt sich die Ratsjüngste, die Berner SVP-Nationalrätin Katja Riem, mit einer Anlehnung an Altbundesrat Adolf Ogi. Sie ruft dessen legendäre, «gerufene» Neujahrsansprache vor dem Portal des Lötschbergtunnels in Erinnerung. Statt eines Tannenbäumchens wie weiland Ogi hat die Winzerin Riem einen kleinen Rebstock an ihrer Seite. Dessen drei Ranken widmet sie dem Volkswillen, der Selbstständigkeit und der Innovation. «Die drei Ranken ergeben zusammen einen Rebstock, der gedeihen kann und schon bald erste Früchte tragen wird.» Darauf schenkt sie die Pflanze dem Alterspräsidenten Pfister als Zeichen der Generationenverbundenheit.
Harmonisch geht es weiter mit der Darbietung der Nationalhymne durch einen Chor, kräftig unterstützt von Rechts durch die SVP mit einem deutlichen Diminuendo nach links aussen. Feinere Töne, wenn auch die gleiche Hymne, schlägt sodann ein Trompeter an. Zur Freude und Erbauung des Bundesrates, der in corpore präsent ist. Einmal mehr zeigt sich: Nichts bekommt dem Nationalratssaal so gut wie Musik.
Das weiss auch Eric Nussbaumer. Der Baselbieter Sozialdemokrat wird am Montag mit einem glänzenden Resultat von 180 Stimmen zum neuen Nationalratspräsidenten gewählt. Zur Feier lässt er die «Männerstimmen Basel» einlaufen. Mit dem Lied «O Basel du holtselig Statt» versetzt der Chor die Baslerin Sibel Arslan von den Grünen in Euphorie – und dem Restrat entlockt er einen begeisterten Applaus.
Wo das Baselbiet vorangeht, will Basel-Stadt nicht nachstehen: Kurz nach der Wahl Nussbaumers wird Eva Herzog (SP) drüben in der kleinen Kammer zur Ständeratspräsidentin gewählt - ein Jahr nach ihrer Niederlage bei der Bundesratswahl. Wieder sitzt die Regierung des Kantons Basel-Stadt in corpore auf der Zuschauertribüne, auch die Familie ist zugegen. Dieser Montag ist ein Freudentag: Mit 44 Stimmen wird die SP-Ständerätin glänzend gewählt. Auf der Tribüne applaudiert auch der Basler Regierungspräsident Beat Jans. Er ist in diesen Tagen auf Stimmenfang im Bundeshaus. Gut möglich, dass er in neun Tagen zum Bundesrat gewählt wird - und die Basler, die immer etwas mit Bundesbern fremdeln, sich doch noch mit dem Land versöhnen.
Zunächst steht nun aber Eva Herzog im Scheinwerferlicht. Sie will als Ständeratspräsidentin die Vielfalt der Städte und der Agglomerationen ins Zentrum rücken. Die urbanen Zentren als Impulsgeber, Innovations-, Inklusions- und Wirtschaftsmotoren. Auch sie hat einen Chor mitgebracht, den Basler Beizenchor: «U i ha gmeint, der Tüüfu chäm im Füür und nid im rote Chleid, im rote Chleid» performen die Basler einen Hit von Lo & Leduc. Eva Herzog trägt - natürlich - rot. Was sie ihren Ständeratskollegen wohl auf den Weg geben wollte? Heiter war die Stimmung allemal.