Es klang wie ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk. Anfang Dezember gaben die Swiss und ihre Kabinenpersonal-Gewerkschaft Kapers bekannt, dass man sich auf einen neuen Gesamtarbeitsvertrag geeinigt hatte. Angesichts der Verbesserungen aus Personalsicht schien die Annahme durch die Kapers-Mitglieder nur noch Formsache zu sein. «Die Attraktivität des Flight-Attendant-Berufs wird mit diesen Massnahmen aufgewertet», sagte damals Kapers-Präsidentin Sandrine Nikolic-Fuss. «Wir haben laut unseren Informationen den höchsten Bruttobasislohn in der Kabine in ganz Europa verhandelt, wenn nicht sogar weltweit.»
Auch Swiss-Chef Dieter Vranckx schien sich der Sache sicher: «Mit dem neuen Gesamtarbeitsvertrag möchten wir zum einen dem ausserordentlichen Einsatz unserer Kabinenmitarbeitenden während der letzten Jahre Rechnung tragen, zum anderen auch die notwendige Stabilität und attraktive Perspektiven für eine erfolgreiche Zukunft 2023 und darüber hinaus sicherstellen.»
Zur Einigung gehörte, dass das Brutto-Einstiegssalär von bisher 3400 auf 4000 Franken angehoben werden sollte – ein Plus von knapp 18 Prozent. Sämtliche Saläre sollten derweil um mindestens vier Prozent erhöht und die Einsatzplanung sozialverträglicher gestaltet werden.
Doch daraus wird vorerst nichts. Die Kapers-Mitglieder haben den Vorschlag für den neuen Gesamtarbeitsvertrag namens GAV23 abgeschmettert. 90 Prozent der rund 2300 Mitglieder folgten der Abstimmungseinladung – und sagten mit 65 Prozent Nein.
«Dieses klare Verdikt zeigt, dass das Paket für unsere Mitglieder ungenügend war», sagt Kapers-Präsidentin Sandrine Nikolic-Fuss. Sie erklärt sich die Ablehnung insbesondere mit zu wenig starken Verbesserungen bei der Einsatzgestaltung für eine flexiblere Planung des Privatlebens. Zudem sei das Swiss-Management bei gewissen Punkten wie beispielsweise beim Spesenreglement der Kapers nicht entgegengekommen. «Das schürte Misstrauen.»
Tatsächlich hat sich in den vergangenen Jahren der Frust beim Personal stark aufgestaut, auch weil die Airline während der Coronakrise 330 Kündigungen in der Kabine aussprach, was sich nachträglich als zu viel erwies. Im Zuge der Markterholung fehlte der Swiss dann plötzlich das nötige Kabinenpersonal. Ein Grosser Teil der Crew trägt seit längerem einen Protest-Pin mit dem Bild einer symbolischen Zitrone. Denn diese gilt beim Personal als ausgepresst.
Und dann wäre da noch die neue Situation im Arbeitsmarkt. Weltweit suchen Firmen nach qualifizierten Arbeitskräften – so auch die Swiss in der Kabine. Dessen sind sich die Leute bewusst, es ist eine andere Ausgangslage als noch vor einem Jahr, sagt Nikolic-Fuss. Die Angestellten sind sich ihrer Machtposition bewusst und wollen sich nicht mehr alles diktieren lassen. Ein Blick nach Deutschland zeige schliesslich, dass auch vermehrt mit Streiks Forderungen durchgebracht werden könnten.
Und jetzt? Der alte Gesamtarbeitsvertrag aus dem Jahr 2015 läuft nun weiter. Frühestens Ende April kann er auf April 2024 gekündigt werden, sowohl von der Kapers als auch von der Swiss – dann wären theoretisch auch Streiks möglich. Bis dahin bleiben allerdings alle aktuellen Regelungen in Kraft. Für die Airline hätte der neue, abgelehnte GAV zusätzliche Kosten in der Höhe von rund 100 Millionen Franken bedeutet.
Ob man den Vertrag kündigen werde, sei noch nicht entschieden, sagt Nikolic-Fuss. Und was bedeutet die Abstimmungsklatsche für die Kapers-Führung? «Ich bin über das Resultat nicht enttäuscht», sagt sie. «Im Gegenteil, es motiviert uns, uns weiter für bessere Arbeitsbedingungen einzusetzen.» (aargauerzeitung.ch)