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Wirtschaft

Post: Levrat will 3 Milliarden Franken investieren

Christian Levrat, Praesident des Verwaltungsrats, Schweizerische Post, aeussert sich an der Bilanzmedienkonferenz der Schweizerischen Post und der PostFinance, am Donnerstag, 10. Maerz 2022, in Bern.  ...
Christian Levrat ist seit 2021 der oberste Pöstler der Schweiz.Bild: keystone
Interview

Schluss mit Abbau: Neuer Post-Präsident Levrat will 3 Milliarden Franken investieren

Die Wahl des Sozialdemokraten Christian Levrat zum obersten Pöstler warf hohe Wellen. Jetzt kündigt Levrat im Interview mit der «Schweiz am Wochenende» eine Trendwende an: Die Post soll nicht weiter gesundgeschrumpft werden, sondern wachsen und Jobs schaffen.
11.06.2022, 06:3511.06.2022, 07:36
Patrik Müller und Florence Vuichard / ch media
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Das Büro ist karg, sieht fast so aus, als wäre Christian Levrat erst gerade eingezogen. Dabei sitzt der 52-Jährige seit Dezember 2021 hier im siebten Stock des Post-Hauptsitzes im Berner Wankdorfquartier. Ausser zwei Bildern an den Wänden, die er sich auch der hauseigenen Post-Kunstsammlung hat ins Büro hängen lassen, deutet nichts darauf hin. «Ich arbeite fast ausschliesslich digital», sagt Levrat.

Sie sind seit rund einem halben Jahr Post-Präsident – und man hört kaum etwas von Ihnen, ganz im Unterschied zu Ihrer Zeit als Politiker. Was ist los mit Ihnen?
Christian Levrat: Der Kopf der Post nach aussen ist Roberto Cirillo, der Konzernchef. Meine Hauptaufgaben liegen hinter den Kulissen.

Fällt Ihnen das schwer?
Im Gegenteil: Nach 20 Jahren, in denen ich fast dauernd in den Schlagzeilen war, schätze ich das.

Vom omnipräsenten SP-Parteichef und Gewerkschafter zum Verwaltungsratspräsidenten eines Grosskonzerns: Kommt Ihnen das manchmal nicht surreal vor?
Ich muss für diesen Job keine Turnübungen machen. Ich sehe ihn als Fortführung meines früheren Engagements. Ich habe die Post immer eng begleitet – zuerst als Gewerkschafter im Auftrag des Personals, dann als Politiker zu Gunsten des Service public und nun stehe ich zusammen mit meinen Kolleginnen und Kollegen im Verwaltungsrat selber in der Verantwortung, die Post für die Zukunft aufzustellen.

Sie haben die früheren Post-Oberen jeweils kritisiert, wenn Sie dasselbe getan haben: Das Unternehmen für die Zukunft aufzustellen. Sie haben Veränderungen stets bekämpft.
Nicht die Veränderungen an sich, sondern den Abbau! In den vergangenen 20 Jahren hat die Post sehr stark auf Effizienzmassnahmen gesetzt. Vielleicht war das nötig, ich beurteile das jetzt hier nicht…

… früher fanden Sie es total falsch. Zum Beispiel der Abbau beim Poststellennetz.
Damals lautete die Strategie der Post: Gesundschrumpfen. Mit der neuen Strategie «Post von morgen» haben sich die Vorzeichen verändert. Der Fokus liegt nun nicht mehr beim Rückbau, sondern bei der Weiterentwicklung des Service public. Die zentrale Frage ist jetzt: Wie decken wir die zukünftigen Bedürfnisse unserer Kundinnen und Kunden ab?

Und die Effizienz ist nicht mehr wichtig? Poststellen bauen Sie keine mehr ab?
Effizienz und Kosten bleiben natürlich wichtig, wie in jedem Unternehmen. Aber wir wollen keine weiteren Poststellen schliessen. Ihre Zahl soll bei rund 800 stabilisiert werden.

Es waren mal 3500 Poststellen …
Ja, jetzt sind es noch rund 800, und wir wollen sie für Dritte öffnen. Deshalb gehen wir systematisch verschiedene Branchen an – vor allem Banken, Versicherungen, Krankenkassen und Behörden. Die 800 Poststellen können zu starken Regionalzentren werden, wir haben die Infrastruktur dafür.

Christian Levrat, SP-FR, rechts, bei seinen Verabschiedung im Staenderat, schuettelt die Hand von Staenderatspraesident Alex Kuprecht, SVP-SZ, links, vor den Schlussabstimmungen am letzten Tag, waehre ...
Christian Levrat bei seinem Abschied aus dem Ständerat.Bild: keystone

Die Post sucht seit zwei Jahren Partner für ihre Poststellen. Ohne Erfolg.
Es braucht Zeit, da wir aus politischen Gründen alle Akteure einer Branche gleichzeitig angehen müssen. Aber warten Sie, wir werden hier vorwärtskommen.

Wachstum statt Rückbau: Kann diese Strategie in schrumpfenden Märkten Erfolg haben?
Schrumpfen tut eigentlich nur die Briefpost, bei der das Volumen zwischen 3 und 5 Prozent pro Jahr abnimmt. Aber der letzte Monopolbereich – Briefe bis 50 Gramm – macht nur noch 14 Prozent unseres Umsatzes aus. 86 Prozent stammen aus Geschäftsfeldern im Wettbewerb. Insgesamt werden wir in den nächsten Jahren rund 3 Milliarden Franken investieren, etwa die Hälfte in organisches Wachstum in unseren Kernbereichen, die andere Hälfte in Zukunftsfeldern.

Diese Ausweitung des Kerngeschäfts birgt auch Risiken, wie etwa die Fehlinvestitionen beim Velovertrieb Publibike oder den Drohnen gezeigt haben?
Investieren bedeutet immer, Risiken einzugehen. Es kann auch mal was schiefgehen. Das Wichtigste ist dann, früh genug wieder auszusteigen. Übrigens: Unter dem Strich haben wir 2021 für weniger Geld Firmen zugekauft als verkauft. Wir haben mehrere Unternehmen abgestossen, die weit weg von unserem Kerngeschäft oder im Ausland sind.

Was Sie gut finden – Wachstum statt Schrumpfen –, stösst bei KMU und in der Politik auf Widerstand. Sie dringen in neue Geschäftsfelder vor und konkurrieren als Staatsbetrieb Private. Es sind sogar Klagen hängig.
Wir bewegen uns innerhalb des politischen Rahmens, also innerhalb des Postgesetzes und der strategischen Ziele des Bundesrats. Wir dürfen in die Bereiche Logistik und Kommunikation investieren, sowohl physisch wie digital. Wir brauchen die Flexibilität, uns den sich ändernden Kundenbedürfnissen anzupassen.

Das ist umstritten.
Wir sind da sehr zuversichtlich. Wir haben es sowohl intern wie auch extern durch renommierte Juristen überprüfen lassen.

Aber nochmals: Es kann doch nicht sein, dass die Post private Anbieter aus dem Markt drängt – etwa mit Gratismodulen bei Buchhaltungssoftware.
Wir bieten hier einen Service public, eine ganzheitliche und einfache Systemlösung für Kleinstbetriebe an. Die Frage ist: Wäre es wirklich sinnvoll, die Post zu zwingen, ein Modul dieser Lösung auszuschalten, das Kleinstunternehmen die Buchhaltung erleichtert, nur weil es in diesem Bereich Wettbewerber gibt? Ich finde nicht.

Müsste nicht die Politik statt die Wettbewerbskommission definieren, wie weit die Grundversorgung geht?
Im Grundsatz ja, diese Diskussion muss kommen. Insbesondere zur zentralen Frage, was digitale Grundversorgung ist. Aus unserer Sicht gehören etwa die E-ID und das elektronische Patientendossier dazu, auch im KMU-Bereich haben wir neue Service-public-Aufgaben. In der klassischen Logistik wiederum möchten wir ein etwas weniger enges Korsett haben.

Wo konkret?
Ein Beispiel: Die Politik – ich bin mitschuldig – hat irgendwann entschieden, dass die Post Zeitungen bis 12.30 Uhr zustellen muss. Das zwingt die Post zu teuren Sondertouren. Das Parlament wird entscheiden müssen, ob diese Regeln 2030 noch notwendig sein werden oder ob wir sie angesichts der fortschreitenden Digitalisierung lockern können.

Das Paket-Volumen hat wegen des Onlinehandels während Corona zugenommen, aber bleibt das so?
Die Paketmengen haben sich in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt. Und die Paketmenge dürfte in den nächsten zehn Jahren weiter markant steigen. Deshalb werden wir bis 2030 mindestens sechs weitere regionale Paketzentren eröffnen.

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Christian Levrat war jahrelang SP-Präsident.Bild: keystone

Bedeutet die Wachstumsstrategie auch mehr Personal?
Letztes Jahr ist der Personalbestand erstmals seit 2012 wieder gestiegen, um etwa 500 Vollzeitstellen. Die Tendenz dürfte leicht zunehmend bleiben, vor allem aber gibt es Veränderungen in den Berufen. Das war jedoch in der Post schon immer so, die Jobprofile ändern sich.

Die Briefträger beklagen Stress, ihre Touren seien knapp bemessen, die Stoppuhr laufe!
Es gibt keine Stoppuhr mehr. Es hat sich deutlich verbessert.

Seit Sie da sind?
Schon vorher.

Mit Roberto Cirillo haben Sie einen Ex-Mc-Kinsey-Mann als Konzernchef. Frühere Post-Präsidenten waren tendenziell schwache Figuren. Wie bringen Sie sich ein?
Mit Roberto Cirillo verstehe ich mich sehr gut. Ich bin ja nicht bekannt für grosse Zurückhaltung und falsche Rücksichtnahme, wenn ich von etwas überzeugt bin. Jedenfalls bin ich sehr froh, dass wir ein starkes Management haben, die Kombination eines starken CEO und eines starken Verwaltungsratspräsidenten ist die beste Lösung für ein Unternehmen.

Als Verwaltungsratspräsident können Sie bei der Lohnfrage mitreden. Haben Sie als Ex-Gewerkschafter ein Herz für die Mitarbeitenden und werden Sie ihnen den vollen Teuerungsausgleich geben?
Die Lohnverhandlungen starten jeweils erst im Dezember. Denn entscheidend für uns und die Sozialpartner ist die Teuerung vom November im Vergleich zum Vorjahr.

Derzeit liegt die Inflation bei 2,9 Prozent.
Ja, jetzt schon. Aber wir müssen sehen, wie sich die Teuerung entwickelt. Ausserdem ist die Teuerung nur ein Faktor für die Lohnmassnahmen, wir müssen auch schauen, was unsere Konkurrenz in der Logistik macht, wie die wirtschaftliche Situation der Post ist etc.

Früher hätten Sie den Verweis auf die Konkurrenz nicht akzeptiert und hätten gefordert, dass die Post in der Lohnfrage mit gutem Beispiel vorangehen müsse.
Diese Inflationsfrage ist nun mal schwieriger für die Post als für andere Unternehmen, denn wir können die höheren Kosten nicht einfach so weitergeben – auch weil wir bei allen Dienstleistungen aus der Grundversorgung die Listenpreise mit dem Preisüberwacher absprechen müssen. Sprich: Der Handlungsspielraum ist bei uns in der Lohnfrage etwas kleiner als bei anderen Unternehmen.

Zumal die Post langfristig in tiefrote Zahlen zu geraten droht.
Wir müssen jetzt zusammen mit der Politik die Weichen so stellen, dass sich das Unternehmen weiterentwickeln kann – und es in der Tat nicht in ein paar Jahren in finanzielle Schieflage gerät. Alle Analysen gehen davon aus, dass die Post die Grundversorgung ab 2028, 2029 oder 2030 ohne Gegenmassnahmen nicht mehr eigenwirtschaftlich erbringen kann. Unsere Strategie «Post von morgen» ist eine solche Gegenmassnahme.

Geholfen hätte auch die Lockerung des Kreditverbots für die Postfinance. Aber Ihre Ex-Kollegen hören offenbar nicht mehr auf Sie. Jedenfalls hat der Ständerat soeben das Reformpaket beerdigt. Enttäuscht?
Das Parlament will eine gesamtheitliche Diskussion über die Grundversorgung der Post und der Postfinance führen. Und das ist schon richtig so. Denn letztlich hängt alles zusammen.

Aber die Postfinance hat ein akutes Problem, auch wenn das Bild etwas schöngefärbt wird durch höhere Gebühren und Negativzinsen: Die Erträge aus ihrem Hauptgeschäft, dem Zinsdifferenzgeschäft, nehmen ab.
Die Situation der Postfinance heute ist nicht alarmierend. Aber ja, die von der Politik erlassenen Spielregeln für die Postfinance sind äusserst schwierig: Sie darf heute keine Kredite vergeben, muss als systemrelevante Bank strenge Eigenkapitalanforderungen erfüllen und noch eine branchenübliche Rendite erwirtschaften. Aber die Vorlage des Bundesrats hatte in dieser Form einen schweren Stand. Die Verknüpfung der Kreditfrage mit der Privatisierungsfrage war offensichtlich schwierig für das Parlament.

Was ist denn Ihr Vorschlag?
Wir brauchen ganz generell erstens eine Diskussion über den Grundversorgungsauftrag im Zahlungsverkehr – namentlich über die Pflicht, in jeder Poststelle Bareinzahlungen entgegenzunehmen. Und zweitens eine Diskussion darüber, welche Geschäfte die Postfinance anbieten muss und darf und damit auch über die mögliche Aufhebung des Kreditverbots. Und erst dann können wir über die Eigentümerfrage reden.

Wollen Sie die Bareinzahlungspflicht auf der Poststelle abschaffen?
Nein, die Politik muss diesen Entscheid treffen. Ein paar Sachen müssen aber klar sein: Postfinance trägt zur Hälfte bei, die Kosten des Poststellennetzes zu decken. Gleichzeitig gibt es immer weniger Leute, die ihre Rechnungen an der Poststelle bar einzahlen. Die Bareinzahlungen am Postschalter haben mit der Covid-Krise nochmals drastisch abgenommen.

Nochmals: Schluss mit der Pflicht, Bargeldeinzahlungen anzunehmen?
Es braucht jetzt zuerst eine Gesamtbeurteilung, und sie soll vom Parlament in den kommenden Jahren gemacht werden. Mir ist bewusst, es ist eine hochpolitische Frage. Ich erinnere mich gut an die hitzigen Debatten im Parlament, als es darum ging, zur Bekämpfung der Geldwäscherei die Obergrenze für Barbezahlungen zu senken. Die Schweiz hat eine hochemotionale Beziehung zu Bargeld, die Umstellung auf digitale Lösungen ist hierzulande schwieriger als in anderen Staaten.

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47 Kommentare
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PHILIBERT
11.06.2022 09:59registriert Januar 2021
Dann hoffe ich aber schwer, dass die 3 Mrd. nicht in die Obrigkeit der Post invedtiert werden und wir an der Front davon etwas zu spüren bekommen.... denn unser Zustellgebiet bzw unsere Zustelltouren wachsen enorm, aber von zBsp einer zusätzlichen Tour will die Amtsleitung nichts wissen.......
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Pummelfee
11.06.2022 08:15registriert Mai 2020
Private Betriebe konkurrieren ja auch mit der Post (DPD, DHL, Quickpack). Warum sollte es umgekehrt nicht möglich sein? Hauptsache es gibt neue Arbeitsplätze und ist zumindest selbsttragend.
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Schneider Alex
11.06.2022 06:47registriert Februar 2014
Die Post ist heute in all ihren Tätigkeiten direkt oder indirekt dem Wettbewerb ausgesetzt und kann alle ihre Dienste nur mit Ertrag aus den Taschen der Kundschaft oder des Staates (Abgeltungen) finanzieren. Sie wird nirgends mehr auf Dauer Übergewinn erwirtschaften, mit dem sie unrentable politische Wünsche und Auflagen quersubventionieren kann. Der CEO wird dies früher oder später einsehen. Dann müsste er auf praktikable betriebliche und institutionelle Lösungen kommen und den VR-Präsident davon überzeugen. Gelingt ihm dies, dann wäre Levrats politische Vernetzung ein Gewinn.
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