«Schweizer arbeiten nur noch 31 Stunden pro Woche», steht über einem viel beachteten Artikel der «Sonntagszeitung». Ökonom Christoph Schaltegger sieht das Arbeitsethos in der «NZZ» «erodieren». In derselben Zeitung fragt eine Kommentatorin: «Selbstverwirklichung vor Leistung: Wie lange geht das gut?»
Wirtschaftsforscher und Arbeitgeberinnen malen ein düsteres Bild der Entwicklungen am Arbeitsmarkt. Allein: Vieles davon trifft nicht zu. Daten des Bundesamts für Statistik (BFS) offenbaren ein anderes Bild.
Das ist falsch.
Die jährliche Arbeitszeit pro Person im erwerbsfähigen Alter (15-64 Jahre) stieg von 1275 Stunden im Jahr 2010 auf 1287 Stunden im Jahr 2019. Das ist ein Plus von 12 Stunden oder rund 1.5 Arbeitstagen. Und das trotz mehr Ferientagen und weniger Überstunden.
Die Pandemie sorgte für einen Einbruch: Die Kurzarbeit trieb die Absenzen in die Höhe und drückte die Jahresarbeitszeit leicht unter den Wert von 2010. Zahlen für 2022 liegen noch nicht vor.
Unterschiede gibt es zwischen den Geschlechtern: Bei den Männern nahm die Arbeitszeit bis 2019 um drei Prozent ab. Die Frauen machten das mit einem Plus von 7 Prozent mehr als wett.
Diese Zahlen hat das BFS auf Anfrage von CH Media pro Person im erwerbsfähigen Alter berechnet. Das Bundesamt weist die Arbeitszeit gewöhnlich pro erwerbstätige Person aus. Das ist ein entscheidender Unterschied: Pro erwerbstätige Person nahm die Jahresarbeitszeit zwischen 2010 und 2019 nicht um 1.5 Tage zu, sondern um 7.4 Arbeitstage ab. Im Coronajahr 2020 arbeitete eine Arbeitskraft tatsächlich nur rund 31 Stunden pro Woche – statt deren 42 wie im Jahr 1990.
Bloss: Diesem Vergleich haftet ein Makel an. Er berücksichtigt die Hausfrauen nicht. Wer null Stunden erwerbstätig ist, erscheint nicht in der Statistik. Heute sind viel mehr Frauen erwerbstätig als vor dreissig Jahren – und das vorwiegend in Teilzeitpensen. Gleichzeitig arbeiten mehr Männer Teilzeit. Das führt zu folgendem Resultat: Die durchschnittliche Arbeitszeit all jener, die arbeiten, sinkt – obwohl dank der Frauen insgesamt mehr gearbeitet wird.
Ein zweiter BFS-Indikator zeigt ebenfalls, dass mehr Arbeit verrichtet wird: Das durchschnittliche Pensum der 15- bis 64-Jährigen stieg seit 1996 um fast zwei Prozentpunkte auf 71,8 Prozent.
Daniel Kopp von der Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH Zürich bestätigt: «Trotz Teilzeittrend beobachte ich nicht, dass insgesamt weniger gearbeitet wird.» Der Broterwerb verteile sich heute anders zwischen den Geschlechtern als früher: Die Frauen arbeiten mehr, die Männer weniger. Bei der unbezahlten Arbeit ist es laut dem Forscher umgekehrt - wenngleich die Unterschiede zwischen den Geschlechtern weiterhin gross seien.
Das zeigt sich auch in der Teilzeitquote: Von den erwerbstätigen Frauen arbeiten 58 Prozent Teilzeit, bei den Männern sind es 19 Prozent.
Der Teilzeittrend ist eine Tatsache – nicht nur bei den Jugendlichen. Das hat aber weniger mit Faulheit als mit einem anderen Grund zu tun.
Die Männer der Millennials (Jahrgänge 1981-1996) und der Generation Z (1997-2012) sind häufiger in Teilzeit engagiert als die Generation X (1965-1980) vor ihnen. Bei den Frauen sind die Unterschiede gering – ab dem 27. Altersjahr. Frauen der zwei jüngeren Generationen arbeiten im Alter von 20 bis 27 Jahren bedeutend häufiger Teilzeit als ihre Vorgängerinnen – die Quote beträgt fast 40 Prozent.
Daraus zu schliessen, die Jungen seien vollzeitmüde, ist laut Arbeitsmarktforscher Kopp eine Fehlinterpretation. Vielmehr hänge die hohe Teilzeitquote in diesem Alter damit zusammen, dass heute mehr und länger studiert werde. Die längere Studiendauer und die häufig parallel zum Studium ausgeübten Erwerbstätigkeiten hätten zu einem deutlichen Anstieg der Teilzeitbeschäftigung geführt, schreibt das BFS in einem Bericht.
Unbestritten ist, dass es Arbeitskräfte gibt, die aus purer Lust nicht Vollzeit arbeiten. Gemäss der Arbeitskräfteerhebung des BFS haben über alle Altersgruppen hinweg 16 Prozent kein Interesse an einem Vollzeiterwerb. Dieser Wert hat sich in 20 Jahren kaum verändert: 2001 gaben 18 Prozent der Frauen und 14 Prozent der Männer diesen Grund für ihren Teilzeitjob an.
Das stimmt erst einmal. Die Teilzeitquote der Männer mit Tertiärabschluss (Universität, Fachhochschule, höhere Berufsbildung) ist zwischen 2011 und 2021 von 15 auf 18,2 Prozent gestiegen; das ist ein Plus von 3,2 Prozentpunkten. Bei den Frauen fiel die Steigerung mit 1,4 Prozentpunkten – von 53.2 auf 54,6 Prozent – geringer aus. Das zeigt eine BFS-Spezialauswertung für das Onlineportal «Hauptstadt».
Teilzeit ist indes nicht nur bei Studierten im Trend. Bei Männern ohne Studium stieg die Teilzeitquote sogar stärker: Bei Sek-II-Absolventen (Berufs- und Mittelschulen) ging sie um 5 Prozentpunkte auf 17,8 Prozent hoch, bei Absolventen der obligatorischen Schulzeit (Sek I) um 4,2 Prozentpunkte auf 18,9 Prozent.
Während sich die Quoten bei den Männern angleichen, sind die Unterschiede bei den Frauen grösser: Studienabgängerinnen arbeiten seltener Teilzeit (54,6 Prozent) als Frauen mit tieferen Abschlüssen, wo die Werte über 60 Prozent liegen.
Dass die AHV unter der Teilzeitarbeit der Gutverdienenden leide, hält Kopp für eine unbegründete Sorge. Insgesamt werde ja nicht weniger gearbeitet. Anders könnte es bei den Steuern aussehen, weil hohe Einkommen überproportional stark besteuert werden. Diese Ausfälle seien jedoch schwierig zu beziffern.
Ja, und zwar deutlich. Das zeigt alleine schon die Entwicklung der Standardarbeitswoche. Die Schweiz reduzierte die übliche Wochenarbeitszeit zwischen 1950 und 1990 nach und nach von fast 50 auf knapp unter 42 Stunden. Seither verharrt sie auf diesem Niveau. (aargauerzeitung.ch)
Dass wir immer noch keine 4-Tage-Woche haben ist eigentlich ein Skandal. Dann hätte man auch weniger Probleme mit Burnouts etc und ich behaupte einfach mal, dem Fachkräftemangel würde es auch entgegenwirken (weil zb weniger Pflegefachkräfte den Beruf wegen den schlechten Arbeitsbedingungen verlassen).
Mehr Arbeiten ≠ produktiver, immerhin habens die Isländer verstanden.