«Wollen wir das Gespräch nicht gleich im Geschäft führen?», fragt Ikea-Schweiz-Chefin Jessica Anderen beim Interviewtermin in Spreitenbach AG. Die Schwedin freut sich, dass in den Filialen wieder mehr Leben herrscht, wie sie inmitten von Kücheninstallationen, Sofas und Hockern erklärt.
Die Heimbüros der Schweiz sind nach mehr als zwei Pandemiejahren eingerichtet. Ist Ihr Bürotisch-Umsatz eingebrochen?
Jessica Anderen: Der grosse Home-Office-Boom hat den Höhepunkt erreicht, aber die Nachfrage nach Bürotischen und -Stühlen ist immer noch da, denn viele von uns arbeiten nach wie vor Zuhause.
Gibt es viele Firmen, die ihre langweiligen Büros nun aufzumotzen versuchen?
Bestimmt, denn die Ansprüche der Angestellten haben sich verändert. Man möchte gemütliche Sofas, Ecken oder Kabinen für ruhige Gespräche, und so weiter. Auch wir mussten umdenken und haben beispielsweise in neue Telefonboxen investiert oder unsere Terrasse neugestaltet.
Was war denn der absolute Home-Office-Blockbuster?
Der elektrisch höhenverstellbare Bürotisch wurde enorm viel bestellt. Das Zuhause rückte generell in den Fokus, man schätzt es als sicheren Rückzugsort, gerade wenn die Welt draussen verrücktspielt. Und so war auch alles, was ins Schlafzimmer gehört, gefragt. Der Erholungs- und Wohlfühl-Faktor wurde wichtiger, genauso wie Kücheneinrichtungen und -utensilien, weil plötzlich viele angefangen haben zu kochen und zu backen. Diese Leidenschaft spüren wir auch jetzt noch.
Wie hat sich Ihr Umsatz dieses Jahr bisher entwickelt?
Wir sind auf einem guten Kurs trotz den aktuellen Herausforderungen auf dem globalen Markt.
Inwiefern hat sich das Konsumentenverhalten seit Covid verändert?
Die Ansprüche sind vielfältiger geworden und man möchte alle möglichen Einkaufskanäle nutzen können. Unser Online-Anteil ist von 8 auf 23 Prozent geklettert, und wir sehen keine Anzeichen eines Einbruchs. Gleichzeitig kommen die Leute gerne zurück in unsere Möbelhäuser, um die Produkte in echt zu sehen und anfassen zu können. Dabei sind sie aber heutzutage im Vorfeld besser informiert und wissen genau, was sie suchen.
Ikea verkauft seit einiger Zeit Produkte auch auf Amazon. Bald auch auf Galaxus oder Microspot?
Aktuell gibt es keine derartigen Pläne, aber wir möchten nichts ausschliessen. Denn wir schauen uns stets neue Möglichkeiten an. In China haben wir zum Beispiel den Verkauf auf Plattformen wie Alibaba und Tmall getestet.
Lange Zeit gab es keine neuen Ikea-Filialen in der Schweiz. Nun folgt 2023 eine neue im Wallis, und noch dieses Jahr ein Beratungsstudio in Chur für Küchen und Schränke. Hat dieser plötzliche Expansionshunger damit zu tun, dass Ikea umsatzmässig von der XXXLutz-Gruppe überholt wurde?
Wir planen unabhängig von unserer Konkurrenz und sind gerade dabei, unterschiedliche Formate zu testen – auch Pop-up-Beratungsstudios in Bern und Zürich.
Dann gibts bald mehrere kleinere Filialen in Innenstädten?
Die Idee ist es, näher bei den Leuten zu sein. In diesen so genannten «Plan and Order»-Geschäften kann man sich von Wohnexperten beraten lassen – und die Produkte dann auch gleich online bestellen und nach Hause liefern lassen.
Wie gross ist das Potenzial für solche neuen Konzepte?
Am naheliegendsten sind solche Konzepte natürlich in den grössten Schweizer Städten wie Zürich, Basel oder Genf. Denn wir möchten der urbanen Klientel die Möglichkeit geben, Ikea im städtischen Umfeld zu erleben. Fünf neue Standorte halte ich insofern mittelfristig für realistisch. Auf jeden Fall bleiben wir flexibel. Wichtig ist für uns, dass diese Standorte mit dem öffentlichen Verkehr gut angebunden sind.
Fakt ist, dass das Fast-Fashion-Konzept, mit ständig neuen, günstigen Produkten, auch von Ikea kultiviert wird. Wenn diese nicht mehr trendy sind, landen sie in der Kehrichtverbrennung, weil sie nicht rezyklierbar sind.
Wir haben uns zum Ziel gesetzt bis 2030 all unsere Produkte ausschliesslich aus erneuerbaren oder recycelten Materialien und nach den Circular-Design-Prinzipien herzustellen. Das heisst, wir entwickeln unsere Produkte so, dass sie in Einzelteile zerlegt werden und wiederverwendet oder recycelt werden können. In all unseren Stores kaufen wir schon heute Artikel in gutem Zustand zurück und verkaufen sie weiter. Und erst kürzlich haben wir schweizweit Flohmärkte auf unseren Parkplätzen veranstaltet, um das Thema Second Hand voranzutreiben.
Aber wie gross ist der rezyklierte Anteil Ihres Sortiments heute?
17 Prozent der Materialien in unseren Produkten sind recycelt. Wir bieten beispielsweise Küchen-Einrichtungen aus recyceltem PET und Bambus an, und 88 Prozent unseres Polyester ist recycelt. Kürzlich haben wir zudem die beliebten, gelben Alkali-Batterien aus dem Sortiment genommen und verkaufen nur noch wiederaufladbare Batterien.
Das Holz vieler Billigmöbel stammt aus Ur- und Naturwäldern in Rumänien und Russland. Oft wird dort illegal abgeholzt. Können Sie garantieren, dass Ikea-Holz stets aus legaler Produktion stammt?
Wir akzeptieren unter keinen Umständen illegal geschlagenes Holz. Wir haben enorm viele Lieferanten und überwachen die Einhaltung der Regeln so gut wie wir nur können. Zusätzlich lassen wir unsere Lieferkette von externen Firmen konstant überprüfen. Berichte von NGO’s und Interessentengruppen nehmen wir sehr ernst und sprechen mit den betroffenen Organisationen.
In der Vergangenheit aber offensichtlich nicht. Wurde dieser Aspekt vernachlässigt?
Wir sind froh, wenn wir auf allfällige Missstände aufmerksam gemacht werden. Beim Fall, den Sie hier ansprechen, haben wir sofort Kontrollen beim erwähnten Lieferanten eingeleitet und die Fakten geklärt. In einem Fall haben sich diese nicht bestätigt und in einem anderen Fall haben wir die Geschäftsbeziehung mit dem Lieferanten sofort aufgelöst.
Die globalen Lieferketten-Engpässe sind nach wie vor ein grosses Problem, das durch den Krieg in der Ukraine verstärkt wurde. Wie stark ist Ikea betroffen?
Wir sind betroffen, vor allem emotional, aber natürlich auch geschäftlich. Wir haben Anfang März sämtliche Exporte aus Russland und Belarus gestoppt. Unsere Bett-Roste aus Holz stammen zum Beispiel aus dieser Region. Wir konnten zwar auf andere Partner ausweichen, aber das kostet entsprechend Zeit und Geld. Dasselbe ist der Fall in Asien, wo die strengen Covid-Lockdowns die Produktion und Lieferung verzögern, insbesondere elektrisches und metallenes Zubehör. Dies kann teilweise zu längeren Wartezeiten bei der Bestellung führen.
Hinzu kommt die Inflation. Wie stark mussten Sie bei den Preisen reagieren?
Bei rund der Hälfte unserer Artikel mussten wir dieses Jahr Preiserhöhungen vornehmen, weil die Kosten für Rohmaterial, Produktion oder Transport gestiegen sind. Die Inflation hat bisher etwa ein Prozent unseres Sortiments mit über 10'000 Artikeln signifikant verteuert. Und bei einigen Artikeln konnten wir den Preis trotz der aktuellen Situation sogar senken.
Werden auch die Hotdogs und Köttbullar teurer?
Auch bei den Lebensmitteln sind unsere Einkaufspreise gestiegen. Uns ist aber wichtig, erschwinglich zu bleiben.
Das heisst aber, der Hotdog kostet bald mehr als 1 Franken?
Wir planen aktuell tatsächlich eine Preisanpassung auf 1.50 Franken für den Hotdog aus Fleisch, voraussichtlich ab dem 1. Juli. Bei der vegetarischen Hot-Dog-Variante bleibt der Preis bewusst bei 1 Franken, weil wir den nachhaltigen und gesunden Konsum so erschwinglich wie möglich gestalten möchten.
Wie gefragt sind denn die veganen Menus überhaupt?
Sehr gefragt! Die Leute sind neugierig. Heute sind rund 10 Prozent unserer verkauften Hotdogs vegetarisch und 15 Prozent der Köttbullar vegan. Bis 2025 möchten wir in unseren Restaurants 50 Prozent der Menus pflanzenbasiert anbieten.
Ikea nimmt am Wochenende als Firma an der Pride-Parade in Zürich teil. Sie auch?
Ja natürlich, ich freue mich sehr darauf! Das Bekenntnis zu Diversität und Inklusion ist mir und dem gesamten Konzern sehr wichtig. Auf der Führungsebene haben wir in der Schweiz bereits gleich viele Frauen wie Männer und garantieren gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Ausserdem bieten wir selbstverständlich Elternzeit an, egal ob für Vater und Mutter, Mutter und Mutter, oder Vater und Vater.
Viele Grosskonzerne präsentieren sich derzeit mit Regenbogenfarben, obwohl sie sich letztes Jahr nicht für die «Ehe für alle» aussprechen wollten. Ein starkes Bekenntnis zur LGBTQI+-Community – oder reines Rainbow-Washing?
Ich verstehe was Sie meinen, aber für mich zählt jeder Schritt. Denn irgendwo muss man ja beginnen, sonst kommt nie etwas in Gang. Natürlich, auf Dauer reicht es nicht, sein Logo in Regenbogen-Farben zu tauchen und zu denken, dass man sich dann zurücklehnen kann. Das Engagement muss sich konstant weiterentwickeln, bis es keines mehr braucht.
Wie denn?
Wir fragen uns ständig: Wie können wir eine Vorreiterrolle übernehmen? Was können wir noch machen? Dazu gehören auch die symbolischen Pride-Farben, beispielsweise durch den Verkauf unserer bekannten Einkaufstaschen in Regenbogenfarben. Dies ist aber nur ein Aspekt.
Was sind weitere?
Wir möchten Angestellte, die unsere Grundwerte, wie die Diversität, teilen. Und wir möchten eine Umgebung schaffen, wo jede Person sie selbst sein kann. Uns ist es beispielsweise wichtig, dass Mitarbeitende, die sich in einer Geschlechtstransition befinden, wissen, dass wir voll und ganz hinter ihnen stehen und dass sie unterstützt werden.
Finanziell?
Emotional. Wir sorgen dafür, dass sie intern offen darüber sprechen können, ohne diskriminiert zu werden. Um diese Vertrauensbasis zu schaffen, braucht es eine konstante Kommunikation zu diesen Themen. Es braucht Worte und Taten. Und zwar in vielen Bereichen, denn Inklusion betrifft nicht nur das Geschlecht. So haben wir auch ohne langes Zögern ukrainische Flüchtlinge eingestellt, um ein Zeichen für Inklusion zu setzen.
Zum Thema Inklusion gehört auch der Miteinbezug von Menschen mit Behinderung. Gibt es da Bestrebungen, zum Beispiel beim Design und dem Zusammenstellen von Möbeln?
Klar, das ist auch ein Thema. Wir haben heute schon einige Produkte, die insbesondere auch für Menschen mit Behinderungen gedacht sind, beispielsweise mit speziellen Türknaufs oder Armlehnen. Aber auch hier muss natürlich eine fortlaufende Entwicklung stattfinden.
Vor einem Jahr berichtete diese Zeitung über Missstände in einer Ikea-Filiale in Dietlikon ZH. Dort kann der Rundgang für Rollstuhlfahrende in einer Sackgasse enden. Haben Sie dieses Problem behoben?
Wir sind uns des Problems bewusst, jedoch ist diese Filiale baulich eine Herausforderung. Uns fehlt leider die nötige Flexibilität für eine Lösung, bei dem das Geschäft überall sowohl den Sicherheitsrichtlinien entspricht als auch rollstuhlgängig ist. Wir haben aber die Kommunikation an der besagten Stelle verbessert und unsere Mitarbeitenden werden regelmässig sensibilisiert, Betroffenen Hilfe zu bieten.
… Ikea ist ein milliardenschwerer Konzern, der das Geld für eine bauliche Verbesserung locker bezahlen könnte.
Eine vollständige Problemlösung vor Ort bräuchte einen Komplettumbau, der in Punkto Nachhaltigkeit schwer zu begründen wäre. Auch das müssen wir berücksichtigen.
Ikea bekennt sich auf der Website und in Reporten zur «sozialen Nachhaltigkeit». Finden Sie es persönlich in Ordnung, dass die drei Söhne von Ikea-Gründer Ingvar Kamprad ein Vermögen von 55 Milliarden Franken besitzen?
Dies ist eine Familienangelegenheit. Als CEO und als Nachhaltigkeitsverantwortliche widme ich mich dem Unternehmenserfolg in der Schweiz und stelle sicher, dass unsere Firma einen gesellschaftlichen Beitrag leistet.
Dann halt eine weniger heikle Frage zum Schluss: Welches Möbelstück steht als Nächstes auf Ihrer Einkaufswunschliste?
Kein Möbel, aber ein Plattenspieler, den Ikea bald in Zusammenarbeit mit der Musikgruppe «Swedish House Mafia» lanciert. Darauf freue ich mich schon lange. (aargauerzeitung.ch)
Zum Thema Inklusion- ich nehme dies den Firmen erst ab, wenn in der Filiale beeinträchtigte Mitarbeiter arbeiten. Warum sehen wir z.B. nie Kundenberater im Rollstuhl, amputierte oder z.B. kleinwüchsige? Das wäre doch alles machbar. Körperbehinderte Menschen arbeiten selten im sichtbaren Kundenkontakt. Wieso eigentlich?