Seit einigen Stunden befinde ich mich im Walliser Bergidyll. Hoch über der Rhone unterhalb der Moosalp radle ich von Zeneggen über Bürchen nach Unterbäch. Es ist wunderschön. Natürlich ist man hier auch auf Tourismus aus, aber die Dörfer sind fernab vom Touri-Wahnsinn in Zermatt oder Saas-Fee. Die Zeit scheint stehen geblieben zu sein.
Doch vor fast 60 Jahren war man in Unterbäch der Zeit voraus. Weit voraus. Damals hatten Frauen noch kein Stimmrecht. Als im März 1957 die Vorlage über die Einführung des obligatorischen Zivilschutzdienstes für Frauen vors (männliche) Volk kam, wehrte man sich hier im 450-Einwohner-Kaff. Unter der Initiative des Walliser Nationalrats Peter von Roten und Gemeindepräsident Paul Zenhäusern beschloss der Gemeinderat, dass man die Frauen zur Abstimmung zuliess.
Der Gemeinderat erklärte: «Der Anstand und der gute Ton verlangen es, dass wir Männer uns nicht als allmächtige Vormünder benehmen, sondern Rechte und Pflichten unserer Frauen in Einklang bringen.» Als autonome Gemeinde wurden die Weisungen und der Widerstand der Landes- und Kantonsregierung missachtet und die Frauen zum Abstimmungslokal gebeten. Ein Skandal.
86 Unterbächerinnen waren stimmberechtigt, doch weil sich selbst im Dorf Widerstand gegen die Aktion bildete, warfen nur deren 33 ihre Stimme in die Urne. Gemeindepräsidents-Gattin Katharina Zenhäusern wurde so zur allerersten Frau, die in der Schweiz abstimmen konnte. Allerdings mussten die Damen ihre Stimmzettel in eine separate Urne werfen und die Voten wurden annulliert, damit die Stimmen der Männer ihre Gültigkeit bewahrten. Die Vorlage wurde in Unterbäch und der Schweiz mit 52 Prozent abgelehnt.
Das Echo der Aktion war gewaltig. Der Medienhype zur illegalen, ja sensationellen Tat, riesig. Selbst Reporter der New York Times berichteten aus der verträumten Bergromantik im Wallis. Der Akt wurde zu einer Initialzündung für das Schweizer Frauenstimmrecht. Unterbäch führte skandalöserweise im gleichen Jahr das Frauenstimmrecht auf kommunaler Ebene – gegen den Willen der Kantonsregierung – ein. Bis das Frauenstimmrecht national eingeführt wurde, dauerte es aber noch bis 1971.
Heute rühmt sich Unterbäch als «Rütli der Schweizer Frau». Ein kleines Denkmal im Ortskern erinnert an den Kampf für das weibliche Geschlecht. Die erste Schweizer Bundesrätin, Elisabeth Kopp, wurde 1984 nach ihrer Wahl Ehrenbürgerin des Dorfes und wer Zeit hat, kann hier seit 2000 einen 3,5 Kilometer langen Frauen-Zitatenweg zur Brandalp abwandern.
Warum dieser wichtige Schritt der Gesellschaft ausgerechnet hier im verträumten Unterbäch stattfand, will ich von der jungen Frau am Info-Schalter wissen. «Ich weiss nicht, vielleicht waren die Frauen hier besonders rebellisch», lacht sie.