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Postfinance kündigt einem Schweizer Syrien-Helfer das Konto – weil ihn der «Blick» zu Unrecht als US-Spion verdächtigt hat

Der Schweizer Entwicklungshelfer Oscar Bergamin in Syrien: Postfinance kündigte seiner Hilfsorganisation das Konto. 
Der Schweizer Entwicklungshelfer Oscar Bergamin in Syrien: Postfinance kündigte seiner Hilfsorganisation das Konto. bild: ash-sham Care
«Reputationsrisiken» befürchtet

Postfinance kündigt einem Schweizer Syrien-Helfer das Konto – weil ihn der «Blick» zu Unrecht als US-Spion verdächtigt hat

«Kämpft dieser Schweizer gegen IS?», fragte der «Blick» vor einem Monat, als Oscar Bergamin die Koordinaten von IS-Stellungen auf Twitter stellte. Das ist für die Postfinance Grund genug, Bergamins Syrien-Hilfswerk das Konto zu kündigen. 
24.10.2014, 16:3127.10.2014, 10:11
Rafaela Roth
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Der Gründer von Ash-Sham Care – einer in Syrien aktiven Hilfsorganisation – traute seinen Augen kaum, als er sein Konterfei vergangenen Monat auf der «Blick.ch»-Front entdeckte: Das Boulevard-Blatt vermutete, dass Oscar Bergamin ein «amerikanischer Spion» sei, der «offiziell mit seiner Non-Profit-Organisation Syrern hilft» und «inoffiziell auf Twitter IS-Gefechtsstellungen auffliegen lässt». 

Aus Frust über den IS, der ihm den Weg zu Hunderten notleidenden Syrern versperrt, hatte Bergamin am Abend zuvor die Koordinaten eines IS-Bunkers auf Twitter veröffentlicht. US-Medien sowie der Telegraph nahmen die Geschichte auf.

Einen Tag nach seinem Artikel liess der «Blick» Bergamin Stellung nehmen: «Nein, ich bin kein Spion», sagte er. Die Wellen um die Berichte und Gerüchte legten sich entsprechend schnell. «Der Tweet war unüberlegt», sagt Bergamin heute. 

«Ein amerikanischer Spion?», fragte die Boulevard-Zeitung «Blick» vergangenen Monat. 
«Ein amerikanischer Spion?», fragte die Boulevard-Zeitung «Blick» vergangenen Monat. bild: screenshot/blick.ch

Für Oscar Bergamin hat die Geschichte gröbere Konsequenzen: Einerseits gaben ihn IS-Anhänger per Twitter zur Jagd frei, andererseits kosten sie den Hilfswerkgründer jetzt seine Beziehungen zur Postfinance. 

In einem Brief vom 17. Oktober, der watson vorliegt, schreibt die Postfinance: «Aufgrund von kürzlich in schweizerischen und internationalen Medien publizierten Berichten über die Aktivitäten von Ash-Sham Care haben wir die Geschäftsbeziehung überprüft und sind zum Schluss gekommen, dass Postfinance bei einer Weiterführung der Geschäftsbeziehungen erhebliche Reputationsrisiken drohen könnten». 

Postfinance verweigert Gespräche

Oscar Bergamin ist empört: «Dass die Postfinance unserem Hilfswerk wegen einem Bericht in einer Boulevardzeitung das Konto sperrt, kann ich nicht fassen», sagt er. Auf seine Anrufe bei der Postfinance reagiert zunächst niemand. Als Bergamin ein Treffen vorschlägt, um die Projekte von Ash-Sham Care persönlich vorzustellen, lehnt Postfinance ab. 

Die Postfinance löst eine Geschäftsbeziehung – aufgrund von «Medienberichten».
Die Postfinance löst eine Geschäftsbeziehung – aufgrund von «Medienberichten».bild: watson

«Die Postfinance verfügt über die aktuelle Jahresabrechnung sowie alle nötigen Unterlagen über unsere Aktivitäten», ereifert sich Bergamin. Ash-Sham Care sei vom Finanzdienstleister selber auf Seriosität überprüft worden. 

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«Extreme Gesinnung» oder «unmoralische Praktiken»?

Auf die Anfrage von watson schiebt Postfinance das Bankgeheimnis vor. Auf die Frage, ob die Kontoauflösung aufgrund des Blick-Artikels erfolgte, heisst es lediglich: «Falls Postfinance Hinweise darauf hat, dass das Verhalten, ein bestimmtes Geschäftsgebaren oder eine extreme Gesinnung eines Kunden oder einer Kundin unsere Reputation gefährden könnte, wird diese Geschäftsbeziehung überprüft und wenn nötig beendet.»

Dies könne beispielsweise der Fall sein, wenn das Verhalten eines Kunden illegal sei, sich am Rande der Legalität befinde oder bei unethischen bzw. unmoralischen Praktiken des Kunden.

Syrische Flüchtlingskinder mit dem neuen Schulbuch «Jamil & Jamila» von Ash-Sham Care. 
Syrische Flüchtlingskinder mit dem neuen Schulbuch «Jamil & Jamila» von Ash-Sham Care. bild: ash-sham care

Ob sie Bergamin nun damit eine «extreme Gesinnung» unterstellt – Oscar Bergamin ist vor vielen Jahren zum Islam übergetreten und war Mitglied des Islamischen Zentralrats Schweiz – oder ob sie Beweise für ein illegales oder unethisches Verhalten von Ash-Sham Care hat, will die Postfinance nicht weiter kommentieren. 

Den Schaden hat das Hilfswerk. «Ein Postkonto ist praktisch für die Spendenakquise», sagt Bergamin. Viele Spender würden den klassischen Post-Einzahlungsschein benutzen. 

Hilfswerk setzt sich für die Kinder Syriens ein

Ash-Sham Care («Ash-Sham» ist arabisch für Syrien) verfolgt Projekte im Bereich humanitäre Nothilfe und Wiederaufbau. Gerade wurden der Non-Profit-Organisation zwei Millionen Euro zur Finanzierung durch den von den Amerikanern initiierten und von Deutschland und den Arabischen Emiraten getragenen «Syria Recovery Trust Fund» zugesprochen. 

Ash-Sham Care will eine Landwirtschafts- und eine Mädchen-Schule in Al Altarib im Distrikt Aleppo aufbauen. Vor kurzem hat Ash-Sham Care zudem das Schulbuch «Jamil & Jamila» für und über Flüchtlingskinder im syrischen Camp Bab as-Salaam herausgebracht. 

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8 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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elivi
24.10.2014 19:09registriert Januar 2014
Geil wie seriös postfinance den blick nimmt, fragt sich ob nicht eher den blick als offizielle quelle den ruf der postfinance eher schadet ... ein bischen nachdenken und die postfinance wäre jetzt ned in nem noch grösserem seich
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SandroSommer
24.10.2014 21:43registriert März 2014
Dummer Journalismus schadet. Dumme Entscheidungsträger auch!
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