Homosexualität und Christentum, das passt sehr gut zusammen. Das mag einige von euch überraschen, zumal Homophobie in der Kirche doch immer wieder ein Thema ist. Ich habe auch eine Theorie, weshalb einige Gläubige nach wie vor ein Problem mit der Homosexualität haben. Doch dazu später.
Sprechen wir zuerst über den Vorfall mit dem Aeschbacher-Interview. Mich überrascht es überhaupt nicht, dass das Schweizerische Katholische Sonntagsblatt dieses nicht veröffentlichen wollte.
Besonders in Freikirchen und in ländlich geprägten katholischen Gegenden gibt es nach wie vor ein Problem mit der Akzeptanz von Homosexualität. Auch bei der reformierten Kirche gibt es hin und wieder Fälle von Diskriminierung, dort ist man im Grossen und Ganzen aber bereits viel toleranter.
Inzwischen verletzen mich solche Vorfälle wie mit dem Aeschbacher-Interview nicht mehr. Es ist ein weiterer Stich in eine Wunde, die schon lange nicht mehr schmerzt. Ich finde es auf jeden Fall gut, dass Kurt Aeschbacher den Fall publik machte. Es ist traurig, was da passierte.
Ich selber erlebte Ähnliches. Auch ich wurde mundtot gemacht wegen meiner sexuellen Orientierung. Die Freikirche, der ich bis Ende meiner Zwanzigerjahre angehörte, liess mich keine Predigten mehr abhalten, als bekannt wurde, dass ich schwul bin.
Als ich gegenüber dieser Kirche mein Coming-out hatte, wurde gar versucht, mich «umzupolen». Das heisst, man wollte mich so therapieren, dass ich heterosexuell werde. Die Freikirche hat mich zu einer Organisation geschickt, die solche «Umpolungsprozesse» mit Homosexuellen durchführt.
Über Jahre wurde mir dort eingetrichtert, dass ich in meiner Kindheit zu viel Liebe von meiner Mutter und zu wenig von meinem Vater erfahren habe. Deshalb würde ich mich nun von Männern angezogen fühlen.
Ich bin beileibe kein Einzelfall: Solche «Umpolungen» sind gerade in den Freikirchen gang und gäbe. Die Organisation wurde in Deutschland mittlerweile verboten, hier in der Schweiz darf sie hingegen weiter ihrer Arbeit nachgehen.
Natürlich wurde ich durch die Gehirnwäsche nicht heterosexuell. Ende meiner Zwanzigerjahre bin ich aus der Freikirche aus- und der reformierten Kirche beigetreten. Seither kann ich offen zu meiner Homosexualität stehen.
Ich weiss aber aus zahlreichen Gesprächen, dass viele Gläubige Angst vor einem Coming-out haben. Ich bin deswegen selber aktiv in der Organisation Zwischenraum, eine Anlaufstelle für Christen, die nicht hetero sind.
Aber kommen wir zurück zur eingangs erwähnten Theorie. Wieso ist Homophobie im Christentum nach wie vor so verbreitet? Ich glaube, dass nur noch eine Minderheit der Gläubigen ein wirkliches Problem mit Homosexualität hat.
Diese konservative Minderheit sieht ihren Glauben durch moderne Strömungen, etwa der LGBTQI+-Bewegung, gefährdet. Viele assoziieren Homosexualität immer noch mit Drogen, Partys und ständigem Partnerwechsel. Dies passt nicht mit ihrem christlichen Weltbild zusammen. Sie sind überfordert und gehen deshalb auf die Barrikaden. Die LGBTQI+-Bewegung wird als Pfeiler einer ausschweifenden Lebensweise angesehen, die es zu bekämpfen gilt.
Ich glaube, dass die meisten Gläubigen diese Klischees längst als Humbug erkannt haben. Bei der reformierten Kirche, die von unten nach oben organisiert ist, hat in den meisten Gemeinden denn auch ein Wandel stattgefunden. Dort kann jede Kirchgemeinde mehr oder weniger selber entscheiden, was sie lehrt.
Bei der katholischen Kirche ist dies viel schwieriger. Die katholische Kirchenlehre gilt global. Wenn der Vatikan nun plötzlich hinsteht und die Homosexualität offiziell verteidigt, riskiert er eine Kirchenspaltung. Es bestünde ein grosses Risiko, dass sich diverse Länder, wo ein besonders konservativer Katholizismus praktiziert wird, vom Vatikan lossagen würden.
Die Ironie der Sache: In der Ausbildung war etwa die Hälfte meiner katholischen Kollegen selber schwul. Das ist natürlich nicht repräsentativ, aber es ist unter uns Theologen ein offenes Geheimnis, dass viele katholische Priester homosexuell sind. Gerade in ländlichen Gebieten können sie so ihre Sexualität im Versteckten ausleben und müssen wegen des Zölibats niemandem erklären, weshalb sie nicht heiraten wollen.
Ihr seht, das Christentum hat nach wie vor grosse Probleme mit dem Thema Homosexualität. Aber grundsätzlich bin ich positiv gestimmt. In den letzten Jahren ist die Akzeptanz merklich gestiegen, was auch völlig richtig ist. Es gibt überhaupt keinen Widerspruch zwischen Christentum und Homosexualität. Gemeinhin werden etwa fünf umstrittene Bibelstellen immer wieder kontrovers diskutiert. Doch nach meiner Lesart wird da nirgends die Homosexualität, sondern das ausschweifende Leben, Untreue und Ehebruch verurteilt.
An die gläubige Minderheit, welche sich durch die LGBTQI+-Community bedroht sieht, will ich abschliessend sagen: Niemand will euch euren Glauben wegnehmen. Es ist jetzt aber an der Zeit, dass wir zusammen alte Zöpfe abschneiden. Denn ein Gebot aus der Bibel steht immer noch über allen anderen: Liebe deinen nächsten wie dich selbst.
(Aufgezeichnet von watson.ch)
Wie immer sind Kommentare gern gesehen. Solche, welche die Identität unserer Gesprächspartnerin enttarnen wollen, werden nicht freigeschaltet.
Tja, ich schau's mir an, sollte es sie bald mal nicht mehr geben, dann kann ich auch damit leben...
UND?
Spielt das eine Rolle, wenn die Verträglichkeit nicht mehr gegeben ist, dann muss man sich trennen und nicht versuchen eine andere Sicht oder Meinung zu unterdrücken.