Roche ist in der Weltrangliste der wertvollsten Pharmakonzerne innert nur zwei Jahren weit aus den Medaillenrängen gefallen. Nun sehen sich die Basler offensichtlich gezwungen, den Wetteinsatz kräftig zu erhöhen, um rasch wieder an die Spitze zurückzukehren.
Keine drei Monate nachdem sich Roche zum Preis von mehr als 7 Milliarden Dollar in den Markt für chronische Darmentzündungen eingekauft hat, kündigt der Konzern bereits die nächste Milliardenübernahme an.
Rund 3 Milliarden Dollar will man sich den Erwerb des kalifornischen Forschungsunternehmens Carmot kosten lassen, der sich bei seiner Gründung vor 15 Jahren die Entwicklung besonderer Moleküle zur Bekämpfung von Fettleibigkeit auf die Fahne geschrieben hatte. Carmot liegt damit nun voll im Trend.
Die amerikanische Eli Lilly und die dänische Novo Nordisk sind die bisher einzigen beiden Pharmakonzerne, welche die Eigenschaften besonderer Verdauungshormone, genannt Inkretine, chemisch nachzubilden und in marktfähige Medikamente zur Behandlung von Übergewicht verwandeln können.
Die Wirkung dieser Moleküle, die man aus den gängigen Therapien gegen Alterszucker (Diabetes 2) schon länger kennt, ist bahnbrechend. In ungezählten Fachzeitschriften sind Stimmen von Ärzten nachzulesen, die der neuartigen Therapie das Potenzial eines Gewichtsverlustes von 15 bis 20 Prozent innert kurzer Zeit einräumen.
Dementsprechend hoch ist die Nachfrage. Sie ist zu hoch, als dass sie die beiden Anbieter vollständig decken könnten. Und dies, obschon die unter den Bezeichnungen «Wegovy» und «Mounjaro» verkauften Arzneien noch nicht von allen Krankenkassen erstattet werden.
Inzwischen führt Eli Lilly die Weltrangliste der wertvollsten Pharmafirmen mit einer Marktkapitalisierung von 554 Milliarden Dollar an, gefolgt von Novo Nordisk mit 450 Milliarden Dollar – meilenweit vor Roche (225 Milliarden Dollar), die noch vor kurzem auf ihre beiden Konkurrenten herabsehen konnte. Steil bergab ging es mit den Roche-Aktien nach Covid.
Seit 2022 haben die Basler Einbussen in Milliardenhöhe aus den rückläufigen Verkäufen von Coronatests zu verkraften. Gleichzeitig verlieren sie mit ihren während langer Jahre ungemein erfolgreichen Krebs-Franchisen Avastin, Herceptin und Rituxan weiter an Umsatz, nachdem die Patente abgelaufen sind.
Roche-Chef Thomas Schinecker betont zwar unablässig das enorme Wachstumspotenzial, das im bestehenden Medikamenten-Portefeuille von Roche nach wie vor bestehe und von der Börse unterschätzt werde. Doch offensichtlich will sich auch das familienbeherrschte Unternehmen nicht mehr allein auf die eigene Forschungspipeline verlassen.
Schinecker räumt ein, dass es dem Konzern an einem ausreichenden Nachschub an Substanzen in der letzten Phase der klinischen Forschung (Phase III) fehle. Er sieht auch gewisse Unzulänglichkeiten in der Fokussierung der eigenen Forschung auf Projekte, die das Potenzial haben, höchste Standards in den entsprechenden Therapiegebieten zu setzen («Best in Class»). Vor diesem Hintergrund schleift der deutsche Manager seit einiger Zeit kräftig an der Effizienz der eigenen Forschung. Gleichzeitig versucht er dieser aber auch durch Zukäufe Impulse zu geben.
Hinter der Bezeichnung «CT-388» verbirgt sich auch im Portefeuille von Carmot ein Molekül, das nach Einschätzung von Roche ein «Best-in-Class-Profil» aufweist. CT-388 habe bei Patienten mit und ohne Alterszucker substanzielle Gewichtseinbussen demonstriert, doch das Molekül steht erst am Beginn der zweiten klinischen Entwicklungsphase. Bis daraus ein marktfähiges Medikament entsteht, wird noch einige Zeit vergehen.
Das nicht nur von Roche identifizierte Potenzial für wirksame Therapien gegen Fettleibigkeit wird derzeit auf gegen 100 Milliarden Dollar geschätzt. Derartige Prognosen sind allerdings mit Vorsicht zu geniessen, denn es ist möglich, dass es in dem Markt bald einmal zu einem veritablen Gedränge mit sinkenden Preisen kommen wird. Es wäre auch keine Überraschung, wenn die Medikamentenzulassungsbehörden bei steigendem Andrang restriktiver würden.
Das waren möglicherweise auch wichtige Motive dafür, dass sich Carmot von Roche übernehmen liess. Amerikanischen Medienberichten zufolge hatte sich Carmot eben erst in die Reihe der Kandidaten für einen Börsengang an der New Yorker Nasdaq gestellt. Dass die Investoren dem Angebot von Roche nun den Vorzug geben, lässt sich einerseits als Indiz dafür werten, dass Fettleibigkeits-Medizin kein Geschäft für kleine Forschungsfirmen ist. Man könnte den Verkauf aber auch als warnenden Hinweis sehen, dass ein breiterer Investorenkreis die von Roche identifizierten Potenziale nicht erkennen kann. (aargauerzeitung.ch)