«Wenn wir keine Zivildienstler hätten, wäre das für uns recht einschneidend», sagt Ueli Raaflaub zu watson. Auf seinem Bio-Hof hoch über Gstaad helfen jedes Jahr junge Männer aus dem Zivildienst mit.
Seit 1993 führt Raaflaub den Muhof, einen Bio-Bauernhof mit Alpbetrieb. Seit 1996 der Zivildienst als Alternative zum Armeedienst eingeführt wurde, packen auch Zivis auf seinem Hof mit an. Auch aktuell wieder: Bis im August leisten zwei Zivildienstler Einsatz auf dem Muhof.
Sie rupfen invasive Pflanzen, pflegen Weiden, erhalten die Biodiversität. Doch nun droht der Strom dieser Helfer zu versiegen. Denn der Bundesrat – unterstützt vom Nationalrat und selbst von führenden Bauernvertretern – will den Zivildienst unattraktiver machen.
6799: So viele Schweizer wurden im Jahr 2024 zum Zivildienst zugelassen. Nur 2010 waren es noch mehr. Wenn es nach dem Bundesrat geht, sind das deutlich zu viele. Er will künftig höchstens 4000 neue Zivildienstler pro Jahr zulassen. Oder anders ausgedrückt: Der Zivildienst soll unattraktiver werden.
Das Ziel dieser Aktion: den Armeebestand sichern – und den Zivildienst wieder zu einer «Sonderlösung für Personen in Ausnahmesituationen» machen. Wenn es nach dem Bundesrat geht, soll es also keine Wahlfreiheit zwischen Zivildienst und Militär geben. Vielmehr soll der Zivildienst genau jenen vorbehalten sein, die einen Dienst in der Armee nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren können.
Konkret möchte die Regierung, dass jeder, der sich vom Militär in den Zivildienst umteilen lässt, in jedem Fall noch 150 Diensttage leisten muss – ganz egal, wie viel Militärdienst er schon absolviert hat. Neu soll es, analog zu den WKs im Militär, auch für Zivis eine jährliche Einsatzpflicht geben. Und: Wer sich während der Rekrutenschule umteilen lässt, muss spätestens im Jahr danach den langen Zivildiensteinsatz von 180 Tagen leisten.
In der Sommersession beriet der Nationalrat über die Vorlage. Mit dem Vorhaben des Bundesrates sind die linken Parteien nicht einverstanden. Sie kritisieren, dass Zivildienstler dort Einsätze leisten würden, wo sie die Gesellschaft aufgrund des Fachkräftemangels dringend benötige.
Auch Ueli Raaflaub schätzt die Möglichkeiten des Zivildienstes. Ohne den Zivildienst werde es schwieriger, die Arbeit alleine zu bewältigen. Besonders im Kampf gegen invasive Pflanzen wie die Blacke, die sich auf überdüngten Böden rasant ausbreitet, sei ihre Hilfe entscheidend.
«Wir waren in den letzten Jahren recht gut darin, Blacken zu vermindern und die Überwaldung einzudämmen. Dank den Zivis, muss man sagen», sagt Raaflaub. Sein Hof erstreckt sich über 30 Hektaren, 17 davon sind sogenannt extensive Wiesen, die besonders viel Arbeit und Pflege benötigen.
Eine Studie aus dem Januar 2025, die das Bundesamt für Zivildienst in Auftrag gegeben hat, zeigt: Mit 2,7 Prozent der total geleisteten Diensttage macht die Landwirtschaft zwar nur einen kleinen Bereich des Zivildienstes aus. Für die Landwirtinnen und Landwirte ist er aber wichtig: Sie setzen die Zivis dort ein, wo ihnen selbst Ressourcen fehlen – eben zum Beispiel in der Bekämpfung von Problempflanzen oder der Weidepflege auf der Alp.
Annelies Uebersax ist Mitglied der Geschäftsleitung von Agrofutura und Mitautorin der Studie. Sie sagt, dass Landwirte und Landwirtinnen stark ausgelastet seien und deshalb Aufgaben oft priorisieren müssten: «Beim Melken können Bergbauern keine Kompromisse machen, beim Unterhalt der Biodiversitätsflächen hingegen schon.» Genau bei solchen Aufgaben würden Zivis die Betriebe spürbar entlasten, da den Landwirten und Landwirtinnen oft die Zeit fehle. «In diesem Bereich hätten die Betriebe gerne noch mehr Zivildienstleistende und sicher nicht weniger», sagt Uebersax.
Das lässt sich auch in Zahlen ausdrücken. In der Evaluation gaben 25 Prozent der Bergbauern an, dass sie ohne Zivis die Arbeiten im Bereich Natur- und Landschaftsschutz nicht mehr erledigen könnten. 47 Prozent sagten, dass sie die Arbeiten reduzieren müssten.
Auch Bergbauer Ueli Raaflaub sieht das so – und führt gleich aus, was das langfristig bedeuten würde: «Würden die Zivis diese Arbeit nicht mehr machen, würden die Weideflächen verwuchern und irgendwann verwalden.»
Trotz der Vorteile für viele Bergbauern: Im Nationalrat stimmten auch Spitzenvertreter der Landwirtschaft für die Zivildienst-Verschärfung. Nationalrat Ernst Wandfluh (SVP/BE) ist Präsident des Schweizer Alpwirtschaftlichen Verbands (SAV) und damit so etwas wie der Chef der Bergbauern in der Schweiz. Gegenüber watson räumt er ein, dass es tatsächlich so sei, dass Bergbauern grundsätzlich immer Interesse an Zivis hätten.
«Eigentlich bin ich froh um jeden, der kommt, um etwa bei der Verwucherung zu helfen. Wir haben in der Alpwirtschaft Personalprobleme.» Aber in der momentanen geopolitischen Sicherheitslage sei er der Meinung: «Wer in die Armee gehen kann, soll das auch tun», sagt Wandfluh. Er findet, dass man die Gewissensprüfung wieder einführen sollte, um den Zivildienst noch unattraktiver zu machen.
Doch nicht alle Bauernvertreter machen bei den Plänen des Bundesrates mit. Kilian Baumann kann wenig mit dieser Argumentation anfangen. Auch er ist Bauer, auch er Präsident einer Landwirtschaftsorganisation, auch er ist Nationalrat. Allerdings für die Grünen. Baumann steht der Kleinbauern-Vereinigung vor. Er sagt, dass die Kleinbauern sehr froh seien um Unterstützung von Zivildienstlern: «Es ist wichtig, dass man heute überhaupt noch Leute aus der Schweiz hat, die in der Landwirtschaft arbeiten. Ansonsten würden diese Arbeitskräfte in der Regel aus dem Ausland geholt.»
Der Präsident des Schweizerischen Bauernverbands, Markus Ritter, hat der Vorlage für einen erschwerten Zivildienst zugestimmt. Der Mitte-Nationalrat wollte gegenüber watson keine Stellung beziehen. Stattdessen antwortet Sandra Helfenstein, Leiterin Kommunikation beim Bauernverband. «Bei der Änderung des Zivildienstgesetzes stand für unseren Präsidenten und die anderen bäuerlichen ParlamentarierInnen die Sicherung der Bestände für die Landesverteidigung sowie im Zentrum», schreibt sie. Wenn Zivildienstleistende zur Verfügung stünden und es Aufgaben für sie in der Landwirtschaft gebe, «dann ist das eine gute Sache».
Der Nationalrat hat der Vorlage des Bundesrates zugestimmt, im Herbst wird der Ständerat darüber beraten. Sollte auch er die Vorlage annehmen, hat der Schweizerische Zivildienstverband Civiva angekündigt, das Referendum zu ergreifen.
Für Bio-Bauer Ueli Raaflaub ist klar: Ohne Zivildienstler müsste er schauen, ob er freiwillige Helfer rekrutieren könnte. «Einen Angestellten dafür zu zahlen, das würde sich für mich nicht lohnen», so Raaflaub.
Trick: Die Hälfte der Schweizer Bevölkerung muss aktuell noch nicht mal zur Rekrutierung.