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Pöbeleien und Diebstahl – in Lausanne sorgt ein Platz für Probleme

Bel-Air Bel Air Lausanne
Der Bel‑Air‑Platz im Herzen von Lausanne ist laut Geschäftsleuten täglich Schauplatz von Diebstählen, Einschüchterungen, Betteln und Übergriffen. watson hat die Stimmung während einiger Tage vor Ort eingefangen.Bild: watson

Pöbeleien und Diebstahl – in Lausanne sorgt ein Platz für Probleme

In Lausanne ist der Bel-Air-Platz zu einem Tummelplatz für Kriminelle geworden – Ladenbesitzer erzählen, was sie Tag für Tag durchmachen.
08.07.2025, 19:5909.07.2025, 13:40
Fred Valet
Fred Valet

Der Bel‑Air‑Turm glänzt mit einer fast schon amerikanischen Ästhetik. Rundherum liegt der gleichnamige Platz, eine der wichtigsten Lebensadern der Lausanner Innenstadt. Täglich strömen hier Tausende vorbei, zu Fuss, mit dem Auto oder im ÖV. Buschauffeure müssen wahre Kunststücke vollführen, um ihre schweren Gefährte durch die enge Rue Mauborget zu manövrieren, die weiter zur Place de la Riponne führt.

Bel-Air Belair Bel Air Lausanne
In der Bildmitte: der berühmte Bel‑Air‑Turm in Lausanne.Bild: watson

Weil die Place de la Riponne wegen Umbauarbeiten geschlossen ist  –  und die Drogensüchtigen und Randständigen von dort weg mussten  –  erleben die meisten Ladenbesitzer am Bel‑Air‑Platz nach eigenen Worten die «Hölle». Eine Angestellte einer Chocolaterie versichert uns, das Quartier sei seit der Schliessung der Place de la Riponne «noch unerträglicher» geworden.

«Seit ein paar Monaten kommt meine Kollegin mit einem schlechten Gefühl zur Arbeit, und unsere Kundinnen und Kunden wagen sich nicht immer bis in unseren Laden vor.»

Wir reden hier von einem Abschnitt von gerade einmal 50 Metern entlang der Rue des Terreaux. Östlich davon thronen Decathlon und Fooby mitten im Verkehrsknoten, westlich lockt der Burgerladen Holy Cow. Auf beiden Seiten der Strasse führen die Mitarbeitenden der Läden eine gedankliche Strichliste dazu, wie oft sie von Montag bis Samstag während der Arbeitszeit mit Einschüchterungen, Diebstählen, Gewalt, Übergriffen oder Sachbeschädigungen konfrontiert werden.

Es ist die neue Normalität. Ein junger Mitarbeiter des Kiosks an der Ecke spricht mit einem Schulterzucken von «rund zehn Diebstählen pro Woche». Anzeige erstatten? «Nein, das Prozedere ist viel zu aufwendig für uns – dafür haben wir schlicht keine Zeit. Sonst würden wir den ganzen Tag nichts anderes tun, wissen Sie!»

Meistens belässt es das Kiosk‑Team dabei, den Dieb – auf frischer Tat ertappt – aufzufordern, «die Ware zurückzugeben» und «sich hier nie wieder blicken zu lassen».

«In Wahrheit sind es vor allem einige schräge Gestalten – auffällig durch ihr ungewöhnliches Verhalten – die für spürbare Spannung in der Nachbarschaft sorgen.»
Kiosk-Mitarbeiter

Abseits der eindeutig dokumentierten Vorfälle lastet auf Passanten, Angestellten und Kundschaft ein hartnäckiges Gefühl der Unsicherheit. Pendler verrieten uns diese Woche, sie würden ihren Bus inzwischen zwei Haltestellen weiter nehmen, um dem «systematischen» Anpöbeln zu entgehen: «Dieser Platz in Lausanne ist nicht mehr zum Aushalten!»

Ein paar Stunden an diesem viel frequentierten Knotenpunkt reichen, um das Ausmass zu erkennen: Das schmale nördliche Trottoir der Rue des Terreaux wird vom wuchtigen Wartehäuschen der Haltestelle Bel-Air regelrecht halbiert. Dazu kommen besonders aufdringliche Bettler – und Menschen mit auffälligem Verhalten.

Die Bushaltestelle Bel-Air – mit ihrem ultraschmalen Trottoir.
Die Bushaltestelle Bel-Air – mit ihrem ultraschmalen Trottoir.Bild: watson

Ohne den Vergleich überstrapazieren zu wollen, fühlt man sich hier bisweilen an die Fentanyl-geplagten Viertel San Franciscos erinnert: Da pinkelt ein junger Mann an die Fassade eines Geschäfts, dort schreit eine Frau und rempelt Passanten an. Andere stehen wie benommen herum – oder liegen halb nackt und halb bei Bewusstsein auf dem Asphalt.

Diese Leute, den Ladenbesitzern hier längst wohlbekannt, platzen bisweilen in die Geschäfte und sorgen für Unmut. Besonders der Chocolatier am Platz bekommt das häufiger zu spüren: «Sie kommen wie Furien hereingestürmt, schnappen sich nebenbei Schokolade und belästigen unsere Kundschaft», berichtet eine Angestellte, die das Ganze gelassen nimmt – sie hat längst aufgehört, die mitunter tragikomischen Anekdoten zu zählen.

«Einmal rannte einer quer durch den Laden, nahm Anlauf und stürzte sich mit voller Wucht auf unseren Schokoladenbrunnen.»

Türsteher spielen – und Störenfriede vertreiben

Fooby, der Coop-Concept-Store, der 2019 in die Jugendstil-Liegenschaft an der Rue des Terreaux 2 eingezogen ist, bringt lauter Eigenschaften mit, die sich mittlerweile als Nachteile erweisen.

Eine Terrasse, ein Food-Sortiment mit Möglichkeit zum Vor-Ort-Verzehr – und Alkohol im Angebot. «Wir haben halt wirklich das komplette Arsenal, um uns täglich Ärger einzuhandeln», kommentiert ein Mitarbeiter, während er die Regale bestückt.

«Wegen Diebstählen müssen wir regelmässig die Polizei rufen, und auf unserer Terrasse wird unsere Kundschaft oft belästigt. Ganz zu schweigen davon, dass wir den ganzen Tag Leute mit problematischem Verhalten nach draussen begleiten müssen.»
Fooby Lausanne Bel-Air
Fooby am Bel-Air-Platz.Bild: watson

Auf dieser Terrasse kam an einem Wochentagmorgen, nachdem wir schon ein halbes Dutzend Zigaretten an ein paar Randständige verteilt hatten, eine Frau auf uns zu, um uns zu warnen: «Behalten Sie Ihren Hund ganz nah bei sich und lassen Sie ihn keine Sekunde aus den Augen. Einer Bekannten wäre ihrer neulich fast geklaut worden.»

Am nächsten Tag berichtete 24 Heures über das Erlebnis einer Hundehalterin, die ihr Tier in letzter Sekunde retten konnte: «Der Mann sagte ‹Na, du›, hockte sich blitzschnell hin und schlang die Arme um meinen Hund. Ich wurde stutzig – zunächst hielt ich ihn bloss für einen etwas speziellen Hundenarr.» Doch nur Sekunden später sah sie, wie «seine Hände an der Leine herumfummelten und versuchten, den Hund loszumachen».

Polizei «weiss Bescheid»

Diese Woche haben wir die Stadtpolizei Lausanne kontaktiert und mit den Stimmen vom Bel-Air-Platz konfrontiert. Die Polizeisprecherin sagt dazu: «Bei den Meldungen und Einsätzen verzeichnen wir keinen Anstieg. Uns ist jedoch bekannt, dass am Bel-Air-Platz gebettelt und mit Drogen gehandelt wird.»

«Die Polizei widmet diesem Ort daher besondere Aufmerksamkeit.»
Alexia Hagenlocher, Sprecherin der Lausanner Polizei

Was macht die Polizei?

«Unsere Patrouillen sind regelmässig vor Ort, führen Personenkontrollen durch und nehmen bei Bedarf auch jemand fest. Während ihrer Rundgänge suchen sie zudem das Gespräch mit den Geschäftsinhabern, um die Lage bestmöglich einzuschätzen. Seit Oktober 2024 steht ausserdem eine eigene Telefon-Hotline zur Verfügung.»
Alexia Hagenlocher

Obwohl mehrere Geschäftsinhaber beobachten, dass sich die Stimmung seit den Bauarbeiten an der Place de la Riponne noch verschärft hat, betont die Polizei, sie könne «keinen echten Zusammenhang zwischen den Arbeiten und der Situation am Bel-Air-Platz bestätigen». Bei den Läden und Geschäften gilt inzwischen das Motto: Einfach irgendwie damit leben.

Die Mitarbeiterin des Chocolatiers versichert uns, sie denke «keineswegs daran, den Job zu wechseln» – obwohl ihre Kollegin «eines Abends beim Verlassen des Ladens angegriffen wurde».

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93 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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ursus3000
08.07.2025 20:27registriert Juni 2015
"in Lausanne sorgt ein Platz für Probleme"
Ich denke nicht, dass der Platz Probleme macht
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Wizball
08.07.2025 20:25registriert Januar 2020
Immer diese australischen Austauschstudenten!
19310
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Knäckebrot
08.07.2025 20:52registriert Juni 2017
"Pöbeleien und Diebstahl – in Lausanne sorgt ein Platz für Probleme"

Bei Jahrelangem Wegsehen und alles Mögliche als Ursachen unserer Probleme zu sehen (Patriarchat, Toxic Masculinity, Rechte, Kapitalismus, Heteronormativität, Rassismus etc.), ausser das, was es wirklich ist, könnte man meinen, der Titel suggeriere, dass nun auch neuerdings Plätze Schuld an den Pöbeleien, Drogen, Belästigungen und Delinquenz seien :)
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