Droht uns ein extremer Hitzesommer? Die ehrliche Antwort: «keine Ahnung»
Was soll uns drohen?
Der kommerzielle US-amerikanische Wetterdienst Accuweather schreibt Folgendes über den kommenden europäischen Sommer:
- Die Schweiz werde inmitten eines Gebiets von hoher Waldbrandgefahr und Hitzeperioden liegen.
- Die Hitze fange im Juni an und breite sich dann von der iberischen Halbinsel über Mitteleuropa bis nach Ungarn und Rumänien aus.
- Die Hitzewelle solle schlimmer werden als 2018.
- Temperaturen von über 38 Grad Celsius seien möglich, und zwar in Belgien, den Niederlanden, Polen, der Slowakei und Ungarn.
- Von Juli bis August seien in Süd- und Ost-Frankreich Temperaturen bis 40 Grad Celsius möglich.
- Die höchsten Temperaturen würden in Portugal und Spanien erreicht. Dort soll es mehrere Tag lang über 43 Grad Celsius heiss werden.
- Im Balkan werde es heftige Gewitterstürme geben.
- In Skandinavien soll es einen normalen Sommer geben. Im Gegensatz zum letzten Sommer könne man 70–100 Prozent des durchschnittlichen Regens erwarten.
Wo ist das Problem?
Nun ja ... je weiter die Wetterprognosen in der Zukunft liegen, desto ungenauer werden sie. Die überwiegende Mehrheit der Meteorologen sind der Meinung, dass Tages-Prognosen, die weiter als 7 bis 10 Tage in der Zukunft liegen, nahezu nutzlos sind.
Nicht so Accuweather: Der Wetterdienst bietet längere Prognosen an als die Konkurrenz. Seit 2013 gibt's eine 45-Tage-Voraussicht. Accuweather pries es damals als «revolutionär» an, der Meteorologe Jason Samenow hingegen nannte sie einen «Witz». Doch anscheinend war der Dienst so lukrativ, dass 2016 die 90-Tage-Prognose folgte.
Samenow schreibt, dass der Informationsgehalt einer 45-Tage-Prognose gleich null sei. Genauso gut könne man einfach z. B. die Durchschnittstemperatur der vergangenen Jahre nehmen und sie mit den Rekordwerten vergleichen, und hätte dabei immer noch eine genauere Prognose als die von Accuweather.
Der Meteorologe kritisiert ausserdem, dass der Wetterdienst die wissenschaftliche Methode nicht offenlege und ihre vergangenen Prognosen nicht analysiere (zumindest nicht öffentlich).
Das sagen Meteorologen
Auch der wohl berühmteste Meteorologe im deutschen Sprachraum, Jörg Kachelmann, kritisiert in einem Twitter-Thread die unreflektierte Übernahme der Prognose.
Leider hatten die Dummjournalisten, die solche offensichtlichen Lügengeschichten wie die vom Extremsommer absondern und sich zum nützlichen Idioten eines Wetterdienstes machen, der in Europa etwas bekannter werden möchte, nicht die Gnade eines kleinen Checks im Internet.
— Jörg | kachelmannwetter.com (@Kachelmann) 28. Mai 2019
Kachelmann sieht in der extremen Prognose des Wetterdienstes vor allem ein Versuch, in Europa Fuss zu fassen. Durch die alarmistische Prognose würde Accuweather eher zitiert und wahrgenommen.
Wir betrachten auf AccuWeather die drei Sommermonate Juni bis August. Als erstes der Juni. Erst die Tabelle, dann unten das Diagramm. Wir stellen fest: Die höchste Temperatur des Monats angeblich 26 Grad, immer wieder Regen - das wäre wohl Rekordkälte https://t.co/VMMpvHmFYT
— Jörg | kachelmannwetter.com (@Kachelmann) 28. Mai 2019
Die Kritik im Detail: Einerseits heisst es in der Prognose, dass uns ein Extremsommer droht, andererseits sagen die Diagramme für Juni und Juli eine Rekordkälte voraus, wie das von Kachelmann präsentierte Beispiel Berlin zeigt:
Weiter am Beispiel Berlin (andere Orte sehen nicht anders aus) der Juli: wieder ein rekordkalter Monat, es soll laut "Wildfire Threat"-Accuweather viel Regen und keinen einzigen Tag mit 30 Grad geben:https://t.co/2UbPasO3zW
— Jörg | kachelmannwetter.com (@Kachelmann) 28. Mai 2019
Ebenso der August, soweit dahttps://t.co/VmCknDwkA3
Daniela Domeisen, Professorin am Institut für Atmosphäre und Klima an der ETH Zürich, sagte gegenüber der NZZ: «Für den Sommer 2019 können wir zurzeit noch keine zuverlässige Prognose machen. Wir müssen abwarten, welche Wetterlage die Atmosphäre im Sommer produziert.»
Und Stephan Bader, Klimatologe bei Meteo Schweiz, bemängelt die fehlende wissenschaftliche Grundlage des Berichts über den angeblich kommenden Extremsommer. Zur NZZ sagt er: «Entsprechend können wir dazu keine Stellung nehmen.»
Droht jetzt also ein Extremsommer?
Das Fazit von Jörg Kachelmann im «Tages-Anzeiger»:
Immerhin gibt es das Europäische Zentrum für Mittelfristige Wettervorhersagen (ECMWF), das weltweit die besten Langfristvorhersagen macht – sind zwar keine amerikanischen Experten, dafür viel besser. Vorhersagen über mehrere Monate sind generell mit Vorsicht zu geniessen, aber nach dem ECMWF soll der Sommer bei uns eher zu warm und zu trocken, aber nicht dramatisch heiss oder waldbrandesk ausfallen.
Halt so ein bitzli wie immer. In zwei Wochen kommt die neue Vorhersage.»
(jaw)
