Zuhinterst im Engstligtal liegt Adelboden. Noch ein Stück weiter hinten, also wirklich ganz hinten, thront der Wildstrubel über dem Tal. Angeblich der schönste Talabschluss in der Schweiz.
Ich sitze mit fünf Adelbodnern am Tisch. Eine gute Geschichte über das Dorf sollen sie mir erzählen. Aber nicht das Vogellisi, das kennt ja eh schon jeder.
Darum fangen wir mit einer anderen Episode an. Eigentlich nur mit einer Szene, die wohl alle kennen, aber so nur den wenigsten bewusst war: Der Stuntman, der im James-Bond-Film «Im Geheimdienst ihrer Majestät» während der wilden Skiverfolgungsjagd mit einem Grätschsprung in der Tanne landet, ist Adelbodner. Bruno Zryd, um genau zu sein:
Sein Sohn übrigens, Björn, ist der wohl bekannteste Künstler im Dorf. Er gestaltete die Figuren des Vogellisi-Wegs und macht neben diversen anderen Projekten – beispielsweise die Curling-Statue im Olympischen Museum in Lausanne – jeweils die Fussabdrücke der Weltcuprennen-Sieger, welche auf dem Dorfplatz zu bewundern sind:
Wir schweifen in die Sagenwelt ab: Die Adelbodner hätten früher ja um alles gejasst, weiss der älteste am Tisch zu berichten. In Erzählungen verloren sie so auch die Engstligenalp an die Frutiger. Dieser Alpaufzug gilt als einer der eindrücklichsten der Schweiz. Aber spannend ist eine andere Geschichte. Eines Tages soll sich ein Fremder zu den Adelbodner Jasser gesellt haben. Als eine Karte auf den Boden fiel und ein Kind diese aufheben wollte, sah es unter dem Tisch, dass der Fremde statt Füsse Geissenbeine hatte – es war der Teufel.
Einer ähnlichen Fantasie entspringt die nächste Geschichte, welche von der Jüngsten am Tisch erzählt wird. Hinten im Tal, unter den Engstligenfällen steht der Chälistii, ein gespaltener Felsbrocken. Gespalten sei dieser, weil auf ihm die Zwerge zu wild tanzten. Man kann es ihr glauben, wenn man weiss, wie hier während den Weltcuprennen gefeiert und getanzt wird.
Da wir jetzt schon in der Liga der Sagen angelangt sind, gibt's hier doch noch ein bisschen Vogellisi zum Abschluss. Denn ganz so einfach zu Greifen war dieses Weiblein anscheinend doch nicht. Zur Einstimmung erstmal das bekannte Lied:
Das Vogellisi ist hier allgegenwärtig. In manchem Garten steht eine Figur davon; es gibt den Vogellisi-Berglauf für ganz Sportliche und den Vogellisi-Weg für halb Sportliche; in der Bäckerei kann ich Vogellisi-Cracker, Vogellisi-Schoggi oder Vogellisi-Gipfeli kaufen; im Restaurant gibt's den Vogellisi-Teller.
Wer das Vogellisi genau war, wissen alle – und doch niemand. Die meisterzählte Geschichte geht so: Das Vogellisi war eine alte Frau, die ganz oben im verlassenen Bütschital lebte. Mit Menschen konnte es sie nicht so gut, mit Tieren umso besser. Zudem kannte sie unendlich viele «Heilmitteli» mit Kräutern. Ein schwarzer Vogel (manche sagen ein Rabe, andere ein Adler) begleitete sie stets und flog über ihr. Eines Tages, das Vogellisi war schon gegen die 90 Jahre alt, stürzte es einen Fels hinunter und starb. Der Vogel kreiste danach über ihr, bis man sie fand.
Manchmal wird das Vogellisi auch als Hexe bezeichnet und ihr Wissen über all die Kräuter wurde von der Dorfbevölkerung unterschätzt. Es existiert auch eine andere Version: Das Vogellisi sei eine lebhafte, junge Frau gewesen und verdrehte so manchem Mann im Dorf den Kopf. Irgendwann widmete ihr jemand ein Lied.
Es gibt noch mehr Anekdoten aus dem Dorf. Die unendliche Story mit dem Alpenbad oder auch der Bewohner, welcher angeblich sein Gebiss mal auf dem Perron in Lausanne verlor. Ich weiss nicht recht, welche Geschichten ich jetzt glauben soll. Der Blick geht noch einmal auf den Wildstrubel, den angeblich schönsten Talabschluss der Schweiz. Man kann dem zustimmen, wenn die Sonne hinter den Bergen untergeht und sich der Gipfel in der Distanz präsentiert. So wie heute.