Die Kampfstiefel glänzen, das Beret sitzt, das Gradabzeichen ist montiert: Für den Fotografen von CH Media posiert Yvette Estermann in ihrem Garten in Kriens LU. Mit Kampfanzug, flankiert von einer Schweizer Fahne. Seit dem 16. Juni trägt die 56-jährige SVP-Nationalrätin einen neuen Titel: Armeeseelsorgerin der Schweizer Armee im militärischen Grad eines Hauptmanns. Die Brevetierung fand in der Pauluskirche in der Stadt Luzern statt. Ab nächstem Jahr wird Estermann Dienst leisten.
Als sie 1993 von der Slowakei in die Schweiz zog, jagten ihr Schweizer Soldaten zunächst einen Schock ein mit ihren in aller Öffentlichkeit um die Schultern gehängten Sturmgewehren. Ist hier Krieg?, fragte sich Estermann. Der Initialschreck wandelte sich rasch in Bewunderung über die Milizarmee, «über das Vertrauen, das ein Staat seinen Bürgern entgegenbringt, sodass sie sogar ihre persönliche Waffen mit nach Hause nehmen dürfen». In ihrer Heimat wäre das unvorstellbar gewesen.
National bekannt wurde Estermann, ausgebildete Ärztin und Hobbyschützin, als sie 2007 für die SVP in den Nationalrat gewählt wurde. Sie fiel auf als Nischenpolitikerin mit patriotischem Flair - dank ihr weht auf dem Bundeshaus dauerhaft die Schweizer Flagge. Nach vier Legislaturen tritt sie diesen Herbst nicht mehr zu den Wahlen an.
Wie ist sie auf die Idee gekommen, eine Karriere als Armeeseelsorgerin anzupeilen? Der «Dosenöffner», wie man im Sportjargon sagen würde, war Ueli Maurer, der in seiner Anfangszeit im Bundesrat als Verteidigungsminister amtete. Während einer Fraktionssitzung erklärte der SVP-Mann, der Armee fehlten Seelsorger. Estermann fand das spannend, hakte das Thema aber ab. Diese Funktion stand für sie ausser Reichweite, da sie weder über eine theologische noch eine militärische Ausbildung verfügte.
Vor drei Jahren nahm sie an der theologischen Fakultät an der Universität Bern ein Studium auf. Sie vertiefte sich nicht nur ins Althebräisch und Altgriechisch, sondern erinnerte sich auch an Maurers Worte: Es mangelt an Armeeseelsorgern. Im Februar 2022 trat sie zu einem Aufnahmegespräch bei Samuel Schmid an, Chef Armeeseelsorge. «Ich wurde auf Herz und Nieren geprüft», erinnert sich Estermann. Sie meisterte ihr Assessment mit Bravour. Armeeseelsorger müssen mit militärischem und theologischem Wissen, aber auch psychologischem und kommunikativem Geschick ausgerüstet sein. Vereinfacht lautet das Anforderungsprofil: Mann oder Frau mit viel Lebenserfahrung, Sozialkompetenz und Empathie.
Armeeseelsorger, im Volksmund auch Feldprediger genannt, leisten pro Jahr 15 bis 25 Diensttage. Sie sind Wegbegleiter von Armeeangehörigen, sie hören zu und sind eine niederschwellige Anlaufstelle für Probleme, die im Militäralltag aufpoppen. Es gibt junge Menschen, die Mühe bekunden, in einem Massenschlag zu übernachten. Andere leiden unter den körperlichen Anstrengungen, fühlen sich von Kameraden gemobbt oder kommen mit dem militärischen Umgangston nicht zurecht. Wenn nötig, schalten Armeeseelsorger den Sozialdienst oder den psychologisch-pädagogischen Dienst der Armee ein.
Gerade die Corona-Pandemie habe der Armee die Wichtigkeit und den Nutzen der Armeeseelsorge bestätigt, sagt Samuel Schmid. Das Bedürfnis nach menschlicher, seelsorglicher Begleitung sei in jener Zeit neu sichtbar geworden. Derzeit zählt die Armee 171 Seelsorger, die meisten sind reformiert oder katholisch, seit 2020 sind auch Seelsorger mit freikirchlichem Hintergrund dabei, im letzten Jahr stiessen jüdische und muslimische dazu. Als Frau gehört auch Estermann zu einer Minderheit. Die Armee plant, die Zahl der Armeeseelsorger bis 2028 auf 242 auszubauen.
Während insgesamt drei Wochen hat Estermann Theorie gebüffelt, Armeeseelsorge in Rollenspielen geübt, Aufgaben gelöst und aufgezeigt, wie sie Armeeangehörige und deren Familie nach schweren Unglücken betreuen würde - Notfallseelsorge ist eine Kernkompetenz. «Es ist wichtig, dass die Direktbetroffenen das Geschehen aufarbeiten können, vielleicht mit einem Ritual. Die Konfession spielt in diesem Moment keine zentrale Rolle. Es muss auch für Atheisten stimmen», sagt Estermann. Natürlich kümmern sich Armeeseelsorger auch um religiöse und spirituelle Bedürfnisse der Soldaten. Estermann weiss, was sie tun wird, wenn sie ein Muslim um Rat zu religiösen Ritualen bittet: «Ich werde den Armeeseelsorger mit muslimischem Hintergrund kontaktieren.»
Die dreiwöchige militärische Grundausbildung, inklusive Umgang mit Pistole, absolvierte Estermann im letzten Sommer in Stans. Sie erfuhr am eigenen Leib, wie hart der Dienst am Vaterland sein kann: bei 35 Grad musste sie einen 2 Kilometer langen Marsch in ABC-Vollmontur (das heisst: auch mit Schutzmaske) meistern. Doch Estermann hatte sich mit Übungen auf die Strapazen vorbereitet. «Ich geriet nie an meine Grenzen.»
Estermann hat für ihr Leben nach der Politik vorgesorgt. Sie will den Master in Theologie ablegen. Ab 2027, so der Plan, wird sie dann als reformierte Pfarrerin im Einsatz sein. (aargauerzeitung.ch)
Na also da erfüllt die gute Frau Estermann leider höchstens einen von drei Punkten...
Uff, die armen Menschen, die seelische Unterstützung suchen und dann an so jemanden geraten... :-/