Die Wahlen 2023 sind durch. Die SVP gewinnt, die grünen Parteien verlieren – so viel ist klar. Doch wie ist das Resultat des 22. Oktobers historisch, aber auch realpolitisch, einzuordnen?
Gut, dass es da Expertinnen und Experten gibt. Das sagten die Politolog:innen zu folgenden Themen:
«Wir sehen einen Rechtsrutsch mit Protestcharakter», fasst es Lukas Golder im Wahlstudio des SRF zusammen, «und das recht dezidiert. Gleichzeitig haben wir eine grüne Flaute und eine gestärkte Mitte.» Die SVP habe, gemeinsam mit der FDP, die meisten Mittel in den Wahlkampf investiert, so Golder. Der scharfe Ton, der Protestcharakter, habe sich ausbezahlt. Das sehe man daran, dass die SVP auch Ständeratssitze gewinnen konnte – und das mit Kandidaten, die einen eben «scharfen Ton» angeschnitten hätten.
Ausserdem sei die Mitte jetzt die dritte Kraft im Parlament, «und das ist schon bemerkenswert», so Golder.
Es sei die Umkehr von vor vier Jahren, sagt Politologin Sarah Bütikofer bei «20 Minuten». 2019 konnte man die progressiven Kräfte stark mobilisieren: «Das ganze links-grüne und auch das feministische Lager war auf den Beinen.» Von dieser Grundstimmung sei jetzt sehr viel verloren gegangen. Man müsse aber auch relativieren: «Was die Grünen und GLP damals dazugewonnen haben, haben sie nicht alles verloren», sagt Bütikofer.
Michael Hermann sagt es ähnlich: «Damals hatten wir eine progressive Grundstimmung, die grossen Krisen – Pandemie, Ukraine-Krieg – lagen noch vor uns. Auch wirtschaftlich ging es uns gut. Das Land war offen für Veränderungen», so der Politgeograf gegenüber dem «Tagesanzeiger». Doch solche Aufbruchmomente seien flüchtig: «Nun dominiert wieder die Furcht vor Veränderung, vor dem Fremden, vor wirtschaftlichen Schwierigkeiten.»
Gemäss Sarah Bütikofer konnte die SVP ihre Wählerschaft mit ihrem Ur-Thema sehr gut mobilisieren: «Das Thema Migration habe viele Menschen an die Urnen gebracht.» Trotzdem hat die Zuwanderung nicht ganz alle anderen Themen auszustechen vermocht: Dass die SP ebenfalls dazugewann, zeige, dass unter anderem das Thema Kaufkraft ebenfalls wichtig war, so Bütikofer.
Der SP helfe, dass auf der linken Seite die sozialen Themen wieder mehr Gewicht haben als das Klima, sagt auch Politologe Hermann. «Sie gilt als Macherpartei.» Insgesamt sei zu beobachten, «dass derzeit vor allem Parteien gefragt sind, die den Wählerinnen und Wählern Schutz versprechen», so Hermann.
Die Verliererparteien hingegen würden die Menschen eher in die Pflicht nehmen: «indem sie mehr Leistung verlangen (FDP), Verzicht predigen (Grüne) oder wollen, dass sich die Schweiz den Veränderungen auf der Welt stellt (GLP).» Das mache sie in diesen Krisenzeiten unpopulär, sagt Hermann.
Polit-Experte Claude Longchamp sagt gegenüber dem «Blick»: Der Verlust der Grünen sei aber «definitiv nicht» auf das Konto der SVP gegangen. Bei der Partei habe es hingegen eine gewisse Demobilisierung gegeben: «Die sind, auf Deutsch gesagt, daheim geblieben», so der Polit-Experte.
Die Klimaallianz im Nationalrat während der letzten Legislatur hat nun 12 Sitze weniger – das werde sich natürlich zeigen, sagt Sarah Bütikofer. Die Mehrheiten könnten jetzt wieder eher bestimmt werden durch SVP und FDP – auch wenn sie zusammen keine absolute Mehrheit hätten, was ein Unterschied sei zur Legislatur 2015 bis 2019.
Ist die Mitte dafür noch mächtiger geworden? Bütikofer sagt, das komme auf das Thema an, denn die Mitte-Allianz zwischen GLP und Mitte sei insgesamt auch geschwächt worden. «Es wird sich jetzt stark in Abhängigkeit der konkurrierenden Sachthemen ergeben, welche Allianzen geschmiedet werden können», so die Politologin.
«Wir erleben einen Rechtsruck», stellt Hermann klar. Dieser sei zwar nicht ganz so stark wie 2015, es gebe aber einen entscheidenden Unterschied: «Damals war der Ständerat eher links und somit ein Korrektiv. Nun ist auch der Ständerat vergleichsweise rechts.»
Laut Hermann werden dadurch realpolitisch mehr rechte Anliegen durchkommen. Allerdings mit einer Ausnahme: der Sozial- und Wirtschaftspolitik. «Dort gibt auch die Mitte Gegensteuer», sagt der Politologe. Und: «Der Zeitgeist ist konservativer, aber nicht wirtschaftsliberaler.»
Claude Longchamp gibt zudem den grünen Parteien einen Tipp: «Grüne und GLP müssen die parteipolitischen Grabenkämpfe überwinden», sagte er im Blick TV. «Zusammen wären sie etwa bei 17 Prozent, vor der Mitte, vor der FDP und nahe bei der SP.» Er würde erwarten, dass es jetzt ein «grünes Manifest» geben wird, mit dem man sich gemeinsam der grünen Sache annimmt – denn man habe sie zu Recht auf der Agenda, so Longchamp.
«Manche fanden es ja merkwürdig, wie intensiv über diesen Zweikampf diskutiert wurde», sagt Hermann im Interview mit dem «Tagesanzeiger». «Aber man muss sich das einmal vergegenwärtigen: Vor vier Jahren hätte doch niemand gedacht, dass die ehemalige CVP der FDP so gefährlich werden würde!» Das sei historisch, sagt Hermann.
Für den Bundesrat heisse das hingegen nichts, sagte Claude Longchamp: «Da passiert nichts, solange es keinen Rücktritt gibt.» Es stehe allerdings auch ein neuer Bundeskanzler zur Debatte, und da wäre es gut möglich, dass die Mitte wieder einen Bundeskanzler aus der eigenen Partei beanspruchen würde – das gelte allerdings auch für die Grünen, für die es nicht zum Bundesrat reiche.
Können sich die Grünen ihren Bundesrat jetzt abschminken? Ja, sagt Hermann. «Man muss realistischerweise sagen: Sie hätten auch bei einem höheren Wähleranteil kaum eine realistische Chance gehabt. Denn das Kartell der Bundesratspartei hat kein Interesse daran, einen neuen Player aufzunehmen.»
Auch Longchamp glaubt nicht, dass die Parlamentswahl die Bundesratswahl beeinflussen wird: «Es wird keine substanzielle Veränderung der Zusammensetzung geben. Das wäre auch nicht angemessen.» Vor vier Jahren seien die Veränderungen grösser gewesen und da habe man auch nichts verändert. Trotzdem glaubt auch Longchamp, dass sich langfristig etwas ändern müsse – die momentane Zusammensetzung sei «nicht die Lösung auf Dauer.»
Und somit steigende Mieten und weniger Mieterschutz und teure Krankenkassen, mehr Strassen und weniger Umweltschutz, mehr Putin und Trump, höheres Pensionsalter, weniger Kitas und Krankenversorgung für das gemeine Volk, weniger Ausländer und dafür Fachkräftemangel und verschärfte Personalnot in den Spitälern, weniger Steuern für Reiche und Abzocker und Steuerschlupflöcher und Spaten bei der Bildung und weniger Zukunft usw.
Das gilt es ständig und immer wieder zu wiederholen.