Bundespräsident Johann Schneider-Ammann hat das Zusammenspiel mit der EU mit dem Brettspiel Eile mit Weile verglichen. Verstehen Sie die Spieltaktik der Regierung?
Christoph Blocher: Der Bundespräsident sollte berücksichtigen, was das Stimmvolk am 9. Februar 2014 entschieden hat, statt Eile mit Weile zu spielen. Der Auftritt von Simonetta Sommaruga und Johann Schneider-Ammann an der Pressekonferenz legt den Verdacht nahe, dass der Bundesrat am Gängelband der EU ist. Nähme er den Auftrag ernst, den ihm die Stimmbevölkerung vor gut zwei Jahren erteilt hat, hätte er auf keinen Fall die Ausweitung der Personenfreizügigkeit auf Kroatien beschliessen dürfen. Damit gibt er auf fahrlässige Art und Weise ein wichtiges Verhandlungspfand aus der Hand.
Die Schweiz war unter Zeitdruck, weil die EU die Kroatien-Frage politisch mit der Forschungszusammenarbeit Horizon 2020 verknüpft hat.
Die EU hat die Schweiz mit Horizon 2020 erpresst, der Bundesrat ist darauf hereingefallen. Dieses Abkommen ist für die Schweiz nicht derart wichtig, dass wir uns über den Tisch ziehen lassen sollten.
Um die Masseneinwanderungsinitiative umzusetzen, setzt der Bundesrat auf eine einseitige Schutzklausel, wobei er allerdings nach wie vor eine einvernehmliche Lösung mit der EU anstrebt. Eine erfolgversprechende Strategie?
Eine einseitige Schutzklausel ist zu begrüssen, nur sagt der Bundesrat mit keinem Wort, wie die Schutzklausel ausgestaltet werden soll. Statt die Zuwanderung mittels Kontingentierung und Inländervorrang konsequent zu senken, wie es der Verfassungsartikel 121a verlangt, setzt er uns eine inhaltsleere Vorlage vor. Doch die SVP kauft bestimmt nicht die Katze im Sack.
Tatsächlich ist unklar, wie hoch der Schwellenwert angesetzt würde, der überschritten sein müsste, damit der Bundesrat Höchstzahlen für die Zuwanderung festlegt.
Schon Schwellenwerte widersprechen der Verfassung. Zudem ist zu befürchten, dass der Bundesrat diesen Schwellenwert aus Rücksicht auf die EU so hoch ansetzen würde, dass die Schutzklausel gar nie aktiviert werden muss. Der Bundesrat muss endlich erkennen: Wir sind weder Mitglied der EU noch wollen wir dies werden. Leider ist er auch bereit, ein Rahmenabkommen mit institutionellen Bindungen abzuschliessen und sich fremden Richtern zu unterwerfen. Dies führt in die EU. Aussenminister Didier Burkhalter, der ein grosser EU-Fan ist, macht den Bundesrat in dieser Frage nach wie vor zu einer Mitte-Links-Regierung. Da nützt es wenig, dass die SVP seit Anfang Jahr endlich wieder mit zwei Bundesräten vertreten ist.
Lancieren Sie jetzt eine Durchsetzungsinitiative, um der Masseneinwanderungsinitiative doch noch zum Durchbruch zu verhelfen?
Es bleibt uns nichts anderes übrig, wenn sich Bundesrat und Parlament weigern, die Masseneinwanderungsinitiative inklusive Kontingentierung und Inländervorrang umzusetzen. Für diesen Fall hat die SVP schon vor einem Jahr eine Volksinitiative zur Kündigung des Personenfreizügigkeitsabkommens angekündigt.
Dies würde der Schweizer Wirtschaft allerdings massiv schaden. Denn wegen der Guillotine-Klausel fallen die ganzen Bilateralen I, wenn die Schweiz die Personenfreizügigkeit aufkündigt.
Schon wieder eine Erpressung. Nur: Die EU wird die bilateralen Verträge nie und nimmer aufkünden. Ihre Mitgliedsstaaten nämlich haben an den Verträgen ein grösseres Interesse als die Schweiz. Man sollte nicht vergessen: Die EU-Staaten führen mehr Güter in die Schweiz ein, als wir in die EU exportieren. Und wenn beispielsweise das Transitabkommen fiele und Lastwagen aus der EU keine Waren mehr durch die Schweizer Alpen transportieren dürften, hätte Brüssel ein riesiges Problem. Die Guillotine-Klausel ist nichts mehr als eine leere Drohung der EU.
Sie reden den Wert der Bilateralen klein. Einer noch unveröffentlichten Studie von Economiesuisse zufolge beträgt dieser 4400 Franken pro Kopf.
Ich bin nicht gegen die Bilateralen, aber sie sind nicht überlebenswichtig. Wir müssen uns damit nicht erpressen lassen. Dieses Vertragswerk wird enorm überschätzt. Zur von Ihnen zitierten Studie brauche ich nicht viele Worte zu verlieren: Sie beinhaltet diverse systematische Fehler und blendet Dutzende entscheidende Faktoren aus. Sie ist – wie so viele Studien – politisch motiviert.
Gewähr, mit einer Durchsetzungsinitiative oder einer Initiative zur Kündigung der Personenfreizügigkeit zum Erfolg zu kommen, haben Sie nicht. Von den letzten zehn Volksinitiativen hat die SVP nur deren zwei gewonnen – die Ausschaffungsinitiative vor sechs und die Masseneinwanderungsinitiative vor zwei Jahren.
Ich bin nicht sicher, ob wir eine solche Schlacht um unser Verhältnis zu Europa gewinnen würden. Aber ich bin überzeugt, dass eine Mehrheit des Volkes genug hat von der masslosen Zuwanderung. Ihr endlich Einhalt zu gebieten, ist die dringliche Aufgabe des Bundesrates. Erst recht, weil sich die Wirtschaftssituation in den letzten Monaten massiv verschlechtert hat.
Am vergangenen Sonntag hat die SVP an der Urne eine herbe Niederlage erlitten. Das könnte Ihnen auch bei der grossen EU-Abstimmung blühen.
Nochmals: Es ist stets ungewiss. Aber ich bin zuversichtlich. Mit der verlorenen Abstimmung über die Durchsetzungsinitiative besteht keinerlei Zusammenhang. Bei der Frage über unser Verhältnis zur EU werden die Karten neu gemischt.
Dabei verdanken wir das ganze Schlamassel den unausgegorenen Ideen seiner Partei, denen immer noch viel zu viele auf den Leim gehen.
Die Kartoffeln aus dem Feuer holen müssen dann die anderen.