Bundesrat Johann Schneider-Ammann hat eine mögliche Lösung für den jahrelangen Konflikt um die Arbeitszeiterfassung präsentiert. Sowohl die Gewerkschafter als auch die Arbeitgeber sprachen in einer ersten Reaktion von einem Kompromiss.
Der Lösungsvorschlag sieht vor, dass bei Arbeitnehmenden mit «sehr grosser Arbeitszeitsouveränität» und Löhnen über 120'000 Franken die Erfassungspflicht gelockert werden können soll.
Allerdings muss der Verzicht auf die Arbeitszeiterfassung im Rahmen eines Branchen- oder Unternehmens-Gesamtarbeitsvertrags erfolgen, wie das Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) am Sonntag mitteilte.
Für Arbeitnehmende mit «gewisser Arbeitszeitsouveränität» kann durch eine Vereinbarung mit der Arbeitnehmerschaft eine «vereinfachte Arbeitszeiterfassung» eingeführt werden. Dabei wird die tägliche Arbeitszeit notiert. Die geplante Neuregelung betrifft vor allem Dienstleistungsunternehmen, wie eine WBF-Sprecherin auf Anfrage erklärte.
Im Juli 2013 hatte das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) einen Lockerungsvorschlag für Arbeitnehmende mit einem Lohn von über 175'000 Franken begraben. Die Positionen der Sozialpartner lagen damals zu weit auseinander: Die Wirtschaft wünschte auch bei tieferen Lohnklassen mehr Flexibilität, die Gewerkschaften sahen den Arbeitnehmerschutz ausgehöhlt.
Etwa 4 Prozent der Arbeitnehmenden in der Schweiz wären damals von dieser Bestimmung betroffen gewesen. Wie viele Arbeitnehmende vom jetzigen Vorschlag betroffen sind, konnte das WBF am Sonntag nicht sagen.
Angesichts der neuen wirtschaftlichen Situation scheint ein Durchbruch gelungen zu sein: Der Einigungsvorschlag von Wirtschaftsminister Schneider-Ammann wurde gemäss WBF in den vergangenen Tagen von den Sozialpartnern bereinigt. Unter seiner Vermittlung hätten die Präsidenten des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes und des Schweizerischen Arbeitgeberverbands letzte Differenzen ausgeräumt.
In der Folge hätten die beiden Präsidenten die anderen Sozialpartner miteinbezogen. Der Gewerbeverband stimmte demnach dem Einigungsvorschlag zu, Travail.Suisse äusserte sich kritisch, macht aber gemäss Mitteilung keine Opposition.
Sowohl die Gewerkschafter als auch die Arbeitgeber sprachen in einer ersten Reaktion von einem Kompromiss. Roland Müller, Direktor des Schweizerischen Arbeitgeberverbands, sagte gegenüber der «Tagesschau» des Schweizer Fernsehens, es sei «schwierig zu sagen, ob und wie solche Vereinbarungen zustande kommen werden».
Die Lösung zeige aber, dass Kompromisse zwischen den Sozialpartnern möglich seien. Laut Daniel Lampart, Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds (SGB), stehen nun die Kantone in der Pflicht: «Sie müssen die Firmen kontrollieren.» Missbräuche von Unternehmen seien sonst nicht zu verhindern.
Wie sich die Gewerkschaften Syna und Unia zum Vorschlag stellen, geht aus der Mitteilung nicht hervor. Noch im vergangenen Dezember bestärkte Syna an ihrer Delegiertenversammlung ihre Forderung nach einer konsequenten Erfassung der Arbeitszeit – politische Vorstösse, die auf eine Abschaffung zielten, seien abzulehnen. Und auch die Unia fordert einen verstärkten Schutz der Arbeitszeit, um den Stress am Arbeitsplatz zu vermindern.
Der Einigungsvorschlag mit seinen beiden Elemente sollen nun in die Verordnung 1 des Arbeitsgesetzes aufgenommen werden. Damit es rasch geht, will das WBF nur eine verkürzte Konsultation durchführen und die Verordnung im dritten Quartal 2015 in Kraft setzen.
Gemäss WBF suchten die Sozialpartner, das SECO und das Parlament seit 2009 nach Anpassungsmöglichkeiten bei der Arbeitszeiterfassung. In den vergangenen Jahren habe sich die Diskrepanz zwischen Pflicht zur detaillierten Arbeitszeiterfassung und Realität des Arbeitsalltags vergrössert. Immer mehr Mitarbeitende arbeiteten zeitlich und örtlich flexibel.
Für Kaderleute mit Weisungsrecht und vollamtliche Projektleiter gilt seit dem 1. Januar 2014 eine vereinfachte Arbeitszeiterfassung. Für alle übrigen Angestellten muss die Arbeitszeit derzeit lückenlos dokumentiert werden. Von der obligatorischen Arbeitszeiterfassung ausgenommen sind Topmanager. (sda)