«Es war ein Versehen», sagte Pierin Vincenz, als er vom Gerichtsvorsitzenden Sebastian Aeppli gefragt wurde, weshalb er 2015, im Jahr seiner Pensionierung als Raiffeisen-Chef, auch das Flugticket seiner aktuellen Lebenspartnerin von Amsterdam nach Dubai als geschäftliche Auslage durch Raiffeisen bezahlen liess.
Von den insgesamt sieben Angeklagten in dem am Dienstag im Zürcher Volkshaus eröffneten Strafprozess im sogenannten Raiffeisen-Komplex hatte der einst populärste Banker der Schweiz den ersten Auftritt. Er hinterliess dabei einen eher zwiespältigen Eindruck.
Das Gericht brachte Vincenz in der knapp eineinhalbstündigen Befragung mehrmals in Verlegenheit und erhielt bisweilen wenig plausible oder mindestens wenig überzeugende Antworten. Im Fall der luxuriösen Reise in den Golfstaat, auf der sich Vincenz nach eigenen Aussagen für die treuen und langjährigen Dienste seines Kommunikationsverantwortlichen (und mitangeklagten) Christoph Richterich und eines zweiten Geschäftspartners bedanken wollte, sei es im Sekretariat von Raiffeisen zu einer Verwechslung gekommen, sodass auch das 7800 Franken teure Flugticket seiner privaten Begleiterin in auf dem Spesenkonto gelandet sei.
Für die einwöchige Reise des Quartetts zahlte Raiffeisen rund 50'000 Franken. Ob er die Auslage für die überaus grosszügige Dankesgeste vorgängig mit dem Verwaltungsrat besprochen habe, wollte das Gericht wissen. Er habe in Erinnerung, die Auslagen in der Abrechnung bezeichnet zu haben, antwortete Vincenz ausweichend. Erst auf Nachfrage des Chefrichters räumte er ein, die Angelegenheit mit dem Verwaltungsrat nicht vorgängig besprochen zu haben, denn «das war nicht Usus».
Eine Rückzahlung der Flugticketspesen für seine Lebenspartnerin an Raiffeisen sei bis heute nicht erfolgt. Vincenz sagte vor Gericht:
Die üppigen Spesenauslagen von Vincenz und dem zweiten Hauptbeschuldigten Beat Stocker in Höhe von mehreren 100'000 Franken bildeten selbstredend einen wesentlichen Teil der Befragung von Vincenz. Und dessen Antworten liessen angesichts der finanziellen Dimensionen fast zwangsläufig Fragen offen. So hatte sich Vincenz ebenfalls nur wenige Monate vor seiner Pensionierung als Raiffeisen-Chef mit einem Privatjet von einer privaten Reise auf die kanarischen Insel Teneriffa in die Schweiz zurückfliegen lassen.
Als Begründung für den 28'000 Franken teuren Flug nannte Vincenz die unvermittelte Unentbehrlichkeit seiner persönlichen Präsenz bei der 100-Jahr-Feier einer der über 200 Genossenschaftsbanken im Raiffeisen-Universum. Welche Kasse so dringend auf die Anwesenheit Vincenz’ gedrängt hatte, wusste dieser freilich nicht mehr.
Während der damalige Verwaltungsratspräsident Johannes Rüegg-Stürm eine Legitimation für Reisespesen in dieser Grössenordnung nur im Fall eines «totalen menschlichen Notfalls» als gegeben erachtet, wie dieser der Staatsanwaltschaft erklärte, meinte Vincenz lapidar:
Seine private Beteiligung am Bezahlterminaldienstleister Commtrain, der die von Vincenz präsidierte Firma später übernehmen sollte, habe er seinen Verwaltungsratskollegen aus mangelnder Erfahrung nicht offengelegt, erklärte Vincenz den in der Öffentlichkeit am besten bekannten Fall. Die Anklage spricht von einem System von «Schattenbeteiligungen», mit dem sich Vincenz und Stocker in klandestiner Weise an Firmen beteiligt haben sollen, für deren Übernahme sie später als Organe von Raiffeisen oder Viseca (Aduno) die Werbetrommel gerührt oder Entscheidungen vorgespurt haben sollen.
Bei andern Geschäften hinterliess Vincenz zwar einen deutlich besseren und überzeugenderen Eindruck, doch so unschuldig, wie sich Vincenz am Schluss der Befragung selber zu fühlen vorgab, dürften ihn von den rund 100 Anwesenden im improvisierten Gerichtssaal wohl nur wenige gesehen haben.
Der Manager, der einmal auch auf ordentliche Weise sehr viel Geld verdient hatte und derzeit nach eigener Darstellung nur noch über ein regelmässiges Einkommen von rund 2000 Franken aus der AHV verfügt, hinterliess auch in Bezug auf seine persönliche finanzielle Lage den Eindruck eines Mannes, dem in den Jahren seines beruflichen Erfolges vieles zu leicht gefallen war. Auf Vincenz lasten die Schulden seiner drei teuren Liegenschaften und der erst kürzlich erfolgten Scheidung von seiner Ex-Ehefrau Nadja Ceregato.
In den nächsten Tagen stehen weitere Befragungen an, allen voran jene von Beat Stocker. Danach folgen die Plädoyers der Verteidiger, die alles unternehmen werden, um das stimmige Bild der Anklage zu stören.
Derweil markierten die Verteidiger schon einmal in teilweise recht wortgewaltiger Manier die Positionen ihrer Mandanten. Lorenz Erni, Rechtsvertreter von Pierin Vincenz, präsentierte dem Gericht im Rahmen der Verfahrensfragen gleich zu Beginn seinen Antrag auf Verschiebung der Verhandlung. «Ich bin nicht hier, um für Popularität zu sorgen», entschuldigte er sich vorsorglich beim Gerichtsvorsitzenden, der mit Blick auf die drohende Verjährung verschiedener Anklagepunkte ohnehin schon alle Mühe hat, die komplexe Verhandlung rechtzeitig über die Bühne zu bringen. Bezug nehmend auf die Abwesenheit des Mitangeklagten Andreas Etter (Investnet), der gerade in Quarantäne weilt, sagte Erni, er könne doch vernünftigerweise nicht sein Plädoyer halten im Wissen, dass das Beweisverfahren noch nicht abgeschlossen sei und das Gericht Etter erst im Februar befragen werde.
Die Staatsanwaltschaft zeigte sich unbeeindruckt und verlangte vom Gericht mit Erfolg, die Anträge der Verteidiger zurückzuweisen und den Prozess fortzusetzen. Das Gericht folgte diesem Antrag ganz oder mindestens vorläufig. (aargauerzeitung.ch)
Ich kann mich an eine Veranstaltung erinnern, wo er über Corporate Governance sprach und die grassierende Bonus-Manie verteufelte.
So grosse blinde Flecken habe ich noch nie erlebt.