Nach über einem Jahrzehnt ist die Inflation zurückgekehrt in die Schweiz. Das zeigen neue Zahlen, die das Bundesamt für Statistik diese Woche veröffentlicht hat. Demnach lag der Landesindex für Konsumentenpreise im Mai um 2.9 Prozent höher als im Vorjahr. Noch stärker ist der Anstieg in der Eurozone. Die Behörde Eurostat hat erste Schätzungen veröffentlicht, wonach die Preise im Mai um 8.1 Prozent gestiegen sind, in Deutschland gar um 8.7 Prozent.
Die Eurozone hat noch nie eine solch hohe Inflation erlebt, Deutschland seit 50 Jahren nicht. In den USA war die Inflation im April mit 8.3 Prozent so hoch wie seit den 1970er-Jahren nicht. Vor allem Energieträger haben sich stark verteuert wie Gas, Benzin und Heizöl.
Eine Inflation um die 3 Prozent gab es zuletzt 2008. Damals folgte auf einen Boom eine globale Finanzkrise, die Schweiz musste die Grossbank UBS retten. Danach kam es zur grossen Schwäche des Euros: Über mehrere Jahre fiel er von 1.60 Franken auf zeitweise einen einzigen Franken.
So konnte die Schweiz günstig im Ausland einkaufen und das Preisniveau blieb über ein Jahrzehnt lang unverändert: Noch 2021 lag der Landesindex leicht tiefer als 2008. Die Schweiz erlebte eine Ära mit null Inflation – diese Zeit endet nun anscheinend.
«Alles wird teurer» – so erklärte es die deutsche Boulevardzeitung «Bild». Genauer gesagt ist es ein Korb von Waren und Dienstleistungen, deren Preise im Schnitt steigen. Dieser Korb wird in der Schweiz vom Bundesamt für Statistik so zusammengestellt, dass er den typischen Ausgaben eines Haushaltes entspricht. Es ist möglichst alles enthalten: von Brot und Benzin über Kleidung und Waschmaschine bis Friseur und Miete. Wobei die Miete natürlich mehr Gewicht hat als das Brot.
Inflation ist nun, wenn dieser Korb teurer wird. Dann erhält man für 100 Franken weniger vom Korb - der Franken verliert an Kaufkraft. Je nach Land sind diese Warenkörbe zudem anders zusammengesetzt. Das erklärt wiederum zu einem guten Teil, warum in der Schweiz die Inflation tiefer geblieben ist als in den USA oder in Deutschland. Hierzulande wird weniger ausgegeben für fossile Energieträger wie Gas, Heizöl oder Benzin. Deren starke Verteuerung wirkt sich darum weniger aus, es wird eine geringere Inflation ausgewiesen.
Man kann sich weniger kaufen für den Lohn, was niemand mag. Der Wert des Ersparten und der Renten nimmt ab. Mancher Experte erklärt Inflation darum apokalyptisch als «Enteignung des Volkes». Zwingend ist dies nicht. Erhalten Betriebe höhere Preise für ihre Produkte, können sie höhere Löhne zahlen, also die Inflation ausgleichen. Banken können mehr Zins zahlen auf die Ersparnisse, Renten können vom Staat an die Inflation angepasst werden. Und für Schuldner kann Inflation gut sein: Hypotheken etwa verlieren auch an Wert. Jedoch kann die Bank im Gegenzug mehr Zins verlangen.
So oder so: Wirtschaft und Gesellschaft können sich mit einer gewissen Inflation arrangieren. Für die Schweizerische Nationalbank ist Preisstabilität darum gewahrt, solange die Inflation unter 2 Prozent pro Jahr bleibt. Andere Zentralbanken und Experten erachten eine noch höhere Inflation als problemlos. Gefährlich wird Inflation jedoch, wenn sie ausser Kontrolle zu gerät, wie ein Beispiel aus der Geschichte zeigt.
Das musste die Schweiz im 1. Weltkrieg erleben. Von 1914 bis 1918 verdoppelten sich die Preise, wie der Basler Ökonom Georg Sheldon nachzeichnete. Die Kaufkraft der Löhne schwand dahin, Arbeitnehmende konnten sich damit bis zu 30 Prozent weniger kaufen. Im November 1918 kam es zu einem landesweiten Generalstreik und zum Eingreifen der Armee. Einmal ausser Kontrolle, ist Inflation schwer zu bändigen.
Die Nationalbank übertrieb es und auf eine Inflation von 25 Prozent im Jahr 1918 folgte eine Deflation von 20 Prozent im Jahr 1922. Die Preise fielen also um 20 Prozent. Darüber konnten sich die Konsumenten nicht freuen, denn viele verloren ihren Job. Einbrechende Preise bedeuten einbrechende Umsätze für die Unternehmen – und damit weniger Geld, um Löhne zu zahlen. In der Folge ging es abwärts mit der Wirtschaft und aufwärts mit der Arbeitslosenquote.
Da kam einiges zusammen. Zuerst folgte im Westen auf die Coronakrise gleich ein Boom. Damit hatten wenige gerechnet, da sie es zuvor anders erlebt hatten: nach der Finanzkrise von 2008 war die Erholung zäh. In den USA pumpte US-Präsident Joe Biden so mehr Geld in die Wirtschaft, als es rückblickend nötig war.
Die Zentralbanken in den USA und der Eurozone liessen die Leitzinsen zu lange zu tief, was unnötig viel Schub gab. So war die Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen zu stark – und die Preise stiegen zu schnell. Zugleich stockten in der Privatwirtschaft die Lieferketten. Teils, weil die Betriebe zuvor zu viel Personal entlassen hatten, teils weil es vielerorts noch zu Corona-Ausbrüchen und Stilllegungen kam. Auch diese Nachwehen verstärkten die Inflation.
Dann hat Russlands Präsident Wladimir Putin eine Invasion der friedlichen Ukraine begonnen. Damit fallen gleich zwei der weltweit wichtigsten Exporteure von Rohstoffen grösstenteils weg – und die Preise von Energie und Lebensmitteln steigen überall.
Und es zeigte sich, dass Chinas Präsident Xi Jinping mit ideologischem Eifer an einer Null-Covid-Politik festhält, die in Zeiten der hyperansteckenden Omikron-Variante immer wieder zu Lockdowns führt. Damit ist auf die zweitgrösste Wirtschaft der Welt auf einmal kein Verlass mehr.
Die Zentralbanken wollen die Inflation unter Kontrolle bringen, ohne dabei eine Rezession auszulösen. In den USA hat die Federal Reserve Bank ihre Leitzinsen schon erhöht und klare Signale für weitere Erhöhungen ausgesendet. In der Eurozone ist die Zentralbank zurückhaltender, aber auch bei ihr werden Leitzinserhöhungen erwartet.
In der Schweiz wird die Nationalbank nachziehen, es könnte das Ende des Negativzinses sein. In der Folge werden auch die Zinsen auf Staatsanleihen und Hypotheken tendenziell weiter steigen. Es kommt zur Zinswende – und die dürfte turbulent werden. Wenn auf die Flut des billigen Geldes die Ebbe folgt, werden übermässig riskante Geschäftsmodelle offengelegt. Oder wie es Investment-Guru Warren Buffett sagte:
Zumindest was Öl betrifft die komplette Verarschung. Raffinerien und Spekulanten holen sich das Geld wieder, das sie während Corona nicht bekommen haben, unter dem Vorwand des Ukraine-Krieges. 2008 kostete das Fass Brent deutlich mehr, die Erzeugnisse deutlich weniger als heute.
"Es kommt zur Zinswende – und die dürfte turbulent werden“. Bis heute spüre ich nichts von einer Zinswende. Die NB hält immer noch an den Negativzinsen fest, was sich für uns Sparer und BVG Versicherten wie eine Enteignung anfühlt. Bei den Löhnen wird erst der Herbst zeigen wie die Arbeitgeber bereit sind die Inflation durch Lohnerhöhungen abzufedern. Die Banken jedoch agieren jetzt schon mit höheren Zinsen bei neuen Hypotheken. Und bei den Spareinlagen?