Schweiz
Wirtschaft

Lebensmittelkontrolle: Beanstandete Restaurant bleiben geheim

Ist deine Lieblingsbeiz eine Grüselbeiz? Nein? Bist du sicher?

Bild: KEYSTONE
Viele Länder veröffentlichen mittlerweile die Berichte von Lebensmittelkontrollen – nicht so in der Schweiz. Die Branche will nicht, dass fehlbare Wirte an den Pranger gestellt werden. Im Parlament sind die Grüselbeizen immer wieder ein Thema.
11.11.2015, 06:3611.11.2015, 08:10
Sven Altermatt / Aargauer Zeitung
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Man sitzt im Restaurant, geniesst das Filet, und entspannt sich. Wüsste man allerdings, wie es mancherorts in der Küche zugeht, würde sich einem wohl der Magen umdrehen. Vergammelte Würstchen, Schimmel im Käse, Schaben unter dem Küchentisch: Nicht immer nehmen es Gaststätten mit der Hygiene so genau, wie es das Gesetz will. Manchmal ist es nur noch ekelerregend, was die Lebensmittelkontrolleure vorfinden.

Zum Beispiel im Kanton Bern: In fünf Prozent der Betriebe stiessen die Inspektoren im vergangenen Jahr auf gravierende Mängel. Bei 129 Gaststätten müsse man gar von einer «erheblichen Gefahr» für die Besucher ausgehen. Die Kontrolleure fanden verdreckte Küchen und Lebensmittel, die sich in Keimschleudern verwandelt haben.

Ein Lebensmittelinspektor inspizierte ein Restaurant in der Stadt Bern.
Ein Lebensmittelinspektor inspizierte ein Restaurant in der Stadt Bern.
Bild: KEYSTONE

Doch was nützen Lebensmittelkontrollen, wenn niemand davon erfährt? Denn egal, wo Herr und Frau Schweizer auch speisen: Sie wissen nicht, wie es um die Hygiene eines Restaurants steht. Die Wirte müssen nicht öffentlich machen, wenn sie von den Kontrolleuren gerügt werden. Auch die Behörden halten die Namen der Hygienesünder geheim – selbst dann, wenn Gästen immer wieder schlechte Lebensmittel aufgetischt werden.

Von unhaltbaren Zuständen erfahren die Konsumenten als Letzte. Gammelfleisch in der Küche ihrer Stammbeiz? Darüber werden sie nicht mal informiert, wenn längst die Strafbehörden ermitteln. Für Sara Stalder ist das schwer verständlich. Die Geschäftsleiterin der Stiftung für Konsumentenschutz fordert: «Restaurantbesucher müssen wissen, welche Betriebe sauber arbeiten und wo es an Hygiene fehlt.» Schon lange kämpft sie dafür, dass die Ergebnisse der Lebensmittelkontrollen veröffentlicht werden.

Sollten die Lebensmittelkontrollen im Gastgewerbe öffentlich sein?

Wirte warnen vor Pranger

Die Wirte werden vom Gesetzgeber geschützt. Es ist paradox: Einerseits gilt das Öffentlichkeitsprinzip mittlerweile in fast allen Kantonen. Amtliche Dokumente sind demnach für jeden einsehbar. Andererseits müssen sich die Kantone an das Lebensmittelgesetz des Bundes halten. Die Kontrolleure werden darin der Schweigepflicht unterstellt. Der Passus ist mehr als hundert Jahre alt – bislang scheiterten sämtliche Reformen am Widerstand der Gastro-Lobby.

2104 wurden alleine im Kanton Bern 6300 Lebensmittelbetriebe kontrolliert.
2104 wurden alleine im Kanton Bern 6300 Lebensmittelbetriebe kontrolliert.
Bild: KEYSTONE

Zuletzt votierten die eidgenössischen Räte vor zwei Jahren gegen die Offenlegung der Kontrollberichte. Gesundheitsminister Alain Berset plädierte vergeblich dafür, mehr Transparenz zu schaffen. Konsumentenschützerin Stalder versteht diesen Entscheid bis heute nicht. «Schwarze Schafe können sich weiterhin hinter der Schweigepflicht verstecken», sagt sie. Dabei müsste es doch im Interesse der Branche liegen, dass genau diese ausgemerzt werden.

Keine Geheimnisse in Zug

Was Stalder als überfällig bezeichnet, sorgt bei den Betroffenen für Unverständnis. Die Branchenspitze will nicht, dass die Resultate der Lebensmittelkontrolle veröffentlicht werden. «Der Hygienestandard im Schweizer Gastgewerbe hält weltweit jedem Vergleich stand», sagt Casimir Platzer, der Präsident von Gastro Suisse. Der Profi im Gastgewerbe wisse genau, was er «den Gästen zuliebe und in seinem eigenen Interesse» zu tun habe. Und die Gesundheit der Konsumenten sei schon heute gewährleistet. Eine Veröffentlichung der Kontrollen kommt für Gastro Suisse einem Pranger gleich. Schützt der Verband damit nicht vor allem die Sünder in den eigenen Reihen? Platzer verneint dies. «Sind Betriebe wirklich gesundheitsgefährdend, werden sie zugemacht und bleiben zu.» Genau dieser Meinung sind auch die weiteren Branchenverbände. 

Dabei wurden 9700 Lebensmittel- oder Trinkwasserproben genommen.
Dabei wurden 9700 Lebensmittel- oder Trinkwasserproben genommen.
Bild: KEYSTONE

Dem gegenüber steht der Kanton Zug. Hier setzen die Behörden als einzige nicht mehr auf Geheimniskrämerei. Alle Lebensmittelbetriebe erhalten seit 2009 ein Hygienezeugnis. Dieses umfasst die letzten drei Inspektionen. Die Noten reichen von «ungenügend» bis «sehr gut». Wirte, Bäcker und Metzger entscheiden selbst, ob sie das Zeugnis veröffentlichen. Bei seiner Einführung war das System umstritten. Schon damals betonten die Behörden jedoch: Nur ein kleiner Teil der Betriebe verstosse gegen die Vorschriften, und genau diesen wolle man wegbekommen.

Nach fünf Jahren zeigt sich laut Amt für Verbraucherschutz tatsächlich: Die Zahl der ungenügenden Betriebe ist um mehr als die Hälfte zurückgegangen. Gleichzeitig werden heute so viele Betriebe als «sehr gut» bewertet wie nie.

Bürgerliche gegen Transparenz

Den anderen Kantonen steht es frei, ähnliche Regeln gestützt auf ihr Öffentlichkeitsgesetz einzuführen. Selbst einer Vorschrift zur Offenlegung der Lebensmittelkontrollen stehe das Schweizer Lebensmittelgesetz nicht im Weg, heisst es beim eidgenössischen Datenschutzbeauftragten. Vorerst sind die Zuger aber allein mit ihrer Offenheit.

Bei rund 200 Betrieben wurden erhebliche oder grosse Mängel festgestellt.
Bei rund 200 Betrieben wurden erhebliche oder grosse Mängel festgestellt.
Bild: KEYSTONE

Auf nationaler Ebene wird derweil weiter über die «Grüselbeizen» diskutiert. Parlamentarier von links bis rechts fordern mehr Transparenz bei den Lebensmittelkontrollen. Allen voran die Berner SP-Nationalrätin Nadine Masshardt und ihr St. Galler SVP-Ratskollege Lukas Reimann. Doch sämtliche bisherigen Anläufe der beiden scheiterten. Immer waren es bürgerliche Politiker, die Verschärfungen verhinderten.

Jetzt auf

Masshardt prüft nun einen neuen Vorstoss. Es gehe nicht darum, sagt sie, Wirte wegen kleiner Übertretungen anzuprangern. «Jeder Betrieb könnte die gute Hygiene auch als Qualitätsmerkmal verstehen.» Die Sozialdemokratin ist überzeugt: Wer sauber arbeitet, hat nichts zu verstecken. 

Wie die Schweiz in Europa hinterherhinkt
Sollen Konsumenten wissen, wie es um die Hygiene von Restaurants oder Imbissbuden steht? In immer mehr Ländern Europas wird diese Frage bejaht – aber nicht in der Schweiz.

An vorderster Front steht Dänemark, wo transparente Lebensmittelkontrollen üblich sind: Restaurants und andere Lebensmittelbetriebe werden seit 2002 mit einem Smiley-System bewertet. Jeder Betreiber muss diese gut sichtbar am Eingang anbringen. Wo es bei den Kontrollen keine Beanstandungen gab, hängt ein fröhliches Smiley an der Türe. Ein grimmiges Symbol zeugt dagegen von gravierenden Hygienemängeln. Jeder Bürger kann die jüngsten Kontrollberichte zudem online einsehen.

Seit 2002 sei der Anteil der Betriebe in der besten Kategorie von70 auf 85 Prozent gestiegen, heisst es bei der dänischen Lebensmittelbehörde. Umfragen zufolge zeigt sich die Branche zufrieden mit dem System. Selbst in der Bevölkerung kenne mittlerweile jeder die Smileys.

In Grossbritannien und Finnland erfahren Konsumenten ebenfalls längst, wie Restaurants bei Lebensmittelkontrollen abgeschnitten haben. Und auch in den Nachbarländern der Schweiz tut sich einiges: In Frankreich wurde jüngst ein neues Gesetz verabschiedet. Die Ergebnisse von Lebensmittelkontrollen müssen künftig transparent gemacht werden.

Ähnliches ist mancherorts in Deutschland bereits heute Pflicht. Nun sollen die Kontrollen sogar im ganzen Land öffentlich werden. Das Verbraucherschutzministerium in Berlin hat einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorgelegt. (sva)
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33 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Edgar Allan Klo
11.11.2015 07:36registriert Februar 2014
Es sind doch immer die sogenannten Bürgerlichen, die nicht für den Wähler, sondern für ihre Geldgeber stimmen. Siehe auch Parteifinanzierung, Parallelimporte, undsoweiter...
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MyAnusIsBleeding
11.11.2015 10:05registriert Oktober 2014
Arbeitete auch 3,5 Jahre im Lebensmittelbereich.
- Vermicellespüree verschimmelt? Kein Problem kann man abkratzen, genug mit Kirsch mischen und weiter geht's
- 4 monatige Eier, innen verschimmelt? Kein Problem, einfach nicht mit dem Finger abschaben. Was von selbst rausfliesst kann man noch brauchen.

Das Geilste war immer wenn's gegen Herbst wieder Berliner zu produzieren gab. Das Frittierfett durften wir nur auswechseln wenn's schon bei 120° den Produktionsraum einnebelte und auf Grund von brennenden Augen, ein Arbeiten nicht mehr Möglich war.

Adiämerci! -_-

Öffentliche Resultate? JA!
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The_Doctor
11.11.2015 09:23registriert März 2015
Am besten macht man's wie in Ne York. Da muss jeder Betrieb seine "Schulnote" in Sachen Hygiene ins Fenster hängen. Das ist im Interesse der sauberen Betriebe und der Konsumenten. So können unsaubere Betriebe auch nicht einen unfairen Wettbewerbsvorteil durch Kosteneinsparungen mit Gammelware herausholen.
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