Die Credit Suisse präsentiert ihren Geschäftsbericht vom Jahr 2022. Die Veröffentlichung war bereits aufgeschoben worden, weil die amerikanischen Prüfungsbehörden «Ungereimtheiten» in der Buchhaltung entdeckt hatten und die CS noch mal darüber musste.
Was aus dem Bericht hervorgeht, sorgt für Unmut bei Anlegern: Man habe eine «wesentliche Schwachstelle» bei der internen Finanzberichterstattung gefunden. Konkret heisst das, dass die CS zugibt, in dem Bereich geschlampt zu haben. Doch nicht nur das verunsichert die Aktionäre; auch sagt der Bericht aus, dass weiterhin Kunden die angeschlagene Bank verlassen.
Auch der Kollaps der Silicon Valley Bank SVB ist der CS nicht gerade dienlich. Die Befürchtung, dass die Schweizer Bank am Paradeplatz die drohenden Zinssteigerungen in den USA nicht verkraften mag, steht im Raum. Der Markt reagiert mit weiterhin sinkenden Kursen der CS-Aktien. Was macht also CEO Koerner? Er beschwichtigt.
Der Kollaps der SVB habe «Zuflüsse an Kunden» gebracht, und überhaupt liege der Fokus der CS im Moment nicht auf dem Aktienkurs, sondern auf der Sanierung der maroden Bank. Doch Zeit, um die Wirkung seiner Worte auf den Kurs zu messen, hat Koerner keine, denn schon Tags darauf bringen die Saudis alles durcheinander.
Konkret ist es eine Aussage des Vorsitzenden der Saudi National Bank, Ammar Al Chudairi, die bei Anlegern weltweit die Alarmglocken läuten lässt: Die Saudi National Bank (Mehrheitsaktionärin der CS) habe «absolut» kein Interesse daran, mehr Geld in die CS zu investieren. Ob das Statement aus dem Kontext gerissen wurde und Al Chudairi sich im Rest des Interviews positiv zur CS äusserte, ist egal – der Schaden ist geschehen.
Aktionäre sehen in seiner Aussage ein mangelndes Vertrauen der Saudis in «ihre» CS. Panisch werden Aktien verkauft. Koerner und sein Stab können nur zusehen, wie der Kurs innert einer Stunde um 10 Rappen fällt, am tiefsten Punkt hat die CS-Aktie am Mittwoch 31 Prozent verloren, gerechnet zur Börseneröffnung. Manche sehen in Al Chudairis Kommentar eine Art der Selbstsabotage.
Während die ganze Welt auf den Aktienkurs schaut, spielt sich auf dem Anleihenmarkt ein zweites, ungünstiges Szenario für die CS ab. Dort steigen nämlich die Preise für sogenannte «credit default swaps» (CDS) am Mittwoch von 799 Basispunkten am Morgen auf 3701 Punkte am Nachmittag, wie Bloomberg unter Berufung auf cmaq berichtet.
Was heisst das im Kontext der CS? Banken und Institute, welche mit der Credit Suisse verschachtelt sind, versuchen panisch, sich mittels CDS gegen den Kurssturz zu versichern. Der Preis für die «Swaps» steigt, die Panik wächst, der Kurs sinkt noch mehr. Ein Portfoliomanager sagt gegenüber Bloomberg: «Es ist wie eine selbst-erfüllende Prophezeiung – wenn alle denken, dass es bergab geht, dann geht es bergab.»
Mittlerweile lohnt es sich nicht einmal mehr, sich abzusichern, da der Preis für einen CDS viel zu hoch ist. Die Panik grassiert weiter.
Um 14.00 Uhr nachmittags verlässt Thomas Jordan, Präsident der SNB (Schweizer Nationalbank, nicht zu verwechseln mit der Saudi National Bank), das Büro des Departements für Finanzen. Dort hat er sich mit dem Amt und der FINMA besprochen: Was soll man tun?
Am Abend wird die SNB verkünden, dass man der angeschlagenen CS bei Bedarf Liquidität zur Verfügung stellen werde. Doch das ist nicht alles, was am Mittwoch besprochen wurde. Den Entscheidungsträgerinnen und -trägern dürfte zu diesem Zeitpunkt klar gewesen sein, dass das Problem CS damit nicht aus der Welt geschafft ist. Bundesrätin Karin Keller-Sutter sagt am Sonntag dazu: «Der Plan war schon von Anfang an, der Credit Suisse am Sonntag ein ‹Paket› vorzulegen.»
Sie weiss genau, was auf dem Spiel steht, sollte keine schlaue Lösung gefunden werden. Während der ganzen Woche bespricht sie sich mit internationalen Counterparts wie zum Beispiel der US-Finanzministerin Janet Yellen. Die Möglichkeiten sind begrenzt. Die Möglichkeit der Verstaatlichung ist unbeliebt, aber nicht auszuschliessen. Die Liquiditätsspritze, die angeboten wird, ist also bloss ein Mittel, um Zeit zu schinden, bis eine «richtige» Lösung gefunden ist.
Mitten in der Nacht nimmt die CS das Angebot einer Finanzierung durch die SNB an: Man wolle einen Kredit von 54 Milliarden Franken aufnehmen. Der Aktienkurs schnellt in die Höhe, rund 40 Prozent legt die Aktie zu. Al Chudairi sagt gegenüber CNBC: «Everything is fine.»
Dabei ist alles fern von «fine». CDS der Credit Suisse sind immer noch bei 3468 Basispunkten bewertet, was darauf schliessen lässt, dass das Vertrauen in die Bank nicht zurückgekehrt ist. Koerner versucht, dieses Vertrauen wiederherzustellen: «Unsere Kunden und externe Stakeholder müssen die Stärken unserer Bank erkennen», schreibt er in einem internen Memo. Die besagten Stärken: «Unsere Strategie und den beschleunigten Fortschritt, den wir bei der Erschaffung der neuen Credit Suisse machen.»
Ob Koerner zu diesem Zeitpunkt weiss, dass an anderer Stelle gerade über den Verkauf oder die Verstaatlichung «seiner» Bank diskutiert wird? Tatsächlich «fragt» die SNB zu dieser Zeit die UBS an, ob sie nicht ein Kaufangebot für die CS machen wolle. Es ist weniger eine Anfrage als eine Forderung.
FINMA und SNB wissen: Bis zum Wochenende muss ein Deal stehen. Doch die Möglichkeiten sind weiterhin klein, der enge zeitliche Rahmen und der desolate Zustand der CS verschrecken mögliche Käufer. Bis zum Schluss wird versucht, jemand anderen als die UBS zu finden – auch um einer Schweizer «Superbank» vorzubeugen –, erfolglos. Das Endresultat ist bekannt: Die UBS kauft die CS zum Spottpreis. Bloomberg schreibt passend: «Man hat eine Schweizer Lösung für ein Schweizer Problem gefunden.»
(cpf)
Das kommt nicht einfach so Knall auf Fall.