Bis einen Tag vor dem Flug wusste Guido Fluri nicht, ob es tatsächlich klappen würde. Ob der 55-jährige Unternehmer und Gründer der Guido Fluri Stiftung zusammen mit seinem Team tatsächlich mehr als Hunderte Frauen, Kinder und Jugendliche aus der Ukraine in die Schweiz bringen kann.
Dann, nach einer fast schlaflosen Nacht, kommt das Go. Am Dienstagmorgen steht fest: Ein Airbus 320 der Edelweiss wird am frühen Abend in Zürich bereitstehen. Sie wird eine kleine Entourage nach Krakau bringen, wo die Geflüchteten bereits am Flughafen warten.
Kurz vor Abflug hisst der ukrainische Botschafter Artem Rybchenko die ukrainische Flagge und hält sie gemeinsam mit Guido Fluri, seiner Frau und dem Rest des Teams in die Kamera.
Im Flugzeug herrscht beinahe gespenstische Stille. Bis auf knapp zehn Plätze und der Edelweiss-Crew ist das Flugzeug leer. Die letzten Vorbereitungen werden getroffen. Denn der Flugplan ist eng. In nur 45 Minuten müssen die Geflüchteten im Flugzeug sein. Dann fliegt die Maschine bereits wieder zurück nach Zürich.
Der Edelweiss-Pilot steigt kurz aus dem Cockpit. «Es ist mir eine Ehre, Sie auf dieser Mission zu begleiten und mit Ihnen nach Krakau zu fliegen.»
Auch der ukrainische Botschafter Artem Rybchenko fliegt mit. Geschlafen habe er nicht viel in den letzten Tagen, sagt er. Doch es sei seine Aufgabe, zu helfen. «Es ist unsere Aufgabe, so viele Menschen wie möglich in Sicherheit zu bringen.»
Rybchenko nimmt kein Blatt vor den Mund. «Die Ukrainerinnen und Ukrainer sind keine Aggressoren. Alles, was wir wollen, ist Frieden.»
Nach 105 Minuten Flug landet die Maschine in Krakau. Kurz bevor die Räder den polnischen Boden berühren, sagt Guido Fluri: «Die Schweiz ist ein Land mit einer grossen humanitären Tradition. Wir können diesen Krieg nicht einfach aussitzen und zuschauen. Wir müssen helfen.»
Fluri war es, der den Linienflug organisierte und bezahlte. Zusammen mit seiner Frau und seinem Sohn verlässt er das Flugzeug.
In der Ankunftshalle warten die Geflüchteten. Es sind Kinder mit Behinderungen, Säuglinge und Mütter.
Viele von ihnen kommen aus Kiew. Tagelang verharrten sie im Bunker, bis sie die beschwerliche Flucht über die Grenze nach Polen auf sich nahmen.
Trotz der unvorstellbaren Erlebnisse ist hie und da ein Lächeln zu sehen. Erleichterung, dass es nun endlich weiter geht. Weiter an einen sicheren Ort in der Schweiz.
Viele der Geflüchteten haben nur das Nötigste dabei. Einen Rucksack, den Tragekorb für den Hund, den Kinderwagen. Für mehr hat Zeit und Platz nicht gereicht.
Sobald alle einen Platz im Flugzeug gefunden haben, verteilen Guido Fluri und Pascal Krauthammer, Medienbeauftragter der Stiftung, Schokolade und einen kleinen Sack mit Überraschungen.
Für viele Kinder ist es der erste Flug in ihrem Leben. Gummibärchen und Malstifte, die von Guido Fluri und Pascal Krauthammer (links im Bild) verteilt werden, sollen die Angst etwas nehmen.
Der Flug vergeht in Windeseile. Trotz der vielen Kinder an Bord ist es ruhig. Man merkt: Viele sind erschöpft von der langen Reise.
Gegen 21.30 Uhr landet das Flugzeug in Zürich. Geduldig warten die Geflüchteten auf das wenige Gepäck, dass sie mitnehmen konnten.
Drei grosse blaue Busse bringen die 140 Frauen, Kinder und Jugendliche an ihren Zielort. Ein Grossteil der Geflüchteten fährt nach Mümliswil im Kanton Solothurn.
In Mümliswil haben viele Freiwillige das alte Kinderheim und jetzige Gedenkstätte für Verdingkinder für die Menschen aus der Ukraine vorbereitet.
Auf Tischen liegen Spielzeug, Plüschtiere, Windeln, Lebensmittel und Hygienemasken. In der Küche kochen Suppe und Wienerli.
Kurz bevor der Car im Solothurnischen ankommt, wendet sich Guido Fluri ein letztes Mal an die Entourage an Freiwilligen. Es ist kurz vor Mitternacht. Viele sind aus benachbarten Dörfern. Den ganzen Tag haben sie gearbeitet. Babynahrung organisiert, Betten vorbereitet.
Es warten Kinderärztinnen, Sozialpädagogen und Übersetzerinnen. Draussen in der Kälte steht die freiwillige Feuerwehr. Hilft mit dem Gepäck und weist den Car-Chauffeur ein.
Viele der Kinder sind ihren Müttern auf dem Weg nach Mümliswil in den Armen eingeschlafen. Sie hieven sie hinein ins Haus. Dort werden sie auf Zimmer verteilt. Viele steigen direkt die Treppen hoch und verschwinden hinter hölzernen Zimmertüren.
Nur hie und da tapsen ein paar Kinderfüsse die Stufen wieder runter. Mit ihren Müttern schauen sie sich neugierig im Aufenthaltsraum um. Holen sich etwas zu trinken. Setzen sich noch kurz hin. Bevor sie sich erschöpft ins Bett legen.
An der Eingangstür haben die Helferinnen in Blau und gelb geschrieben «Laskavo prosymo». Kurz übersetzt: «Willkommen» oder auch: «Willkommen zu Hause».
Und genau solche Aktionen sind es, die uns über die Bosheit einiger weniger siegen lassen werden.
Diese Zugfahrt habe ich jetzt den ganzen Tag nicht mehr aus dem Kopf und stimmte mich nachdenklich. Ich fragte mich, ob der Sohn seinen Vater jemals wiedersehen wird. Wird er eine fröhliche Kindheit haben?
Ich kann nur hoffen.
P.S Guido Fluri & Team haben meinen allergrössten Respekt! Chapeau!