Schweiz
Wirtschaft

Unternehmerin und Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher im Interview

«Sehe mich als Hüterin der Demokratie» – Martullo-Blocher über Neutralität und die Ukraine

Die Unternehmerin und SVP-Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher sagt, warum ihrer Meinung nach die CS gescheitert ist und dass wohl auch Ueli Maurer die Krise unterschätzt hat. Sie spricht über die Positionierung der Schweiz im Kampf der Grossmächte USA und China – und über das «aggressivste Klimagesetz der Welt».
29.04.2023, 13:04
Francesco Benini und Patrik Müller / ch media
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Sie zahlen in Ihrem Unternehmen, der Ems-Chemie, Boni ans Kader aus – in Ihrer Partei fordern aber viele ein Boni-Verbot für Banken. Wie geht das zusammen?
Magdalena Martullo-Blocher: Bei uns sind die Boni abhängig vom kurz-, mittel- und langfristigen Erfolg der Firma. Mit dem Bonussystem der Credit Suisse hat das nicht viel gemeinsam. Das Kader, das die Verantwortung für Erfolg und Misserfolg hat, soll auch danach bezahlt werden. Aber dass CS-Manager massiv vom Erfolg profitieren und den Misserfolg dem Staat überlassen, das geht nicht. Das muss sich ändern.

Hatten Sie geschäftliche Beziehungen zur Credit Suisse?
Nein, ganz bewusst nicht. Ich meide Firmen, die nicht gut geführt sind.

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Magdalena Martullo-Blocher möchte im Kampf gegen den Klimawandel vor allem auf Kernkraftwerke setzen.Bild: keystone

Hätte man das Ende der CS verhindern können?
Ja sicher. Ihr Management verfolgte eine klare Risikostrategie. Aber auch die Politik hat Fehler gemacht.

Welche?
Nach der staatlichen Rettung der UBS wollte die SVP mit den Linken ein Trennbankensystem durchsetzen. Der risikoreichere Teil einer Bank hätte separat in Konkurs gehen können. FDP und CVP hatten das verhindert. Bei der «Too big to fail»-Regelung hat man den Bank-Run, wenn Kunden ihre Gelder abziehen, nicht behandelt. Das Sicherstellen der Liquidität überliess man der Nationalbank. Die CS braucht jetzt so hohe Beträge, dass nicht einmal die Nationalbank dafür eingerichtet ist und der Bund einspringen muss. Allein die Bundesgarantie entspricht 1.5-mal dem jährlichen Bundesbudget!

In der kritischen Phase seit dem vergangenen Herbst, hätte man da anders handeln können?
Das CS-Management versäumte es, Vertrauen zu schaffen, sowohl gegenüber Öffentlichkeit als auch Gross-Aktionären. Niemand stand hin und kommunizierte überzeugend. Die Nationalbank, die Finma und auch der Bund hätten bei der CS darauf hinwirken sollen.

Also auch der damalige Finanzminister Ueli Maurer von der SVP.
Man blieb nicht untätig, die Finma machte der CS Auflagen, aber sie ging wohl zu bürokratisch ans Werk. Ich denke, dass auch Ueli Maurer das Ganze unterschätzt hat. Vielleicht wollte sich das CS-Management aber auch nichts sagen lassen.

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«Auch Ueli Maurer hat das Ganze unterschätzt», sagt Magdalena Martullo-Blocher zum CS-Ende.Bild: keystone

Wie verhindert man nun, dass die Schweiz ein drittes Mal einer Bank beistehen muss?
Eine funktionierende «Too big to fail»-Regelung muss nun umgesetzt werden. Das wissen auch die Verantwortlichen der UBS. Sie muss aufzeigen, wie sie sich organisieren will, so dass sie nie mehr vom Staat gerettet werden muss. Es gibt Varianten: keine Geschäfte auf eigene Rechnung. Viel strengere Risikoanforderungen. Höhere Liquiditätsreserven oder Garantien Dritter. Eine Versicherung mit Prämien. Man sollte der UBS etwas Zeit lassen, Sergio Ermotti traue ich einiges zu. Politik und Aufsicht haben die Pläne kritisch zu prüfen und abzunehmen.

«Die Schweiz gehört in kein Lager. Sie sollte von keiner Grossmacht dominiert werden.»

Die USA übten Druck auf die Schweiz aus: Sie wollten nicht, dass der US-Teil der Credit Suisse abgespalten und abgewickelt wird.
Ja. Eigentlich hätten die Amerikaner das marode US-Geschäft retten müssen, aber sie liessen uns bezahlen. Ein Beispiel von Grossmachtpolitik. Die USA kontrollieren mit dem Dollar die Finanzmärkte. Wer ausgeschlossen wird, ist tot. Die Europäer versuchten anfangs den Euro als Leitwährung zu etablieren, scheiterten aber. Nun probiert es China. Ob es gelingt? Auch für die Schweiz wären mehrere Leitwährungen besser.

Muss die Schweiz in der Rivalität zwischen den USA und China nicht eindeutig auf der Seite Amerikas stehen?
Wenn man einer Grossmacht, wie jetzt bei der CS, ausgeliefert ist, finden Sie das gut? Gerade für einen Kleinstaat wie die Schweiz ist es doch immer besser, mit der ganzen Welt in gutem Kontakt zu stehen. Die Neutralität lässt das zu.

Die USA und andere westliche Länder verlangen von der Schweiz, dass sie die Wiederausfuhr von Waffen zulässt und mehr Geld russischer Oligarchen beschlagnahmt.
Glauben Sie, dass es bei diesen Forderungen bleibt? Immer, wenn die Schweiz nachgibt, werden neue Forderungen gestellt. Bezüglich Ukraine waren es zuerst Munitionslieferungen, dann Waffen, Panzer und jetzt schon Flugzeuge – und am Ende sollen wir unsere Söhne und Töchter in den Krieg schicken? Diese Forderung habe ich persönlich von EU-Politikern gehört. Wir haben viele Soldaten, in der EU hat nur Frankreich mehr. Es kann nicht sein, dass das Volk an der Nase herumgeführt und Gesetze hinterlistig ausgeschaltet werden. Panzer sollen extra ausgemustert werden für die Ukraine. Auch bei der Masseneinwanderungsinitiative und bei Covid hat man die Demokratie ausgeschaltet. Ich sehe mich als Hüterin der Demokratie.

Unternehmerin, Politikerin, Mutter
Magdalena Martullo-Blocher wurde 1969 in Männedorf ZH geboren. Nach dem Studium der Betriebswirtschaft an der Hochschule St. Gallen arbeitete sie unter anderem bei Johnson & Johnson und Rivella. 2001 trat sie in die Ems-Gruppe ihres Vaters Christoph Blocher ein. Nach seiner Wahl in den Bundesrat veräusserte dieser seine Beteiligung an der Ems-Gruppe an seine vier Kinder. Martullo-Blocher wurde CEO der Ems-Chemie Holding AG. Vor acht Jahren trat sie in die Politik ein. Sie vertritt als Mitglied der SVP den Kanton Graubünden im Nationalrat. Mit ihrem Mann Roberto Martullo hat sie drei Kinder.

Bei der aktuellen Blockbildung USA/China steht die Schweiz auf der Seite jener, welche die Menschenrechte achten und ethnische Minderheiten nicht in Umerziehungslager stecken.
Was mir Sorgen bereitet: Die chinesische Regierung erklärte bisher, dass sie keine Konflikte, keine harten Auseinandersetzungen wolle. Nun hat die Regierung ihr Repertoire geändert. Es scheint, dass sie die Bevölkerung auf Konfrontation vorbereitet. Das verunsichert die Welt. China und die USA setzen andere Länder unter Druck, sich einem Block anzuschliessen. Für die Schweiz ist das nicht gut. Wir sind klein, wollen Frieden, mit allen auskommen und Handel treiben. Darum müssen wir an der Neutralität festhalten, auch unter Druck.

Sie als Hüterin der Demokratie finden nicht, dass die Schweiz ins westliche Lager gehört?
Die Schweiz gehört in kein Lager. Sie sollte von keiner Grossmacht dominiert werden. Auch die USA sind nicht wie wir, denken Sie an die militärische Aussenpolitik oder mehrmalige Attacken gegen unseren Finanzplatz. Die Schweiz muss eigenständig ihren Weg gehen und zu friedlichen Lösungen beitragen.

Die Ems ist in China aktiv. Was tun Sie, wenn China Taiwan angreift?
Wir haben alle Szenarien vorbereitet. Aber: Eine Welt ohne wirtschaftlichen Austausch zwischen den USA und China wird massiv an Wohlstand verlieren. Das würde auch die Schweiz hart treffen.

Wechseln wir das Thema: Die Schweiz hat das Pariser Klimaabkommen unterschrieben. Im Juni stimmen wir über ein Klimaschutzgesetz ab, das moderat ist. Trotzdem sind Sie dagegen.
Moderat, ist das Ihr Ernst? Es ist das aggressivste Ausstiegsgesetz der ganzen Welt.

Es sind keine Lenkungsabgaben vorgesehen, lediglich Subventionen für den Ersatz von Heizungen und die bessere Isolierung von Häusern.
Ich bitte Sie. Bereits ab 2031, in nur acht Jahren, müssen wir in den Unternehmen, den Haushalten, beim Heizen und im Verkehr den Verbrauch von Heizöl, Gas, Diesel und Benzin halbieren. Diese Energien machen über 60 Prozent unseres Verbrauchs aus!

«Persönlich bevorzuge ich Kernkraft, sie ist CO2-frei und in der Schweiz sicher.»

Die EU verbietet den Verbrennungsmotor weitgehend ab 2035.
Ja, und? Wir sind aggressiver unterwegs: Wir müssen alle Fahrzeuge bis 2031 halbieren. Alternative Treibstoffe sind sehr teuer und nicht ausreichendverfügbar. Es bleibt nur Strom. Wenn man funktionierende Heizungen herausreisst und mit Wärmepumpen ersetzt, zugelassene Autos verschrottet und mit Elektrofahrzeugen ersetzt, braucht es mehr Strom. Darauf geht das Gesetz nicht ein.

Das steht im Mantelerlass.
Dort geht es nur um die aktuelle Stromlücke. Mit dem fossilen Ausstieg verdoppelt sich diese. Man bräuchte 3000 Gross-Solarkraftwerke oder 5000 Windenergieanlagen in den Alpen als Kompensation. Das ist völlig unrealistisch. Auch der Import aus der EU wäre nicht mehr möglich, da dieser Strom fast zur Hälfte aus Kohle und Gas stammt.

Aber Subventionen gibt es im Gesetz?
Man spricht von 200 Millionen Franken pro Jahr. Der Energieumbau bräuchte aber 400 Milliarden. Wir bezahlen Isolierungen, Umbauten, Umrüstungen, neue Autos und höhere Mieten und Preise. Und haben dann doch zu wenig Strom. Wenn der Strom knapp ist, steigt der Preis. Es werden 6600 Franken höhere Energiekosten pro Person und Jahr erwartet. Mit diesem Gesetz fahren wir das Land an die Wand.

Sie wollen nichts unternehmen gegen den Klimawandel?
Alle wollen fossile Energien ersetzen. Die Schweiz ist hier Weltmeister, wir haben unseren CO2-Ausstoss seit 1990 bereits um 30 Prozent reduziert. Der Ausstoss der Schweiz beträgt aber nur 1 Prozent der Welt, China allein verbraucht in einem halben Tag mehr als wir in einem Jahr. Bei der Ems haben wir bereits vor 15 Jahren von Gas auf Biomasse-Dampf umgestellt. Das grösste Biomasse-Kraftwerk der Schweiz steht bei uns. Seit 2022 sind wir dank Wasserstrom weltweit und an jedem Standort CO2-frei. Gerade weil wir aktiv sind, weiss ich, dass die Industrie nicht einfach den Schalter umlegen kann. Gewisse Branchen, wie die Stahl- oder die Betonindustrie, würden wohl kaum überleben.

Was würde denn in einem Klimaschutzgesetz stehen, das Sie schreiben?
Wir müssen auf technische Innovationen, die man wirtschaftlich umsetzen kann, setzen. Wir könnten Unternehmen steuerlich begünstigen, die CO2 reduzieren. Aber vor allem braucht es Investitionen in grosse Kraftwerke. Da gibt es nur Kernkraft, Gas, Öl und Kohle. Persönlich bevorzuge ich Kernkraft, sie ist CO2-frei und in der Schweiz sicher. Das Volk soll entscheiden. Wenn wir nicht vorwärtsmachen, werden wir Gas- und Ölkraftwerke bauen wie in Birr. Wir verwenden dann wieder fossile Energien.

Wollen Sie die bestehenden AKW erneuern?
Es geht um Kraftwerke der neuen Generation. Wegen der Netze und der Akzeptanz wohl an bisherigen Standorten.

Bis ein neues AKW ans Netz geht, dauert es 20 bis 30 Jahre.
Sicher nicht. Heute baut man sie in sieben Jahren. In der Schweiz könnten wir es in zehn Jahren schaffen.

SVP-Energieminister Albert Rösti hat das Klimaschutz-Gesetz recht überzeugend vor den Medien präsentiert.
Er macht seine Pflicht, vertritt den Bundesrat. Sie glauben doch nicht eine Sekunde, dass er jetzt plötzlich für dieses Gesetz ist?

Weite Kreise der Wirtschaft unterstützen das Gesetz.
Viele Unternehmen sind bezüglich Klima nicht mehr frei. Sie fürchten um ihr Image oder Kredite und Investoren. Sie wollen nicht, dass vor ihren Hauptsitzen Klimaaktivisten kleben oder ihre Fassaden mit Farbe beworfen werden. Hinter vorgehaltener Hand sprechen sie anders. Ausserdem melden viele an, dass sie höhere Kosten an die Konsumenten überwälzen müssten. (aargauerzeitung.ch)

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271 Kommentare
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mikel
29.04.2023 13:23registriert Februar 2014
Hüterin der Demokratie, und grosses Business mit China. Der Klimawandel ist nur eine weitere Bremse. Sie ist Hüterin einer Welt, in der das Geld regiert. Und auch nur, weil sie ganz viel davon hat.
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Kramofix
29.04.2023 13:23registriert August 2021
"Hüterin der Demokratie" - während man sich in Wahrheit mit einem kriegstreibenden Diktator solidarisiert.
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winglet55
29.04.2023 13:12registriert März 2016
Hüterin der Demokratie, solange es Geld in Ihre Kasse spült. Ganz de Bappe.
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