Am Montagmittag haben wir allerdings etwas gestaunt über einen Beitrag im «Rendez-vous» auf Radio SRF 1 und 2. Der Grundtenor: Die Einflussmöglichkeit des Parlamentes in der anlaufenden Service-public-Debatte sei beschränkt.
Es könne durchaus einzelne Sendungen kritisieren, aber bei der Frage, ob eine Sendung abgesetzt werden soll, weil sie nicht zum Service public gehöre – zum Beispiel eine Sportübertragung oder «Glanz & Gloria» – gebe es kein Mitspracherecht; sonst müsste man ja die Verfassung ändern, denn dort sei der Service public definiert. Sport- und Unterhaltungssendungen gehörten dazu.
Aber hallo? Natürlich muss die anlaufende Debatte beim Verfassungsauftrag beginnen! Man kann nicht den SRG-Artikel 93 der Bundesverfassung als in Stein gemeisselt hinnehmen und nur auf unteren, sozusagen operativen Ebenen diskutieren. Der Zürcher Medienrechtler Urs Saxer hat am vorletzten Samstag in dieser Zeitung eindrücklich nachgewiesen: Der aus dem Jahr 1982 stammende Verfassungsartikel ist total veraltet.
Er berücksichtigt die mediale Entwicklung der letzten 30 Jahre in keiner Weise. 1982 gab es noch kein Internet, keine sozialen Medien, es gab noch kaum private Rundfunkanbieter – und mit der Beschränkung eines Auftrages allein an die SRG wird auch der Beitrag, welcher gedruckte Medien an den Service public beisteuern, ausgeklammert.
Gemäss gültiger Verfassung erbringt nur die SRG einen Service public (immerhin steht im gleichen Artikel gnädigerweise noch der Satz: «Auf die Stellung und die Aufgabe anderer Medien, vor allem der Presse, ist Rücksicht zu nehmen»).
Auf dieser Basis lässt sich die Medienzukunft wahrlich nicht gestalten. All jenen, die sich jetzt mit Verve auf die Frage «Welche Sendungen gehören zum Service public?» stürzen, wird empfohlen, tiefer zu loten und bei diesem Artikel 93 zu beginnen. Vielleicht brauchen wir ja nicht nur einen revidierten Auftrag an die SRG, sondern eine gänzlich neue Medienordnung mit überarbeiteter Rollenteilung. Was zum Beispiel dringend abgeklärt gehört:
Ist es richtig, dass die SRG im TV-Bereich sowohl Gebühren – neu: geräteunabhängige Abgaben, also faktisch Steuern – in Milliardenhöhe bezieht, wie auch sich praktisch uneingeschränkt auf dem Werbemarkt bewegen darf?
Es gibt in Europa durchaus andere Modelle.
Natürlich muss man vorsichtig vorgehen, wenn man dieses Dossier öffnet. Wohin fliessen frei gewordene Werbegelder? Wie gewünscht Richtung private Sender im Inland oder Richtung Schweizer Werbefenster von ausländischen Sendern?
Ein totales Werbeverbot für die SRG ist kaum sinnvoll, dringend zu prüfen aber sind Werbebeschränkungen à la ARD/ZDF. 1,5 Prozent Werbezeit wäre für die Zuschauer ohnehin erträglicher als 9 Prozent. Heute ist der TV-Werbemarkt total verzerrt: Weil die SRG 1,2 Mrd. Franken an Abgaben bezieht, hat sie einen riesigen Vorsprung, was die Programmqualität angeht.
Und geworben wird natürlich dort, wo die meisten Zuschauer hingucken. Wer also moniert, Werbeeinschränkungen seien in einer liberalen Ordnung unanständig, muss sich auch die Frage gefallen lassen: Ist es marktwirtschaftlich korrekt, einem Anbieter gleich am Start einen Milliardenbetrag mit auf den Weg zu geben?
Weitere Punkte sind jetzt zu diskutieren: Soll der Bezug von SRG-Leistungen fakultativ werden, so wie man sich auch für oder gegen ein Zeitungs-Abonnement entscheiden kann? Brauchen private Rundfunkanbieter noch eine Konzession vom Staat? Darf sich die SRG im Internet mit Vollprogramm und Werbung breitmachen? Es kommen spannende Zeiten auf uns zu. Die Gelegenheit für solche Fragen ist nach dem historisch knappen Abstimmungsausgang günstig.