«Das wird Probleme geben»: Blatten VS schwimmt im Spendengeld
Vor vier Monaten begrub ein gewaltiger Bergsturz das Dorf Blatten im Lötschental. Auf die Katastrophe vom 28. Mai folgte eine riesige Welle der Solidarität. Die Glückskette sammelte fast 23 Millionen Franken Spendengelder. Auch zahlreiche Kantone, Gemeinden, Unternehmen und Vereine spendeten grosse Beiträge. Das Parlament bewilligte weniger als zwei Wochen nach dem Bergsturz eine Soforthilfe des Bundes in der Höhe von 5 Millionen Franken zuhanden der Bevölkerung von Blatten.
Verifizierte Zahlen über die Gesamtsumme der Spenden liegen bislang nicht vor. Wie «Le Matin Dimanche» berichtete, könnte diese bei über 80 Millionen Franken liegen. Nun gibt der Umgang mit diesen Spendengeldern zu Reden – und wird zum Politikum im Bundeshaus.
Während die Spenden von privaten Hilfsorganisationen an Auflagen geknüpft sind und in den Händen dieser Hilfswerke bleiben, hat der Gemeinderat von Blatten die Entscheidungshoheit über Spendengelder in zurzeit unbekannter, aber wohl mindestens zweistelliger Millionenhöhe. Bislang verwaltete die fünfköpfige Exekutive von Blatten ein Jahresbudget von lediglich 2,2 Millionen Franken.
«Wenn es um Blatten geht, stimmen wir dafür»
Das Walliser Kantonsparlament bewilligte Mitte September einstimmig eine Nothilfe in der Höhe von 10 Millionen Franken. Die Grünen stellten einen Antrag, diesen Beitrag an die Einsetzung einer Kommission zu knüpfen, welche die Verteilung der Spendengelder überwacht. Der Grosse Rat lehnte das Ansinnen mit 116 zu 8 Stimmen deutlich ab.
Gegenüber «Le Matin Dimanche» erklärten mehrere Grossratsmitglieder unter dem Schleier der Anonymität, kritische Fragen zur Verteilung der Spendengelder blieben aus Sorge vor politischen Konsequenzen aus: «Wenn es um Blatten geht, stimmen wir dafür», sagte eine Grossrätin gegenüber der Zeitung. Und prophezeit:
Die Walliser Regierung hat zwar eine Spendenkommission unter der Leitung eines Ex-Direktors der kantonalen Steuerverwaltung eingesetzt. Dieser gehören Vertreter des Blattner Gemeinderats, von Versicherungen und privaten Hilfswerken an. Doch die Kommission hat lediglich beratende Funktion, wie der Walliser Volkswirtschaftsdirektor Christophe Darbellay (Mitte) gegenüber «Le Matin Dimanche» bestätigte. «Am Ende entscheidet die Gemeinde», so Darbellay. Man habe volles Vertrauen in die kommunale Exekutive.
Rösti muss sich erklären
Bald muss der Bundesrat zum Umgang mit den Spendengeldern in Blatten Stellung nehmen. Die Bündner FDP-Nationalrätin Anna Giacometti hat kürzlich eine Interpellation zum Thema eingereicht. Sie erlebte als damalige Gemeindepräsidentin von Bregaglia den Bergsturz von Bondo im Sommer 2017 aus nächster Nähe.
Als Mitglied der Finanzkommission begleitete Giacometti die Beratung der Soforthilfe für Blatten eng. Die Kommission diskutierte im Juni länger über die Frage, ob man auf der Einsetzung einer unabhängigen Kommission zur Verteilung der Spenden bestehen solle. Eine Mehrheit lehnte einen entsprechenden Antrag jedoch ab.
Der zuständige Bundesrat Albert Rösti (SVP) versprach der Finanzkommission, sich diese Sache anzuschauen. Bei der Beratung der Soforthilfe im Nationalrat sagte Rösti, er habe unterdessen mit dem Blattner Gemeindepräsidenten Matthias Bellwald telefoniert und könne bestätigen «dass für diese Mittel bereits eine Spendenkommission installiert ist und dass ein Notariatsbüro den Auftrag hat, diese Kommission zu kontrollieren».
Anna Giacometti will nun vom Bundesrat wissen, ob dieser Sachverhalt zutrifft. Sie interessiert sich dafür, wie Bundesrat Rösti zur Aussage gekommen ist, in Blatten sei eine Spendenkommission an der Arbeit:
«In kleinen Dörfern sind Konflikte unvermeidbar»
Die Gemeinde Bregaglia hat nach dem Bergsturz in Bondo den Kanton Graubünden gebeten, eine unabhängige Spendenkommission einzusetzen, erläutert Giacometti. «Für uns war klar: Wir wollen nicht die Verantwortung für die Verwendung der Spendengelder tragen.»
In kleinen Dörfern wie Bondo oder Blatten, wo jeder jeden kennt, seien dabei Probleme und Konflikte zwischen verschiedenen Anspruchsgruppen unvermeidbar. Etwa zwischen den Einheimischen und den Zweitwohnungsbesitzern. Oder zwischen Betroffenen, bei denen die Versicherungen praktisch alle Schäden übernehmen und jenen, deren Deckung nicht ausreicht und die entsprechend mehr Spendengelder beantragen.
Giacometti ist rückblickend sehr zufrieden mit dem Vorgehen in Bondo – und konnte seither weitere positive Erfahrungen sammeln. Nach dem Bergrutsch von Brienz GR im Juni 2023 und den Unwetterschäden im Misox im Sommer 2024 wurde sie zur Präsidentin der unabhängigen Spendenkommissionen ernannt, welche die betroffenen Gemeinden eingesetzt haben.
Eine unabhängige Kommission, die nach transparenten Kriterien über den Einsatz von Spendengeldern entscheidet, hilft laut Giacometti, das Vertrauen von Bund, Kantonen, privaten Spendern, Hilfsorganisationen, aber vor allem auch der betroffenen Bevölkerung sicherzustellen: «Ohne eine solche unabhängige Kommission macht man sich angreifbar.»
Die korrekte und transparente Verwendung der Spendengelder sei im Interesse aller, auch der betroffenen Bevölkerung.
Die Gemeinde Blatten und die vom Walliser Staatsrat eingesetzte Kommission wollen sich erst im Oktober öffentlich zur Verteilung der Spendengelder äussern. (aargauerzeitung.ch)