Rekurs gegen SBB-Grossauftrag nach Deutschland: Peter Spuhler hat entschieden
Soll Stadler Rail den Gerichtsweg beschreiten und gegen den milliardenschweren Vergabeentscheid der SBB rekurrieren? Stadler-Patron Peter Spuhler war am Donnerstag mit Bundesrat Guy Parmelin in Kasachstan, als die Einsprachefrist ablief. Der Wirtschaftsminister ist zusammen mit einer Unternehmer-Delegation in Astana auf Arbeitsbesuch. Deshalb wollte Spuhler zur Frage des Rekurses keine Stellung beziehen.
Doch gemäss Informationen von CH Media hat er sich entschieden, den Vergabeentscheid anzufechten. Leicht fiel dieser Beschluss offenbar nicht. 21 Bundesordner füllt das Vergabe-Dossier, bei dem es um die Bestellung von 116 Doppelstock-S-Bahn-Zügen geht. Ingenieure und Juristen wühlten Tausende Seiten durch, um Angriffsflächen zu finden, die einen Rekurs vor Gericht zum Erfolg führen könnten.
Kurz nach Bekanntwerden der Vergabe an den deutschen Siemens-Konzern zeigte sich Peter Spuhler angriffig. Er sprach in der «SonntagsZeitung» von einem «Fehlentscheid» der SBB. Es schien nur Formsache, dass bald ein Rekurs eingelegt würde. Doch nichts passierte. Die Medienstelle sagte auf Anfrage Tag für Tag, man kommuniziere «zu gegebener Zeit».
Zuerst gezögert, jetzt entschieden
Stadler wollte nicht leichthin oder nur aus Prinzip Rekurs einlegen, sondern nur, wenn echte Chancen bestehen, die Auftragsvergabe an den deutschen Konkurrenten abzuwenden.
Trotz zwischenzeitlichen Zögerns obsiegte am Ende der Kampfeswille. Auf Anfrage will sich das Unternehmen nicht zu diesen Informationen äussern. Stadler stellt aber eine baldige offizielle Kommunikation in Aussicht.
Der Vergabeentscheid hatte vor drei Wochen für Unverständnis und Empörung gesorgt, bei Politikern von links bis rechts. Die Kritik entzündete sich hauptsächlich an zwei Punkten: der minimalen Preisdifferenz und dem fehlenden Prinzip der «Swissness» im öffentlichen Beschaffungswesen.
- Knappe Entscheidung: Die SBB gaben bekannt, Siemens habe das «vorteilhafteste Angebot» gemacht – bei Investitionskosten, Instandhaltung, Energieverbrauch und Nachhaltigkeit. Doch bei den Anschaffungskosten war Siemens nur 0,6 Prozent günstiger, obwohl die Lohnkosten in Bussnang TG und St.Margrethen SG deutlich höher sind als in Krefeld.
- Swissness-Debatte: In der Öffentlichkeit herrschte Unmut darüber, dass bei einem Auftrag dieser Grössenordnung die inländische Wertschöpfung und die Arbeitsplätze kein Kriterium sind. Die SBB betonen, dass das geltende Beschaffungsrecht eine Bevorzugung inländischer Anbieter untersagt.
SBB-CEO Vincent Ducrot geriet in die Kritik und musste sogar Morddrohungen hinnehmen. Die Bundesbahnen verteidigten ihre Entscheidung. Um die Gemüter zu beruhigen, teilten sie mit: «Es war – im Unterschied zu früheren öffentlichen Ausschreibungen – kein Kopf-an-Kopf-Rennen: Der beste Anbieter hat in Summe klar am meisten Punkte erzielt bei den Kriterien, mit denen alle einverstanden waren.»
Wer bei den SBB den Entscheid traf
Für die SBB-Verantwortlichen seien die heftigen politischen und medialen Reaktionen belastend, ist zu hören. Zugleich ist man in der Zentrale der Bundesbahnen überzeugt, dass der Vergabeentscheid einem Gerichtsverfahren standhalten würde.
Das Projektteam für das S-Bahn-Dossier umfasste mehr als 100 Personen. Ihr Entscheid musste durch die interne Revision gehen, die als penibel und risikoavers gilt: «Wenn es dort durchkommt, ‹verhebt› es.»
Die interne Revision berichtet direkt an Verwaltungsratspräsidentin Monika Ribar. Sie selbst war aber nicht in den Entscheid zugunsten von Siemens involviert. Ebenso wenig – und dies mag erstaunen – die SBB-Konzernleitung mit CEO Vincent Ducrot.
Der formelle Vergabeentscheid fiel gemäss SBB-Angaben eine Hierarchieebene tiefer, trotz des Volumens von über 2 Milliarden Franken: in der Leitung der Division Personenverkehr von Reto Liechti, der erst seit Ende Juni 2025 im Amt ist.
Forderungen nach Transparenz über den Entscheid – etwa wie genau die insgesamt 1000 Punkte verteilt wurden – weisen die SBB zurück. Diese Dokumente seien vertraulich.
Grösserer Unterschied bei Unterhaltskosten
Aus dem Innern der Bundesbahnen ist zu hören, dass die Kaufpreise der Züge bei beiden Offerten tatsächlich nahe beieinander lägen. Aber über eine Betriebsdauer von 25 Jahren fallen nicht nur die Anschaffungskosten ins Gewicht, sondern auch die Instandhaltungs- und Unterhaltskosten. Hier hat Siemens gemäss verlässlichen Informationen deutlich günstiger abgeschnitten, teilweise im zweistelligen Prozentbereich. Ob dieser Vorsprung im Rekursverfahren für Stadler zur unüberwindbaren Hürde wird?
Nicht unbedingt. Die SBB mussten anhand der schriftlichen Offerten die Punkte vergeben. Es gibt Stimmen, die sagen: Siemens habe die Unterhaltskosten unrealistisch tief angesetzt. Im Nachhinein könne alles teurer werden. Stadler wiederum habe verlässlichere Angaben gemacht, weil das Unternehmen breite Erfahrung im Betrieb und Unterhalt von Zügen in der Schweiz habe.
Mit dem Entscheid von Stadler Rail, Rekurs einzulegen, verlagert sich der Streit aus der Öffentlichkeit zu den Gerichten. Der Rekurs wird beim Bundesverwaltungsgericht eingereicht.
Das Verfahren könnte die Beschaffung der Züge verzögern. Für die SBB ist das heikel. Die neuen Züge sind Teil der Flottenerneuerung im Agglomerationsverkehr. Ein langes Rekursverfahren könnte geplante Angebotsausbauten bremsen und die Einführung der neuen S-Bahn-Generation um Jahre verschieben. (aargauerzeitung.ch)
