Das Thurgauer Kantonsparlament hat am Mittwoch die Solidaritätsbeiträge für Opfer der Medikamententests in der psychiatrischen Klinik in Münsterlingen TG gutgeheissen. Die Vorlage war im Rat unbestritten. Der Kanton rechnet mit bis zu 500 Bezugsberechtigten und einem Betrag von 12,5 Millionen Franken.
Der Grosse Rat verabschiedete ein entsprechendes Gesetz in erster Lesung. Anspruch auf finanzielle Entschädigung von je 25'000 Franken haben Personen, denen im Zeitraum zwischen 1940 bis 1980 in psychiatrischen Kliniken im Kanton Thurgau aktenkundig Testpräparate verabreicht wurden. Allfällige Erben sind ausgeschlossen.
Gesundheitsdirektor Urs Martin (SVP) sprach im Parlament von einer Pionierrolle, welche der Thurgau bei der Aufarbeitung der damaligen Vorkommnisse in der Psychiatrie eingenommen habe. Das neue Gesetz soll 2025 in Kraft treten und regelt die Auszahlungen, die auf Gesuch hin erfolgen können. Es ist befristet bis 2031 gültig.
Das Gesetz gründet auf einer Motion aus dem Thurgauer Parlament. Dort war die Vorlage am Mittwoch unbestritten. Parlamentarier sprachen von einer Anerkennung jener Menschen, die ein unrühmliches Kapitel Thurgauer Geschichte am eigenen Leib erfahren hatten.
Im Jahr 2021 legte die vom Kanton Thurgau in Auftrag gegebene wissenschaftliche Aufarbeitung «Testfall Münsterlingen» die enorme Dimension der damaligen Tests mit Psychopharmaka in der Klinik Münsterlingen offen. Gemäss den verantwortlichen Historikerinnen und Historikern der Universität Zürich waren bis zu 3000 Personen betroffen.
Den meist unwissenden Patientinnen und Patienten wurden in jener Zeit nicht zugelassene Prüfsubstanzen verabreicht. Verantwortlich dafür war der Psychiater Roland Kuhn, der als Entdecker des ersten Antidepressivums gilt. Er testete die Substanzen im Auftrag der Pharmaindustrie.
Der Basler Pharmakonzern Novartis beteiligt sich als Nachfolger der damaligen Firmen mit 4 Millionen Franken an den Solidaritätsbeiträgen. Der Kanton Thurgau konnte diesbezüglich eine Vereinbarung mit Novartis treffen. Die Pharmaindustrie trage aus heutiger Sicht eine gewisse moralische Mitverantwortung, schrieb der Kanton in seiner Botschaft an den Grossen Rat. (hkl/sda)