Wie beeinflusst Geld die Politik? Lange Zeit liess sich die Frage – zumindest in der Schweiz – kaum beantworten. Es ist paradox: Nirgends können Bürgerinnen und Bürger häufiger abstimmen als in der Schweiz. Und doch bleibt verborgen, wer die Plakate, Inserate, Flyer und Extrablätter bezahlt, die vier Mal jährlich die Strassen säumen und in die Briefkästen flattern. Parteien oder Kampagnen müssen nicht offenlegen, wer ihnen die Gelder gespendet hat. Dasselbe gilt für die National- und Ständeratswahlen.
Jetzt haben die neuen Transparenzregeln erstmals Licht ins Dunkel gebracht. Im Vorfeld der Eidgenössischen Wahlen mussten Kandidierende für den Nationalrat ihr Wahlkampfbudget offenlegen, sofern es 50'000 Franken übersteigt. Dabei zeigte sich: Viele Politiker nehmen für ihre Kampagnen viel Geld in die Hand.
Was heisst das nun für den Wahlausgang? Gelingt der Sprung nach Bern nur mit grossem Portemonnaie? Wer die grössten Wahlkampfbudgets betrachtet, kommt zum erfreulichen Schluss: Ein Parlamentssitz lässt sich nicht mit Geld erkaufen, trotzdem spielen die finanziellen Mittel eine wichtige Rolle. Matchentscheidend sind oft andere Faktoren. Wir fassen die wichtigsten Erkenntnisse zusammen:
Manche sahen die Wahl von Islam Alijaj in den Nationalrat als «Mission Impossible». Als Hindernis erachteten sie wohl auch seine Sprechbehinderung. Alijaj leidet seit seiner Geburt an einer Zerebralparese. Doch am letzten Sonntag hat er das Unmögliche geschafft. Im Kanton Zürich kämpfte sich der SP-Politiker von Platz 11 auf 7 vor.
Wie ist ihm das gelungen? Bei Alijaj dürfte das Geld nicht eine unerhebliche Rolle gespielt haben. Mit 200'000 Franken hatte er das mit Abstand grösste Wahlkampfbudget aller SP-Kandidierenden. Im Gegensatz zu Konkurrenten, die auch auf den erstmaligen Sprung nach Bern hofften, erlangte er dadurch eine gewisse Bekanntheit in der Öffentlichkeit. Sein Gesicht strahlte von Plakaten, Inseraten oder Flyern.
Alijaj machte aber auch eine engagierte, originelle und freche Kampagne. So spannte er mit dem bekannten Werber David Schärer zusammen. Dieser sponserte letzten Sommer ein Inserat mit dem Slogan: «Islam in den Nationalrat». Das Inserat gab nicht nur aufgrund der doppeldeutigen Botschaft zu reden - Alijaj ist ein Muslim mit kosovarischen Wurzeln - sondern auch, weil das Inserat ausgerechnet in der SVP-nahen Weltwoche erschienen war.
Alijaj konnte aber auch auf eine Partei zählen, die im grössten Bezirk des Kantons - der Stadt Zürich kräftig mobilisierte und so in der Wählergunst um 7.4 Prozentpunkte zulegte. Die Folge war ein Sitzgewinn.
Umgekehrt verhält es sich bei der Zürcher FDP. Keine Kantonalpartei dürfte finanziell potenter dastehen als der einst stolze Freisinn. Die enge Verbandelung mit der Wirtschaft wirft viel Geld ab. So erstaunt es nicht, dass in Zürich viele Anwärter auf den Nationalrat über hohe Wahlkampfbudgets verfügen.
Fünf nahmen dabei mindestens 200'000 Franken in die Hand. Doch ihre Bilanz fällt ernüchternd aus. Als Verlierer geht etwa Stefan Brupbacher aus dem elektoralen Rennen. Die frühere rechte Hand von Johann Schneider-Ammann galt lange Zeit als mächtigster Beamter des Landes und steht seit 2019 an der Verbandsspitze der Schweizer Exportindustrie.
Trotz einem Budget von 260'000 Franken verpasste der gut vernetzte Wirtschaftsvertreter bereits zum zweiten Mal nach 2019 die Wahl ins Bundesparlament. Brupbacher machte zwar drei Ränge gut, das reichte trotzdem nur für den dritten Ersatzplatz. Vor der Sonne stehen ihm drei Kandidaten, die ähnlich viel Geld aufgeworfen haben wie er. Und teilweise ein ähnliches Profil aufweisen.
Zum Beispiel Martin Farner. Der Unternehmer aus Oberstammheim liess sich den Wahlkampf 200'000 Franken kosten und trotzdem scheiterte er bereits zum dritten Mal. 2015 musst er sich Hans-Ulrich Bigler geschlagen geben, vier Jahre später wurde er vom damaligen Jungspund Andri Silberschmidt überholt. Gleiches versuchte dieses Mal Matthias Müller, Präsident der Jungfreisinnigen Schweiz. Wahlkampfkasse: Satte 220'000 Franken. Er konnte Farner zwar überholen und ist nun auf dem ersten Ersatzplatz.
Fazit: Viel Geld und ein aussichtsreicher Listenplatz reichen nicht aus. Wenn sich Konkurrenten zu wenig voneinander unterscheiden, denselben gleichtönigen Wahlkampf führen und eine Partei in der Wählergunst stagniert, wird es schwierig. Doch eine Kandidatin hatte in Zürich Grund zur Freude.
Für die Erfolgsmeldung sorgte Bettina Balmer. Die Ärztin zieht neu für die FDP in den Nationalrat ein. Und auch sie hatte ein grosses Budget von 220'000 Franken. Was machte sie also besser als die männliche Konkurrenz? Sie hatte wohl schlicht den besseren Listenplatz. Von Platz 5 gestartet und auf Platz 5 ins Ziel gekommen.
HEUTE! #Altersdemenz ist angesichts des demografischen Wandels ein wichtiges Thema - was muss die Politik machen? Läuft es gut, so wie es ist? Wie geht es zukünftig weiter? Information und Diskussion heute Abend, 19h in der #Parkresidenztertianum #Meilen @fdp @nzz @Mariushuber pic.twitter.com/v7EcSy2Nei
— Bettina Balmer (@balmer_bettina) September 11, 2023
Balmer erbt damit den Sitz der zurückgetretenen Doris Fiala. Trotzdem hätte es Balmer nicht alleine geschafft. Ihr Glück war die von vielen kritisierte Listenverbindung mit der SVP. Ohne diese wäre der Sitz an die GLP gegangen.
Manchmal haben Nationalratskandidaten auch einfach Pech. So geschehen bei Balmers Parteikollege im Nachbarkanton. Adrian Schoop butterte 175'000 Franken in seinen Wahlkampf – mit Abstand am meisten im Aargau.
Und trotzdem reichte es ihm hauchdünn nicht. Nur 91 Stimmen mehr und er hätte Parteikollege Matthias Jauslin aus dem Nationalrat geworfen. Doch auch dieser hat kräftig investiert. Jauslin darf sich im Nachhinein bestätigt sehen, dass sich jeder der 95'000 eingesetzten Franken gelohnt hat, um seine Wiederwahl abzusichern.
Der Kandidat mit dem landesweit grössten Budget hätte das Geld vielleicht lieber gleich verschenkt. Das klingt böse, aber die Ausgangslage von Donato Scognamiglio war ausgesprochen schwierig. Der EVP-Politiker und Immobilienexperte hat 365'000 Franken aus eigener Tasche in seinen Wahlkampf gesteckt. Allein der Versand eines Flyers an alle Zürcher Haushalte kostete 117'000 Franken, den Druck nicht eingerechnet.
Gestartet vom fünften Listenplatz gelang es Scognamiglio zwar, mit einem engagierten Wahlkampf drei Plätze gutzumachen. Das Problem: Die EVP ist in Zürich eine Kleinpartei, welche nicht die Massen anzieht. Und anders als etwa die Mitte, die überraschend zwei Sitze zulegen konnte, stagnierte die EVP bei einem Sitz. Dieser wird seit 2017 von Lokalmatador Nik Gugger besetzt. (aargauerzeitung.ch)
Interessant wäre eine allgemeine Erfolgsbilanz.
PS: für den FDP-Opportunisten Stefan Brupbacher freut mich die Nichtwahl.