Müsste man den Beziehungsstatus der SVP und des Klimawandels auf Facebook angeben, es wäre wohl kompliziert. Immer wieder fallen Exponenten der wählerstärksten Partei der Schweiz mit Aussagen auf, die Klimawissenschaftler so wohl nicht unterschreiben würden.
Jüngstes Beispiel ist die SVP-Nationalrätin Yvette Estermann. Am 6. Dezember zitierte sie einen Tweet von Markus Krall. Ein Autor mit «rechten Umsturzfantasien», wie der Spiegel schreibt. In seinem Tweet enthalten: eine Grafik über die Temperaturveränderungen der letzten 9500 Jahre sowie der Satz «Klimawandel gibt es, nur ist er weder neu, noch ‹menschengemacht› #Schwachsinn». Estermann schreibt dazu: «Vielen Dank. Sehr gut dargestellt...!»
Vielen Dank. Sehr gut dargestellt...! https://t.co/I06CMrPZJn
— Yvette Estermann (@Yvette67Yvette) December 6, 2022
Auf der Grafik ist zu erkennen, dass im Vergleich zu vor 9500 Jahren die Welt heute rund ein Grad kühler ist. Das Problem: Die Grafik endet im Jahr 1885. Ausserdem zeigt sie nicht die globalen Durchschnittstemperaturen, sondern Klimadaten eines Bohrkerns aus dem grönländischen Eisschild.
Seit bald 20 Jahren wird die Grafik von verschiedensten Akteuren als Beweis dafür missbraucht, dass es die menschengemachte Erderwärmung angeblich nicht gibt. Es gibt dutzende Faktenchecks zur Fehlinterpretation dieser Daten. Auch der wohl bekannteste Klimaforscher der Schweiz, Reto Knutti, antwortete Estermann mit einem Link zu einem Faktencheck der Uni Bern.
Meine Kolleg*innen von der Uni Bern gehören zu den führenden Forschern die mit Eisbohrkernen arbeiten, und erklären gerne was man daraus ableiten kann. Und was nicht.https://t.co/D5g2HTqAry
— Reto Knutti (@Knutti_ETH) December 6, 2022
Auch von anderen Usern schlägt Estermann ein eisiger Wind entgegen. Ihr wird vorgeworfen, ihre Verantwortung als Politikerin nicht wahrzunehmen.
Liebe Frau Estermann. Sie sind studiert. Da sollte man annehmen dürfen, dass Sie #FakeNews erkennen. Ihre Tabelle von 1885 wird seit Jahren rumgereicht? Kein Wunder werden #Politikerinnen #Politiker nur noch belächelt. Nehmen Sie Ihre Verantwortung wahr & stehen für #Fakten ein.
— DMZ Die Mittelländische Zeitung (@Mittellaendisch) December 11, 2022
Sie haben die Karte keine 2 Sekunden angeschaut, oder? Sie endet - Achtung ⚠️ - 1885. 18-85?! Aber sonst alles i.O.??
— Manuel C. Widmer 🐳 (@mcw_bern) December 6, 2022
Auf Anfrage zeigt sich Estermann gelassen. «Ich habe nicht nachgeforscht. Ich habe den Tweet gesehen und mir gedacht: ‹das ist interessant›.» Die vielen negativen Reaktionen habe sie bis jetzt nicht gesehen. «Ich habe während der Session wirklich anderes zu tun.»
Sie nimmt es mit Humor: «Es ist schön, dass Leute den Fehler bemerkt haben, jetzt konnten sie sich wieder ein wenig aufregen und fühlen sich dann besser. Darüber kann ich lachen.»
Zum Klimawandel hat sie ein ambivalentes Verhältnis. «Ich nehme an, dass es den menschengemachten Klimawandel gibt. Aber geht man mal in den Gletschergarten in Luzern, so sieht man, dass es hier mal Haie, mal eine dicke Eisschicht gab.» Das beweise, dass es auch natürliche Veränderungen gebe. «Wahrscheinlich haben wir an den Veränderungen einen Teil beigetragen. Wie gross dieser aber ist, wissen wir nicht genau.»
Löschen will sie den Tweet nicht. Sie habe keine Zeit, sich intensiver mit dem Thema auseinanderzusetzen. «Das Leben geht weiter», sagt sie.
Die Erderwärmung auch.
Stimmt, ist ja nicht ihr Job sich als Nationalrätin mit den Themen zu beschäftigen welche unser aller Zukunft betreffen - oh Moment 🙈