«Der Schatten von Pierin Vincenz»: Das wollte Beat Stocker nie gewesen sein, wie er Anfang Januar in einem langen Interview mit der «NZZ am Sonntag» betonte. Am zweiten Tag im grossen Prozess zum Raiffeisen-Komplex erhielt Stocker Gelegenheit, zu zeigen, «wer ich wirklich bin». Das Versprechen, das er schon den NZZ-Lesern gemacht hatte, vermochte der 62-jährige Unternehmensberater aber auch in der gerichtlichen Befragung nicht einzulösen.
Zwar zeigte sich Stocker gut vorbereitet, und das rund 90-minütige Verhör, in dem die Richter teilweise weit in die Details einzelner Transaktionen vordrangen, brachte den diplomierten Ökonomen aus Zürich nie erkennbar ins Wanken.
Im Unterschied zu Vincenz, der am Vortag wenigstens ansatzweise auch Fehler zu erkennen gab, präsentierte sich Stocker makellos. Der Mann, für den die Staatsanwaltschaft eine sechsjährige Gefängnisstrafe fordert, sagte, er sei «empört», wenn er die kurze Einleitung in der 356-seitigen Anklageschrift lese und sehe, wie viel kriminelle Energie ihm darin zugemutet werde.
Da heisst es, Pierin Vincenz und Beat Stocker hätten «teilweise gewerbsmässig, in der Absicht sich oder einen anderen unrechtmässig zu bereichern, jemanden durch Vorspiegelung oder Unterdrückung von Tatsachen arglistig irregeführt oder ihn in einem Irrtum arglistig bestärkt?». Stocker sagt:
Freilich zeigte sich auch Stocker im Umgang mit dem Geld der anderen nicht eben zurückhaltend, wie seine im Vergleich zu Vincenz zwar kleineren, aber ebenfalls üppigen Spesenrechnungen zeigen. So mietete der in Bern wohnhafte Zürcher, der als Geschäftsführer der Kreditkartenfirma Aduno tätig war, im noblen Zürcher Altstadthotel Kindle ein Businessapartment, um die Reisezeit zwischen dem Hauptort seiner geschäftlichen Aktivität und seinem Wohnort zu reduzieren. Dafür vereinbarte er in seiner Funktion als Aduno-Chef mit dem Verwaltungsrat beziehungsweise mit dessen Präsidenten Pierin Vincenz eine Kostenbeteiligung von Aduno in Höhe von 120'000 Franken.
In den zwei Jahren nachdem der Mietvertrag bereits ausgelaufen war, stellte Stocker der Aduno noch Nebenkosten für das Apartment in Höhe von fast 80'000 Franken in Rechnung. Auf die Frage, weshalb die Abrechnung so spät erfolgte, zeigte sich der Beschuldigte nicht verlegen: «Es gab eine Vereinbarung.» Weshalb das Abrechnungsprozedere aber so verdächtig kompliziert sein musste, vermochte der Befragte dann nicht mehr zu erklären.
Stocker zeigt sich gern als risikobereiter Unternehmer. Aber die Annehmlichkeiten eines Managerlebens mochte auch er nicht verschmähen. Daran ändern auch die guten Gründe nichts, die er selbst für extravagante Spesen zu nennen wusste.
Die Begleitung seiner Ehefrau auf Geschäftsflügen nach Lugano sei aufgrund seiner MS-Erkrankung und zeitweitweiser Sehstörungen nötig gewesen. Nützlich waren auch die gelegentlichen Ausflüge ins Rotlichtmilieu. Denn auch Striplokale seien gute Aduno-Kunden.
Auch auf die Fragen zu den Haupttransaktionen zeigte sich Stocker um Antworten nie verlegen. Die Geheimhaltung von Beteiligungen an Firmen, die später von Aduno oder Raiffeisen übernommen wurden, waren nach Darstellung des Beschuldigten keine Verheimlichung, sondern schlicht diskretes Geschäftsgebaren, wie es im Geschäft mit Private Equity (Privatmarktanlagen) üblich sei. Die über eine Zuger Holding namens iFinance geheimgehaltene Beteiligung am Bezahldienstleister Commtrain sei nicht mit dem Ziel erfolgt, die Firma später an Aduno zu veräussern. Die verdeckte Beteiligung sei vielmehr das «Skin in the Game» gewesen, wie Stocker sein persönliches unternehmerisches Risiko in dem Geschäft bezeichnete.
Die Beteiligung blieb gegenüber dem Aduno-Verwaltungsrat auch geheim, als dieser schon über die Möglichkeiten eines Commtrain-Kaufs zu diskutieren begann. Ob Stocker in den Ausstand getreten wäre, wenn der Verwaltungsrat über die Beteiligung Bescheid gewusst hätte, wollte das Gericht wissen: Da wäre ja reflexartig die Gefahr von Interessenskonflikten hochgekommen, sagte der Befragte. Aduno hätte die Chance auf eine Zusammenarbeit mit Commtrain am Ende vielleicht gar nicht genutzt, was er mit der Verheimlichung seiner Beteiligung vermieden habe.
«Darf ich ehrlich sein?», sagte Stocker dem Gericht ohne Ironie auf eine Frage zum Commtrain-Komplex, über die er vier Jahre nachgedacht habe. Er verfüge über die Gabe, Lösungen für Probleme viel schneller zu erkennen als andere, hatte er schon der NZZ verraten. Ob er das Talent so uneigennützig in den Dienst der Kunden stellte, wie er dies dem Gericht darzulegen versuchte, dürfte am gestrigen Prozesstag nicht allen Zuhörern klar geworden sein. (saw/ch media)