Karin Keller-Sutter hat sich vorbereitet. In den Weihnachtsferien hat sie Donald Trumps Biografie «The Art of the Deal» gelesen.
Kürzlich fasste die Bundespräsidentin ihre Erkenntnisse in der Sendung «Infrarouge» des Westschweizer Fernsehens zusammen: «Das Trump-System ist ein Ankündigungssystem, ein Schocksystem. Man sagt etwas und schaut dann, wie es sich entwickelt.» Dies sei schwierig: «Wir sind es gewohnt, innerhalb gewisser Rahmenbedingungen Politik zu machen. Wenn jemand plötzlich aus diesem Rahmen ausbricht, ist das brutal.»
Und es überfordert den Bundesrat offensichtlich. Wer wissen will, wie die Landesregierung mit Trumps geopolitischer Revolution umzugehen gedenkt, muss die Wortmeldungen der Regierungsmitglieder zusammensuchen – und versuchen, sich daraus ein Bild zu machen.
Stand heute lassen sich mindestes drei Strategien ausmachen.
Von der Gefahr, «zwischen die geopolitischen Blöcke zu geraten», sprach Keller-Sutter schon am WEF in Davos. Das unabhängige Navigieren als international vernetzte, offene Marktwirtschaft ist die bisherige Strategie des Bundes. Sie beruhte freilich darauf, dass sich auch die grossen Blöcke weitgehend an multilaterale Regeln halten. Das gilt schon länger immer weniger. Und mit Trumps Amtsantritt ist eine Rückkehr zum Multilateralismus langfristig vom Tisch.
Um trotz allem möglichst grosse Rechtssicherheit zu erhalten, versucht der Bund gemeinsam mit den Efta-Staaten Norwegen, Island und Liechtenstein, sein Netz an Freihandelsabkommen auszubauen und, wo nötig, zu erneuern.
Das ist die bevorzugte Strategie der bürgerlichen Parteien SVP und FDP. Viele ihrer Exponenten wünschen sich auch ein Freihandelsabkommen mit den USA. Manche vermuten deshalb hinter den lobenden Worten der freisinnigen Bundespräsidentin Keller-Sutter zur umstrittenen Rede von US-Vizepräsident J. D. Vance den Versuch, sich bei Trump «einzuschleimen», wie SP-Nationalrätin Jacqueline Badran sagte.
Vance hatte an der Münchener Sicherheitskonferenz eine angebliche Beschneidung der Meinungsfreiheit in Europa als grössere Gefahr bezeichnet als Russland oder China. Keller-Sutter erkannte in Teilen der Rede trotzdem ein Plädoyer für die direkte Demokratie – was zu einem Sturm der Empörung führte. Mit dem Auftritt bei «Infrarouge» versuchte die Bundespräsidentin, ihre Aussagen zurechtzurücken.
Eine zweite Strategie ist die Annäherung an Europa. Für diese hat Aussenminister Ignazio Cassis in einer Rede Ende Januar geworben. Die neue Ordnung sei «ohne klare Konturen». Deshalb müsse die Schweiz ihre Beziehungen zu den direkten Nachbarn stärken: «Wir haben mit der EU ein ausgezeichnetes Abkommen ausgehandelt», sagte Cassis, «es ist an der Zeit, den Mut aufzubringen und die letzten internen Hindernisse zu überwinden.»
In die gleiche Richtung ging letzte Woche die Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrats: Sie will den Bundesrat beauftragen, «die Kooperation in Bezug auf die sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit Europa zu intensivieren».
Die Annäherung an Europa ist die bevorzugte Strategie der linken Parteien, der Grünliberalen sowie Teilen der Mitte. Ein wichtiges Argument: Die Geopolitik mag sich verändern, die Geografie nicht – und da liegt die Schweiz nun mal mitten in Europa.
Das Problem: Die Europa-Strategie hätte zur Folge, dass die neu mit der EU ausgehandelten Verträge noch bedeutender werden. Doch nach wie vor lehnen die SVP, Teile der FDP und manche Wirtschaftsvertreter die institutionelle Annäherung an die EU ab. Das Thema spaltet auch den Bundesrat. Das dürfte einer der Gründe für sein Schweigen sein.
Eine dritte Strategie hat jüngst Bundesratskandidat Markus Ritter angesprochen. Die Schweiz tue gut daran, in den aktuellen Diskussionen «unter dem Radar zu bleiben», sagte er in einem Interview mit der NZZ.
Ein nachvollziehbarer Wunsch. Wenn aber gleichzeitig die Schweiz beispielsweise dafür kämpft, bei den grössten Wirtschaftsnationen der G20 mit am Tisch zu sitzen, ist Abtauchen wohl kaum möglich. Zumal die USA und auch die EU schon mehrmals bewiesen haben, dass sie die Schweiz stets auf dem Radar haben – ob wir das wollen oder nicht. Stichwort Bankgeheimnis oder nachrichtenlose Vermögen.
In der politischen Debatte werden die beiden wichtigsten Optionen gerne gegeneinander ausgespielt: entweder mehr Europa oder mehr Freihandel. Und seit neustem auch: entweder Brüssel oder Washington. Eine Verkürzung, die mit Blick auf die politische und wirtschaftliche Realität nirgendwohin führt.
Dazwischen steht der Bundesrat, der gezwungenermassen beide Optionen verfolgen muss. Angesichts der Bedeutung und der engen Verflechtung mit den USA will er, ja muss er, rasch einen guten Kontakt zur Administration Trump aufbauen. Zugleich steht die Schweizer Ukraine-Politik, die auf dem Völkerrecht beruht, im Widerspruch zu Trumps angestrebtem Diktat-Frieden. Das ist ein grundlegender Konflikt. Für die Beziehungspflege zu Trump und seiner Entourage hat der Bundesrat offensichtlich noch kein Rezept gefunden.
Auch europapolitisch ist die Ausgangslage schwierig: Der Bundesrat wird die Fäden bald aus der Hand geben müssen. Sobald er die Botschaft zu den neuen EU-Verträgen im Frühling verabschiedet hat, übernimmt das Parlament. Und dort zeichnet sich ab, dass die grossen Regierungsparteien FDP, Mitte und möglicherweise auch die SP auf Zeit spielen werden – bis nach den Wahlen 2027.
In den letzten Tagen war zu hören, der Bundesrat sei sich des Klärungs- und Erklärungsbedarfs bewusst. Bloss: Noch geben die zuständigen Stellen die heisse Kartoffel untereinander weiter. Die nächste Bundesratssitzung ist am Freitag. Mal sehen, ob die Regierung bis dahin aus ihrer Sprachlosigkeit herausfindet.
(aargauerzeitung.ch)
Und ja, das schliesst die AfD aus. Diese sind definitiv Antidemokraten.
Trump kümmert sich einen Dreck um irgendwelche Abkommen, selbst um die, die er selbst abgeschlossen hat.