Schweiz
Umwelt

Deshalb gehört die Schweiz zu den grössten Plastiksündern der Welt

Plastik Abfallsammeln abfall müll
Die Beseitigung des in der Umwelt entsorgten Kunststoffs kosteten die Schweiz jährlich geschätzte 200 Millionen Schweizer Franken.Bild: Shutterstock

Die Schweiz ist laut einem NGO-Report eine der weltgrössten Plastiksünderinnen

Die Schweiz hat ein Plastikproblem. Ein Report der NGO Ocean Care zeigt, dass wir hierzulande die Verursacher eines der grössten Plastikberge der Welt sind – und das europäische Schlusslicht bei Massnahmen gegen Plastikmüll.
09.01.2023, 06:0010.01.2023, 10:45
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1907 erfand Leo Baekeland den Kunststoff Bakelit. Es war das erste Mal, dass ein Produkt keine in der Natur bekannten Moleküle mehr enthielt. Seit da eroberten und veränderten Kunststoffe die Welt und den Konsum.

Heute – knapp 100 Jahre später – ist Plastik eines «der dringlichsten Umwelt- und Gesundheitsprobleme» überhaupt. So steht es in einem Report der Schweizer NGO Ocean Care, der am Montag veröffentlicht wurde.

Plastik ist in all seinen Formen nicht mehr aus unserem Alltag wegzudenken. Und selbst von der Antarktis bis zur Arktis, vom Gipfel des Mount Everest bis in die Tiefsee ist Kunststoff überall. Dabei wird es immer mehr, denn Plastik baut sich biologisch nicht ab, sondern zerfällt einfach in immer kleinere Teile.

Der Report von Ocean Care führt das Plastikproblem in der Schweiz auf – und mit einem der höchsten Pro-Kopf-Verbräuche von Plastik weltweit haben wir ein grosses Problem mit dem allgegenwärtigen Kunststoff.

Die wichtigsten Punkte aus dem Report:

Einwegplastik

19.12.2018, Niedersachsen, Hannover: Trinkhalme aus Plastik liegen auf einem Tisch. Trinkhalme und andere Wegwerfprodukte aus Kunststoff sollen in Europa kuenftig verboten werden. Unterhaendler des Eu ...
Röhrli, ein Wegwerfprodukt aus Plastik. Bild: DPA

Aufgrund unseres Lebensstils haben wir in der Schweiz einen der höchsten Pro-Kopf-Verbräuche von Kunststoff weltweit, schreibt Ocean Care. Durchschnittlich sind es 127 Kilogramm Plastik pro Jahr, die bei jeder und jedem von uns anfallen. Daraus produzieren wir durchschnittlich 95 Kilogramm Kunststoffabfälle pro Kopf und Jahr.

Täglich fallen bei uns allen also durchschnittlich rund 0,39 Kilogramm Plastikmüll an.

Kunststoffe bestehen aus Erdöl und Erdgas sowie Chemikalien, die während der Produktion beigemischt werden. Kunststoffe werden grossflächig eingesetzt. Häufig kommen wir mit ihnen in Berührung, wenn sie in Gegenständen wie Verpackungen, Flaschen oder Spielzeug verarbeitet sind.

Ein Teil unseres Plastikverbrauchs fällt durch Lebensmittelverpackungen an. Diese enthielten bis zu 12'000 toxische Substanzen, wie es im Ocean-Care-Report heisst. Und manche davon gingen aus der Verpackung auf die Lebensmittel über, die sie eigentlich schützen sollten.

Beim Essen nehmen wir dann diesen «unsichtbaren Cocktail giftiger Substanzen» zu uns, was Schilddrüsenerkrankungen, Diabetes oder Unfruchtbarkeit auslösen könne. Oder Weichmacher zum Beispiel wirkten auf unser Hormonsystem ein und könnten so gesundheitlichen Schaden anrichten.

A worker separates waste at a recycling plant built on old landfill site on the Aegean Sea island of Tilos, southeastern Greece, Monday, May 9, 2022. When deciding where to test green tech, Greek poli ...
Zigarettenstummel bilden ein Plastikproblem in der Umwelt.Bild: keystone

Plastik in der Umwelt

Ein Teil dieser Plastikberge, die wir in der Schweiz produzieren, landet im Kübel, ein Teil in der Natur. Jedes Jahr gelangten rund 14'000 Tonnen Plastik in die Schweizer Umwelt, heisst es im Report.

Was ist Makro- und Mikroplastik?
Kunststoffteile, die grösser als 5 Millimeter sind, werden als Makroplastik bezeichnet. Kleinere Kunststoffteile werden als Mikroplastik bezeichnet.

Rund zwei Drittel davon stammten aus Reifenabrieb von Fahrzeugen, nämlich 8900 Tonnen. Und bereits das zweitgrösste Problem sei Abfall. So belasteten jährlich 2700 Tonnen Plastikmüll die Natur. Neben Verpackungen werden Zigarettenstummel am häufigsten weggeworfen.

Vom ganzen Kunststoff in der Umwelt landen rund 100 Tonnen Makroplastik in den Schweizer Gewässern und ganze 4400 Tonnen in den Böden.

Pet Flaschen Wald Plastik
Vom ganzen Kunststoff in der Umwelt landen rund 100 Tonnen Makroplastik in den Schweizer Gewässern und ganze 4400 Tonnen in den Böden.Bild: Shutterstock

Neben dem für uns sichtbaren Makroplastik belastet auch beinahe unsichtbarer Mikroplastik die Umwelt: Eine 2013 durchgeführte Untersuchung ergab, dass fast jede Probe von Schweizer Seen Mikroplastikpartikel enthalte, schreibt Ocean Care. Allein der Genfersee nehme jedes Jahr etwa 55 Tonnen Plastik auf – das meiste als Mikropartikel. Mittlerweile sollen sich geschätzte 580 Tonnen Plastik allein im Genfersee angesammelt haben. Weiter hätten sich auch im Schnee der Alpen und in abgelegenen Bergseen beträchtliche Mengen an Mikroplastik angesammelt.

Mikroplastik entsteht zum Beispiel durch Abrieb oder Zerfall von Produkten, die aus Kunststoffen bestehen oder Kunststoffe enthalten. Dazu gehören Pneus, Kleidung (etwa ein Drittel der in Europa verkauften Kleidung sei heute vollständig synthetisch, heisst es im Report) oder Mikrokügelchen in Kosmetika.

Sobald wir Auto fahren, die Kleidung waschen oder die Kosmetik vom Körper abspülen, gelangen Plastikteilchen in die Umwelt, die teilweise sogar zu klein sind, um zum Beispiel von Kläranlagen aus dem Wasser gefiltert zu werden.

Die Beseitigung dieses in der Umwelt entsorgten Kunststoffs kosteten das Land jährlich geschätzte 200 Millionen Schweizer Franken, so der Report.

Der Recycling-Mythos

Doch auch mit dem korrekt entsorgten Plastik gibt es Probleme: Dass Plastik in der Schweiz recycelt werde, sei schlicht ein Mythos, so Ocean Care.

Tatsächlich würden 85 bis 90 Prozent der Kunststoffe in der Schweiz bereits nach kurzem Gebrauch verbrannt und nicht recycelt, geschweige denn wiederverwendet, heisst es im Report. Ocean Care schlussfolgert:

«Und so endet das meiste Plastik in der Schweiz nach nur kurzer Nutzung in der Müllverbrennung.»

Das wiederum schaffe ein neues Problem: Luftverschmutzung und hochtoxische Stoffe, die nach der Verbrennung zurückblieben.

Ein Problem sei zusätzlich, dass Recycling nur dann funktioniere, wenn recyclingfähige Plastikabfälle gesammelt würden. Doch Kunststoffe verlören bei jedem Recyclingprozess an Qualität, weshalb immer wieder neue Rohstoffe beigemischt werden müssten. Zudem machten die unterschiedlichen Zusammensetzungen und Zusatzstoffe das Recycling in der Praxis oft unmöglich. Fabienne McLellan, Leiterin des OceanCare Plastikprogramms, lässt sich im Report zitieren:

«Leider ist Recycling nicht die erhoffte Lösung für die Umwelt. In der Praxis zeigte sich: Kunststoff an sich ist kein Kreislaufmaterial.»

Wie weiter?

Es ist also klar: Wir können uns nicht aus der Plastikkrise herausrecyceln. Doch wie weiter?

Auf UNO-Ebene setzt sich die Schweiz zwar für ein ambitioniertes globales Plastikabkommen ein – doch tatsächlich seien wir das europäische Schlusslicht, was Massnahmen gegen Plastikmüll betreffe.

Ocean Care sieht als Teil der Lösung gegen die Plastikberge und die Plastikentsorgung die Wirtschaft und den Bundesrat in der Pflicht. Um das Plastikproblem anzugehen, brauche es auch keine neuen Gesetze, es genügte, die bestehenden konsequent umzusetzen.

«Die Selbstregulierung der Wirtschaft funktioniert nur unzureichend und bestehende Gesetze werden nicht angewandt.»
Ocean Care

Der Report listet für die Schweiz folgende Handlungsmöglichkeiten auf:

  • Art. 30a des Umweltschutzgesetzes müsse angewendet werden, um unnötige Einweg-Plastikartikel zu verbieten.

    Dort heisst es, dass der Bundesrat das Inverkehrbringen von Produkten verbieten darf, wenn die Produkte nur für eine einmalige und kurzfristige Verwendung bestimmt sind oder wenn deren Nutzen die durch sie ver­ursachte Umweltbelastung nicht rechtfertige. Weiter darf der Bundesrat nach diesem Gesetzesartikel Hersteller verpflichten, Produktionsabfälle zu vermeiden, für deren umwelt­verträgliche Entsorgung keine Verfahren bekannt sind.
  • Auf Basis des Umweltschutzgesetzes, Art. 26, müssten Mikroplastik-Perlen in Körperpflege- und Kosmetikprodukten verboten werden, heisst es im Report.

    Dieser Gesetzesartikel regelt, dass Stoffe nicht in Verkehr gebracht werden dürfen, die die Umwelt oder den Menschen gefährden. Das betrifft auch den Abfall. Artikel 26 des Umweltschutzgesetzes unterliegt der Selbstkontrolle.
  • Längerfristig müsse das einst bewährte und umfassende Wiederverwendungssystem reaktiviert werden. Reifenabrieb, Mikrofasern und Zigarettenkippen müssten begrenzt und der Einsatz von Biokunststoffen und Flüssigpolymeren müsse reguliert werden.

McLellan von Ocean Care sagt:

«Wir brauchen bindende gesamtschweizerische Massnahmen und Verordnungen, die Haltung zeigen.»
Ocean Care
Ocean Care ist eine politisch unabhängige Schweizer NGO, die sich für den Schutz der Meere einsetzt. Seit 2011 ist Ocean Care UN-Sonderberaterin für Fragen im Meeresschutz. Und somit weltweit eine von nur rund zehn Nichtregierungs-Organisationen, deren Fachkompetenz im Meeresschutz von den Vereinten Nationen offiziell anerkannt wird.

(yam)

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245 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Charlie Brown
09.01.2023 06:28registriert August 2014
Die Probleme sind unumstritten. Gerne hätte ich noch gewusst, worauf die miserablen Zahlen der Recyclingquote basieren. Ich denke zum Beispiel an PET, bei welchem das Recycling meines Wissens sehr gut funktioniert. Gibt es für andere Kunststoffe verlässliche Zahlen?
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MRDL
09.01.2023 07:12registriert August 2020
Hauptsache Wattestäbchen aus Plastik verbieten und ein paar Regalen nebenan wird ein Teil in einem gefühlt 2mm dicken Plastikblister verkauft und das Gemüse wartet in der Plastkschale im verschweissten Plastikbeutel...

Macht heute mal einen kurzen Spaziergang entlang einer Kantonsstrasse in Wiesennähe oder schaut bei einer Autobahnausfahrt, da findet ihr dann PET und Alu plus Zigis
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Remus
09.01.2023 07:45registriert Dezember 2016
Bitte ahndet Littering stärker. Wenn jemand was auf den Boden schmeisst (egal ob Zigis, PET Flaschen, Plastikverpackungen, usw.), 100.- Busse.
Es geht leider nur übers Geld.
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