Zehntausende von Jugendlichen müssen inmitten der Coronakrise eine Lehrstelle suchen. Dem Vorzeigeland Schweiz droht in Sachen Jugendarbeitslosigkeit eine mittlere Katastrophe: «Wir werden im Sommer ein extrem stärkeres Anschwellen der Jugendarbeitslosigkeit erleben», erklärte Bildungsökonom Stefan Wolter in einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger».
Die Uni Bern schätzt, dass in den nächsten zwei Jahren bis zu 6000 Jugendliche ohne Lehrstelle dastehen könnten.
Maria K.* ist eine dieser 6000 Jugendlichen. Mit 17 hat sie eine Lehre als Fachfrau Betriebsunterhalt angefangen, nach einem Jahr musste sie die Lehre aufgrund eines schweren Unfalls abbrechen. Nun sucht die 21-Jährige seit drei Jahren nach einer neuen Stelle. Nach 400 geschriebenen Bewerbungen hat sie aufgehört zu zählen. Die Coronakrise hat alles noch schlimmer gemacht.
«Ich verstehe es nicht. Ich bin unglaublich motiviert und doch will mich keiner einstellen. Ich will nicht von der Sozialhilfe leben, ich will arbeiten», sagt Maria K. Momentan hält sie sich mit Promo-Jobs über Wasser, doch das soll nicht ewig so weitergehen.
Wählerisch ist die 21-Jährige indes nicht. Sie bewirbt sich breitflächig in diversen Branchen, die Antworten sind jedoch immer dieselben. «Die Betriebe sind abgeschreckt, weil ich bereits eine Lehre abgebrochen habe. Einmal habe ich mich bei einer Garage beworben und der Chef hat mir gesagt: ‹Ich würde lieber jemanden mit Vorstrafen einstellen, als jemanden, der seine Lehre abgebrochen hat.›»
All das macht Maria wütend. Ihr Zorn richtet sich jedoch nicht gegen die Betriebe, sondern gegen die Politik. Sie fühlt sich alleingelassen: «Die Politik sollte sich mehr für uns einsetzen.»
Gehört wurden Marias Hilferufe von den schweizerischen Jungparteien.
Die Junge SVP Schweiz (JSVP) hat am Dienstag einen Aktionsplan mit dem Namen «SOS Jugendarbeitslosigkeit» vorgelegt. Darin fordert die Partei:
Auch die Juso hat sich dem Thema angenommen und das Konzept des «Zukunftsrappens» ausgearbeitet. Im Rahmen dieses Konzepts soll jedes Unternehmen eine zusätzliche Abgabe von einem Rappen auf jeden Franken Unternehmensgewinn abgeben.
«Damit sollen einerseits Weiterbildungen für Menschen jeglichen Alters finanziert werden, aber in erster Linie sollen Unternehmen, welche wegen finanziellen Engpässen keine Lehrstelle anbieten können, Unterstützung erhalten», sagt Ronja Jansen, Präsidentin der Juso Schweiz. So will die Partei das Angebot an Lehrstellen aufrecht erhalten.
Neben der Einführung des «Zukunftsrappens» fordert die Juso auch strengere Richtlinien für Praktika. «Im Moment können wir eine grosse Zunahme von Praktika beobachten, während weniger reguläre Jobs und Lehrstellen angeboten werden. Insbesondere Junge Menschen drohen dadurch als billige Arbeitskräfte missbraucht zu werden.»
Die Jungfreisinnigen Schweiz halten nicht viel von weiteren Subventionen und anderen «finanziellen Übungen», wie sie Matthias Müller, Präsident der Jungfreisinnigen Schweiz, nennt. Sie setzt lieber auf bewährte Mittel. So zum Beispiel auf die «Task Force Berufsbildung», die Anfang Mai von Bundesrat Guy Parmelin ins Leben gerufen wurde.
Diese Task Force soll die Kantone, die Sozialpartner sowie den Bund an einem Tisch vereinen und hat im Wesentlichen die Aufgabe, die sich verändernde Situation auf dem Lehrstellenmarkt zu beobachten, zu analysieren und gegebenenfalls für Stabilisierungsmassnahmen zu sorgen.
Konkret heisst das: Betriebe in Kurzarbeit dürfen Lehrabgänger trotz Einstellungsstopp einstellen. Auch werden Projekte von Kantonen und Wirtschaftsorganisationen, die Lehrstellen fördern, finanziell unterstützt. Darunter fallen zum Beispiel Coaching und Mentoring von Lehrstellensuchenden.
Matthias Müller mahnt zudem, «nicht in überhasteten Aktivismus zu verfallen». Wichtiger sei es, den Unternehmen den Wert von Lehrstellen zu vermitteln.
Eine Studie des Eidgenössischen Hochschulinstituts für Berufsbildung zeige nämlich, dass es sich für die Lehrbetriebe in aller Regel lohnt, selbst Fachkräfte auszubilden, statt diese extern zu rekrutieren. Dafür würde sich zum Beispiel eine Informationskampagne anbieten. «Wichtig ist zudem, dass die Lehrstellensuchenden weniger wählerisch sind und in diesen schweren Zeiten auch mal eine Lehrstelle, die nicht ihrer ersten Priorität entspricht, annehmen. Denn Arbeitslosigkeit ist die falsche Alternative.»
Maria K. hat dies versucht. Auch hat sie Hilfe, zum Beispiel für ihre Bewerbungen, in Anspruch genommen. Es hat alles nichts gebracht. Vom Aktionsplan der SVP erhofft sie sich viel: «Endlich hört uns jemand aus der Politik. Ich hoffe, die Dinge werden sich nun zum Positiven verändern.»
*Name von der Reaktion geändert
Dennoch haben Leute auch eine zweite Chance verdient, Junge sowieso. Ich hoffe, es klappt bald...