Sollen Schweizer Unternehmen vor einem hiesigen Gericht für im Ausland begangene Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden haften? Für Stefan Engler ist der Fall klar: «Freiheit und Verantwortung sind Geschwister. Wer die Wirtschaftsfreiheit beansprucht, hat auch die Verantwortung für die verursachten Schäden zu tragen», meinte der Bündner CVP-Ständerat am Dienstag.
Es war sein letzter Versuch, den Gegenvorschlag des Nationalrats zur Konzernverantwortungs-Initiative in der kleinen Kammer durchzubringen. Die Initiative selbst wird von beiden Räten abgelehnt, doch beim Gegenvorschlag gehen die Meinungen weit auseinander. Die «griffige» Version des Nationalrats würde den Initianten den Rückzug ermöglichen.
Dieser «Verlockung» widerstand der Ständerat bis zuletzt. Er hielt zum Auftakt der Sommersession mit 28:17 Stimmen auch im dritten Anlauf an seiner abgeschwächten Variante fest. Sie will keine Haftungsregel, die Klagen gegen Unternehmen vor einem Schweizer Gericht ermöglichen würden. Der Rat folgte damit einem Vorschlag von Justizministerin Karin Keller-Sutter (FDP).
Weil beide Räte an ihren Vorschlägen festhalten, ist die Einigungskonferenz am Zug. In dieser setzt sich in der Regel das «weichere» Konzept durch, im konkreten Fall also vermutlich der ständerätliche Gegenvorschlag. Der auch von bürgerlichen Politikern wie Stefan Engler angestrebte Rückzug der Konzerninitiative wäre vom Tisch.
Die Abstimmung dürfte am 29. November stattfinden. Theoretisch kommt auch der 7. März 2021 in Frage. Ein harter Kampf zeichnet sich ab. Beide Seiten bringen sich schon jetzt in Stellung. Im Vorfeld der ständerätlichen Debatte haben die Initianten und ihre Gegner aus den Reihen der Wirtschaft noch einmal alle Register gezogen.
Sie veröffentlichen je ein Gutachten mit völlig unterschiedlichen Einschätzungen zu den Folgen der Initiative im internationalen Vergleich. Für die Initianten läge die Schweiz «im europäischen Mittelfeld», während der Dachverband Economiesuisse die mit dem Volksbegehren angestrebte Regulierung als «weltweit beispiellos» bezeichnet.
Passend dazu erschienen zwei Umfragen mit widersprüchlichen Befunden. Die vom Institut Link für das Initiativkomitee erstellte Erhebung ergab eine Zustimmung von 78 Prozent zur Konzernverantwortungs-Initiative. In einer vom Industrieverband Swissmem in Auftrag gegeben Umfrage aber sind nur 46 Prozent sicher oder eher für die Initiative.
Sie wurde paradoxerweise auch von Link durchgeführt, was aufzeigt, wie stark sich die Fragestellung auf das Ergebnis auswirkt. Die Umfrage der Initianten ist so formuliert, dass man fast nicht Nein sagen kann. Umgekehrt ist auch bei Swissmem eine relative Mehrheit für ein Ja. 24 Prozent sind gegen die Initiative, 30 Prozent haben noch keine Meinung.
Bewegung gab es auch in der Wirtschaft. So hatte die Föderation der Schweizerischen Nahrungsmittel-Industrien (Fial) Anfang Mai die Seiten gewechselt. Sie hatte zuvor mit anderen grossen Wirtschaftsverbänden für die ständerätliche Lösung lobbyiert. Nun unterstützte sie laut den Tamedia-Zeitungen den Gegenvorschlag des Nationalrats.
Ende April stellte EU-Justizkommissar Didier Reynders zudem in einem Webinar mit EU-Parlamentariern eine geplante Verschärfung der Sorgfaltsregeln für Unternehmen vor. Sie entspricht weitgehend dem Gegenvorschlag des Nationalrats. Dabei orientiert sich die EU laut der Gewerkschaftszeitung Work an der Regulierung in Frankreich.
Diese Entwicklung ist pikant, denn Bundesrätin Keller-Sutter berief sich mit ihrem Gegenvorschlag auf die bestehenden Vorschriften in der EU. Den Walliser CVP-Ständerat Beat Rieder aber liess dies kalt: «Sollte die EU in zwei bis drei Jahren wirklich so weit sein, dann hat die Schweiz genügend Zeit, ihre Gesetze entsprechend anzupassen.»
Nächste Woche werden National- und Ständerat über den Vorschlag der Einigungskonferenz abstimmen. Eine offene Frage ist die Haltung der SVP. «Wird sie in einer unheiligen Allianz mit der Linken den Gegenvorschlag ganz zu Fall bringen?», fragt sich eine Person aus der Verwaltung. Das könnte den Initianten nützen.
Sie dürften eine emotionale Kampagne mit Themen wie Kinderarbeit und Umweltzerstörung aufziehen. In normalen Zeiten hätten sie damit eine Chance. Nun aber kommt ihnen die Corona-Rezession in die Quere. Statt aus der Defensive zu agieren, können die Gegner um Economiesuisse voll auf das Argument «Jobs, Jobs, Jobs» setzen.
«Die Krise ist nicht die Zeit für Experimente», gibt die FDP in einer Mitteilung die Richtung vor. Die Konzernverantwortungs-Initiative wird es vor dem Stimmvolk schwer haben, da mögen die Umfragewerte noch so verlockend aussehen.
Ich freue mich auf die Abstimmung.
Unternehmen sollten nicht nur Ware beziehen, sondern den Menschen die bei den Rohstoffen daheim sind ein besseres Leben ermöglichen.
Ganz einfach das Prinzip.
Staaten die sich nicht ganz im Griff haben sind für Spitzenmanager aber sehr verlockend.
Ich hoffe, dass sich einige Manager in Zukunft viel Gedanken über ihr Verhalten machen.
Was spricht dagegen, Verantwortung übernehmen zu müssen?
Ist es nicht gar ein Standortvorteil, eine weitere Stärkung der Marke "Swiss Made"?
Die Corona-Krise zeigt zudem, welche Ressourcen mobilisiert werden, wenn's um den eigenen Arsch geht. Was, wenn Kinderarbeit und verseuchte Natur direkt ansteckend wäre?