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Mädchen zahlen für Zusatzversicherung höhere Prämien

Mädchen zahlen für Zusatzversicherung höhere Prämien

Aufgepasst, wer Kinder gegen das Risiko Zahnspange absichert. Je nach Versicherung kostet die Prämie für ein Mädchen bis zu 60 Franken mehr pro Jahr als für einen Buben. Eine Suche nach den Gründen.
09.11.2022, 08:20
Anna Wanner / ch media
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Mädchen zahlen für die Zahnzusatzversicherung mehr. Lässt sich der Unterschied erklären?
Mädchen zahlen für die Zahnzusatzversicherung mehr. Lässt sich der Unterschied erklären?Bild: Shutterstock

Wer die hohen Kosten einer Zahnspange scheut, schliesst für Kinder eine Zusatzversicherung ab. Die Prämie variiert je nach Anbieter, Region und Kostenübernahme zwischen 11 und 25 Franken pro Monat, vielleicht sogar mehr. Nun zeigt sich: Nicht alle Zähne werden von den Versicherungen gleichbehandelt. Für Buben ist die Prämie bis zu fünf Franken günstiger – pro Monat.

Eine solche Ungleichbehandlung stellte eine Basler Mutter bei den aktuellen Policen ihrer Kinder fest: Für die fünfjährige Tochter zahlt sie für die Dentaplus-Zahnpflegeversicherung von Helsana 26.60 Franken pro Monat. Für den achtjährigen Sohn sind es bloss 22.40. Dank Familienrabatt von zehn Prozent verkleinert sich der Unterschied zwar von 4.20 auf 3.80 Franken. Doch der Unterschied ist immer noch gross: Das Mädchen zahlt für die Zahnversicherung fast 20 Prozent mehr.

Geschlechterspezifische Preispolitik bei Kindern

Wieso ist das so? Und vor allem: Wie lässt sich dieser Unterschied rechtfertigen? Verboten ist Diskriminierung bei Privatversicherungen nicht. Die Krankenkassen sind bei der Berechnung von Zusatzangeboten viel freier als in der obligatorischen Grundversicherung. Sie müssen sich zwar immer noch an den Kosten orientieren. Doch sie können die Prämien nach Altersgruppen, Regionen und Geschlecht unterschiedlich gestalten, solange diese plausibel sind und anhand der verursachten Kosten auch begründbar.

«Frauen gehen häufiger zum Arzt als Männer. Vor allem zwischen 18 und 60 Jahren konsumieren sie mehr Leistungen.»
Miquel Serra Buriel

Die Basler Mutter kennt die Möglichkeiten der Krankenkassen. Nur: Wie lassen sich solche Unterschiede bei Kindern erklären? «Ich bin schockiert und entrüstet, dass es im Jahr 2022/2023 immer noch geschlechterspezifische Preispolitik gibt», schrieb sie ihrem Versicherer Helsana. Diese antwortete der verärgerten Mutter mit einer sehr allgemeinen Aussage: «Schaut man die Gesundheitskosten sämtlicher Einwohner der Schweiz an, sind diejenigen der Frauen durchschnittlich höher als diejenigen der Männer.» Aus diesem Grund seien bei Helsana – wie bei allen Versicherern – die Zusatzversicherungsprämien für Frauen höher als für Männer.

Frauen suchen schneller und häufiger einen Arzt auf

Tatsächlich bestätigen die Zahlen des Bundesamts für Gesundheit (BAG), dass Frauen über weite Teile mehr Gesundheitsleistungen beziehen. Gesundheitsökonom Miquel Serra Burriel sagt, dieses Bild zeige sich international: «Frauen gehen häufiger zum Arzt als Männer. Vor allem zwischen 18 und 60 Jahren konsumieren sie mehr Leistungen.» Wieso das Verhalten unterschiedlich ist, lässt sich nicht auf einen einzelnen, bestimmten Grund zurückführen. Dafür gibt es biologische sowie soziale Erklärungen. So stimmt es auch nicht, dass Geburt und Mutterschaft alleine für die Mehrkosten verantwortlich sind, wie Professorin Kerstin Noëlle Vokinger ausführt, die zusammen mit Serra Burriel an der Universität Zürich zum Thema forscht.

Das unterschiedliche Verhalten führt dazu, dass die identische Zusatzversicherung für Frauen teilweise um ein Vielfaches teurer ist als jene für Männer. Das gilt insbesondere für Frauen im gebärfähigen Alter. So kostet beispielsweise der Alternativmedizin-Zusatz bei der CSS für eine 35-jährige Frau 46.80 Franken, für einen Mann 16.80 Franken.

Diskriminierung auch nach Alter

Doch ab 60 Jahren kehrt das Vorzeichen: Männer beziehen ab diesem Alter mehr Leistungen. Erst aufs Lebensende hin beanspruchen die Frauen wieder häufiger medizinische Hilfe. Aus der Forschung geht hervor, dass Männer zwar kürzer leben, dafür mit höherer Lebensqualität. Ihr Tod kommt häufiger plötzlich, wie Serra Burriel ausführt.

Die Unterschiede bei der Prämienhöhe steigen mit dem Alter: 70-jährige Versicherte zahlen für einen Spitalzusatz ein Mehrfaches an Prämien als 30-Jährige für das gleiche Produkt.

Weil mit zunehmendem Alter das Risiko eines Spitalaufenthalts steigt, lässt sich das Prämienwachstum begründen. Die Unterschiede sind gewollt und auch wichtig fürs Geschäft: Die Versicherer brauchen die Jungen, um einerseits die Zukunft der Zusatzversicherung abzusichern. Dafür braucht es tiefere Einstiegsprämien. Und andererseits müssen sie die Kosten der zunehmend alten Versichertengruppe decken. Die Unterschiede bei den Prämien wachsen aktuell stärker, wie ein Insider sagt. Deren Entwicklung ist selten transparent. Doch wem mit 70 die Zusatzversicherung plötzlich zu teuer wird, kann nicht mehr wechseln. Die Versicherer sind nicht gezwungen, neue Kunden in die Zusatzversicherung aufzunehmen.

Bei Kindern sind die Vorzeichen der Kosten umgekehrt

Während Frauen im mittleren Alter mehr medizinische Hilfe in Anspruch nehmen als Männer, ist es bei Kindern umgekehrt: Buben bis zehn Jahre beziehen gemäss BAG-Statistik mehr Leistungen als Mädchen. Weil sich diese nicht auf Zahnbehandlungen aufschlüsseln lassen, fehlt ein wichtiger Hinweis für eine Plausibilisierung der diskriminierenden Prämien.

Die Finanzmarktaufsicht, welche alle Prämien der Zusatzversicherungen kontrollieren und gutheissen muss, gibt keine Auskunft zu einzelnen Anbietern oder Produkten, wie sie auf Anfrage erklärt. Zu den Prämien sagt sie allgemein, dass kein Missbrauch stattfinden dürfe. Dass also die Krankenkassen mit ihren Tarifen und Produkten «weder ihre eigene Solvenz gefährden noch das Interesse der Versicherten verletzen» dürfen. Dem Versicherer sei nicht erlaubt, eine juristisch oder versicherungstechnisch nicht begründbare, erhebliche Ungleichbehandlung der Kunden vorzunehmen. «Beides würde eine Intervention der Finma nach sich ziehen.»

Frage der Missbräuchlichkeit geklärt

Offenbar wurden die Prämien der Zahnzusatzversicherung der Helsana gutgeheissen. Eine Sprecherin erklärt auf Nachfrage: «In der Tat zahlen Frauen eine leicht höhere Prämie bei der Zahnversicherung.» Als Erklärung schiebt sie nach: Der Tarif sei ein Abbild des Leistungsbezuges: Frauen beziehen mehr Leistungen aus den Zahnversicherungen. «Grob gesagt, beträgt der Kostenunterschied bei der Light-Variante rund 2 Franken und bei der Bronze-Variante je nach Alterskategorie 3 bis 5 Franken.» Und um zu signalisieren, dass die Prämien korrekt berechnet wurden, betont sie, dass die Tarife bei der Produkteinführung von der Finanzmarktaufsicht genehmigt wurden.

Der Entscheid lässt nicht nur die Mutter ratlos zurück. Auffällig ist nämlich zweierlei: In der Police unterscheiden sich die Prämien zwischen dem fünfjährigen Mädchen und ihrem achtjährigen Bruder nur beim Zahnzusatz, für alle anderen Zusatzversicherungen zahlen sie dieselbe Prämie. Zweitens scheint Helsana gemäss einer kleinen Umfrage die einzige Krankenkasse zu sein, die eine Diskriminierung bei der Zahnversicherung von Kindern kennt. Das alleine ist zwar kein Hinweis darauf, dass die Prämie missbräuchlich ist. Doch bei der Konkurrenz erklärt ein Spezialist, es gebe in den Zahlen keinen Hinweis für einen Unterschied. (cpf/aargauerzeitung.ch)

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42 Kommentare
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Overton Window
09.11.2022 10:45registriert August 2022
Die Schweiz, das einzige Land der Welt, in dem Zähne nicht zum Körper gehören 🤦‍♂️.
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Sveitsi
09.11.2022 09:56registriert Januar 2015
«Frauen gehen häufiger zum Arzt als Männer. Vor allem zwischen 18 und 60 Jahren konsumieren sie mehr Leistungen.»

Dass bei Frauen dadurch aber Krankheiten früher erkannt werden können und dadurch wiederum Behandlungskosten gespart werden, ist irrelevant?
Als Frau wächst man damit auf, dass man sich einmal im Jahr beim Frauenarzt, der Frauenärztin untersuchen lassen sollte. Daher rührt wohl auch das Bewusstsein.
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Weeedikon
09.11.2022 09:30registriert April 2022
Und wir Männer bezahlen für die Autoversicherung mehr als Frauen.
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