Die Schweizer Politik erlebte an diesem denkwürdigen Wahlsonntag mit den enormen Gewinnen der Grünen und Grünliberalen einen Erdrutsch ohnegleichen. Auf der anderen Seite des Spektrums befinden sich die beiden Parteien, die lange den Ton angaben: Minus 3,8 Prozent Wähleranteil bei der SVP, minus 2 Prozent bei der SP.
Für die SVP sind ihre 25,6 Prozent das schlechteste Wahlergebnis seit 20 Jahren. Die SP landete mit 16,8 Prozent auf dem tiefsten Stand seit Einführung der Proporzwahl vor 100 Jahren. Beide Parteien mussten Abwahlen aus dem Nationalrat verkraften, unter denen sich gewichtige Namen befinden, etwa SP-Gewerkschafter Corrado Pardini und SVP-Gewerbler Jean-François Rime.
Während man bei der Volkspartei das Unheil hatte kommen sehen, wenn auch kaum in diesem Ausmass, herrschte bei der Sozialdemokratie eine gewisse Ratlosigkeit. Wie kam es zu diesen Verlusten? Ein Erklärungsversuch:
Es ist wahrlich keine neue Erkenntnis, aber die SVP dürfte massiv darunter gelitten haben, dass ihre Kernthemen nicht ziehen. Bei der Zuwanderung ist die Brisanz weg, die Zahl der Asylgesuche ist rückläufig, und in der Europapolitik liessen die anderen Parteien sie ins Leere laufen. Mit ihren Wurm-Plakaten erzeugte die SVP eine künstliche Aufregung, die beim Wahlvolk nicht verfing.
Die SP hat ein ähnliches Problem mit der Sozialpolitik. Obwohl die Zukunft der Altersvorsorge im Sorgenbarometer der Nation weit oben steht, war das Thema im Wahlkampf kein Renner. Ohnehin leidet die SP darunter, dass sie praktisch alle sozialen Ziele erreicht hat. Und in der Umweltpolitik steht sie trotz ihrem «Marshallplan» für das Klima völlig im Schatten der Grünen.
«Die Grünen haben grün im Namen, wir nicht», begründete SP-Präsident Christian Levrat in den Tamedia-Zeitungen die Verluste seiner Partei. Die Umweltpolitik dürfte für den grössten Teil der Einbussen verantwortlich sein. Auf viele Wählerinnen und Wähler wirken die Grünen auch unverbrauchter, ein Effekt, den etwa die SPD in Deutschland schmerzlich zu spüren bekommt.
Nicht ausschliessen kann man, dass die SP wegen ihrer Abwehrhaltung beim Rahmenabkommen mit der EU Stimmen an die Grünliberalen verloren hat. Die SVP hingegen hat die Konkurrenz kaum zu spüren bekommen, denn auch ihr unmittelbarer politischer «Nachbar», die FDP, hat Wählerstimmen und Sitze eingebüsst. In ihrem Fall hat ein anderer Effekt gespielt.
SVP-Präsident Albert Rösti führt die Niederlage darauf zurück, dass viele Wählerinnen und Wähler zu Hause geblieben sind. Die Anzeichen sind überdeutlich, dass das rechtsbürgerliche Lager regelrecht kollabiert ist. Dafür spricht vor allem die Tatsache, dass die Wahlbeteiligung trotz Klima- und Frauenboom nicht wie erwartet gestiegen ist, sondern abgenommen hat.
Bereits bei den Zürcher Wahlen im April war besonders bei der älteren Wählerschaft ein Rückgang verzeichnet worden. Eine tendenziell überalterte Partei wie die SVP ist davon stark betroffen. Die Flaute in der Ausländerpolitik dürfte bei diesem Effekt eine wichtige Rolle gespielt haben. Ausserdem verstehen besonders alte Männer die Welt der Frauen- und Klimastreiks nicht mehr.
Das linke Lager hatte kein Problem mit der Mobilisierung, doch profitiert haben ausschliesslich die Grünen und zu einem gewissen Grad die GLP. Für Christian Levrat mindert dies den Schmerz. Es sei ihm viel lieber, «wenn ich heute unseren grünen Verbündeten gratulieren darf, als wenn ich heute einen Sieg der Rechten anerkennen müsste», sagte er den Tamedia-Zeitungen.
Levrat gilt als gewiefter Stratege, dennoch konnte der Freiburger den schleichenden Niedergang seiner Partei nicht aufhalten, seit er 2008 das Präsidium übernommen hat. Er muss sich fragen, ob ein personeller Wechsel angesagt ist, denn auch die beiden SP-Bundesräte sind nicht mehr taufrisch. Ein jüngeres und vor allem weibliches Gesicht an der Parteispitze würde nicht schaden.
Weitaus drängender sind die Personalprobleme bei der SVP. Christoph Blocher ist immer noch der mächtigste Mann in der Partei, aber er agiert praktisch nur noch hinter den Kulissen. Das frühere Führungsduo mit Präsident Toni Brunner und Fraktionschef Adrian Amstutz beherrschte den medialen Auftritt und konnte die Basis aufputschen, doch beide haben die Politbühne verlassen.
Ihre Nachfolger Albert Rösti und Thomas Aeschi leisten Schwerarbeit, doch als Hardliner wirken sie manchmal unfreiwillig komisch. Ein «Putsch» von oben wie in Zürich ist möglich. Aber wer soll sie ablösen? Roger Köppels Aktienkurs ist eher gesunken, im Gegensatz zu jenem von Magdalena Martullo-Blocher. Aber will die viel beschäftigte Nationalrätin einen Job an der Parteispitze?
Dann gibt es eine gewisse Zeit lang eine Mitte-Links/Linke Mehrheit, die versucht, die Welt zu retten. Klappt aber auch nicht.
Dann gibt es einen Zuwachs für die Grünen/Grün-Liberalten Parteien, die versuchen, die Welt zu retten. Spoiler: Wird auch nicht klappen.
Get on with it.
Auch fand er, dass auch schon vorher durchaus nicht immer Rechts entschieden wurde und man nun ggf. vielleicht öfters das Referendum ergreiffen wird.