Die Irritation bei einigen Leuten im Publikum am kürzlichen Swiss Retail Forum war gross: Redner Rolf Hiltl liess auf dem Bildschirm über der Bühne ein fast sechsminütiges Video laufen, das sein Vegi-Imperium in Zürich im besten Licht darstellte, von der schwierigen Anfangsphase des allerersten Restaurants, über den vom Nachhaltigkeitsboom getriebenen, gegenwärtigen Erfolg bis hin zur Beziehung Hiltls zu seinen Gemüselieferanten.
Der Gastronom konnte sich und sein Unternehmen somit vor mehreren anwesenden Medien und namhaften Firmen aus dem Detailhandel und anderen Branchen in Szene setzen. Unter den Teilnehmern waren beispielsweise der Globus-Chef Franco Savastano sowie Vertreterinnen und Vertreter von Jelmoli, Lidl, Aldi, Nespresso, Globetrotter, SBB oder der Zürcher Kantonalbank.
Soweit so gut – wäre da nicht das nicht ganz unwesentliche Detail, dass das Video von Schweiz Tourismus produziert wurde. Von der Marketingorganisation also, die sich mehrheitlich mit Bundesgeldern finanziert. Im laufenden Jahr sind vom Bund 57 Millionen budgetiert, weitere 37 Millionen erhält die Organisation laut Website unter anderem von Mitgliedern und Partnern aus Tourismus und Wirtschaft.
Versteckt wurde die Zusammenarbeit nicht. Das Logo der Organisation wurde zum Schluss des Videos eingeblendet. Auch Hiltl wies zu Beginn auf die Kooperation mit «My Switzerland» hin, unter welchem Namen Schweiz Tourismus ebenfalls auftritt.
Ein Werbefilm auf Staatskosten also. Schweiz Tourismus hat per Bundesgesetz den Auftrag, die Nachfrage für die Schweiz als Reise- und Tourismusland zu fördern. Steuergelder für ein Werbevideo einzusetzen, mit dem ein erfolgreicher Gastronom mit sieben Restaurants und einer lukrativen Liegenschaft in Zürich für sich werben kann, scheint allerdings eine eigenartige Interpretation dieses Auftrags zu sein.
So findet man im Video zum Beispiel Aussagen wie: «Heute ist die Schweiz, nicht zuletzt dank der Geschichte von Hiltl, ein kleines Paradies für Leute, die ein gutes Gericht ohne Fleisch mögen.» Oder: «Kommen Sie mit uns in das älteste vegetarische Restaurant der Welt, direkt im Herzen Zürichs».
Wie erklärt die Organisation diesen PR-Clip? Und wie stark hat sie sich finanziell daran beteiligt? Danach gefragt, schreibt sie, dass «das Kampagnenvideo vollumfänglich von Schweiz Tourismus konzipiert, realisiert und bezahlt» wurde. Wie viel es gekostet hat, gibt die Organisation nicht preis.
Publiziert wurde das Video vor rund einem Monat an den «Swisstainable Veggie Days», einem Aktionstag, bei dem Schweiz Tourismus zusammen mit Partnern wie Gastrosuisse und Hotelleriesuisse die Lust am vegetarischen Essen und damit die nachhaltige Gastronomie zu stärken versuchte. Hiltl sei einer der «starken Partner» gewesen, darüber hinaus hätten rund 1200 Restaurants teilgenommen.
Schweiz Tourismus arbeite immer wieder mit Partnern zusammen, die helfen, eine Kampagnenbotschaft für die Gäste attraktiv und wirkungsvoll nach aussen zu tragen, sagt Sprecherin Liên Burkard. So würden auch Videos mit Restaurants, Hotels, Bergbahnen oder anderen touristischen Anbietern gedreht. «Zur Vermarktung der vegetarischen Schweiz war die Zusammenarbeit mit dem Pionier für vegetarische Gastronomie Rolf Hiltl sehr sinnvoll», so die Sprecherin.
Und der Grund für den Aktionstag generell? Will die Organisation die Schweiz gezielt bei vegetarischen Kulturen bewerben und beispielsweise vermehrt Inderinnen und Inder ins Land locken? Die Antwort: «Die Kampagne soll Gästen eine moderne Schweiz mit einem sehr breiten, diversen und traditionsreichen gastronomischen Angebot präsentieren. Dazu gehört (...) die Möglichkeit, sich vegetarisch und vegan zu ernähren.»
Dass ein Unternehmer nicht Nein zu einer kostenlosen Video-Produktion sagt, ist nicht weiter erstaunlich. Auf Anfrage äussert sich Rolf Hiltl nicht persönlich dazu. Etwas unangenehm scheint es ihm dennoch zu sein. Denn die Pressestelle des Unternehmens verweist diesbezüglich auf Schweiz Tourismus und schreibt lediglich, dass es dem Haus Hiltl als ältestes vegetarisches Restaurant der Welt gemäss «Guinness World Records» eine Ehre war, als einer von vielen Partnern den Aktionstag unterstützen zu können.
Rolf Hiltl hat den Aktionstag mit seinem Namen unterstützt und über seine Kanäle darauf aufmerksam gemacht. Nicht zu leugnen ist, dass er dabei einen guten Deal gemacht hat. So liess er am kürzlichen Branchenanlass denn auch keinen Zweifel daran, dass er das Video weiter für seine Zwecke verwenden will. «Das Video ist noch zu lang, wir müssen noch daran feilen», kommentierte er auf der Bühne.
Wie kommt das Ganze bei Parlamentarierinnen und Parlamentariern an, die alle vier Jahre über die Höhe des Fördertopfes für Schweiz Tourismus entscheiden müssen? Zuletzt erhielt dieser für die Jahre 2022 und 2023 gar einen zusätzlichen Zustupf von je 30 Millionen Franken, um die Erholung des Schweizer Tourismus nach der Covid-Krise voranzutreiben.
Eine Umfrage bei mehreren Politikerinnen und Politikern zeigt ein unterschiedliches Bild. Manche bezeichnen die Präsenz Hiltls in dem Video als «zu prominent». Andere sehen es hingegen weniger problematisch. Zum Beispiel SP-Ständerat Hans Stöckli: «Gute Werbebotschaft und gut gemacht mit bescheidenen Mitteln – für mich kein Problem.» (cpf)