Seit bald 30 Jahren verkauft Reto Ringger nachhaltige Anlagen, seit bald 30 Jahren achtet der Banker nicht nur auf die finanzielle Rendite, sondern auch darauf, welchen ökologischen Fussabdruck ebendiese Anlagen auf der Welt hinterlassen. Mittlerweile ist er mit seiner Globalance Bank nicht mehr alleine, plötzlich wollen alle Finanzinstitute grün sein. «Es hat sehr lange gedauert», sagt Ringger. Doch er sei froh um die neue Konkurrenz. «Denn wir haben wirklich ein Problem», betont Ringger und ergänzt. «Der Finanzmarkt muss Teil der Lösung sein.»
Will er das wirklich? Ist die nachhaltige Anlagepolitik nicht nur eine Modeerscheinung, die schon wieder verblasst?
Reto Ringger: In der Tat ist es in der Bankenwelt diesbezüglich wieder ruhiger geworden in jüngster Zeit.
Wieso?
Es gab einen Hype. Plötzlich haben alle Banken Hochglanzbroschüren mit Nachhaltigkeitsversprechen publiziert. Offensichtlich waren aber die Marketingabteilungen schneller als die Abteilung, die nachhaltige Anlageprodukte herstellen. Das hat den Regulator auf den Plan gerufen, der die irreführenden Nachhaltigkeitsversprechen aufdeckte. Nun hat bei den Banken in Sachen Nachhaltigkeit die Rechtsabteilung das Zepter übernommen. Die Anbieter sind vorsichtig und deshalb ist es jetzt stiller geworden.
Also ist jetzt alles schon wieder vorbei?
Nein. Wenn wir die verschiedenen Zukunftsszenarien anschauen, dann gibt es kein einziges, in dem sich die Klimaproblematik abschwächt. Im Gegenteil: Die Klimarisiken werden sich in allen Szenarien akzentuieren.
Der Finanzplatz könnte auch Probleme ignorieren, das wäre nicht das erste Mal.
Das wird er nicht, aber er braucht Zeit. In der Psychologie gibt es das Konzept der vier Räume der Veränderung, die man durchlaufen muss, wenn man ein Problem lösen muss. Der erste Raum ist der Raum der Happiness, in dem alles gut ist. In diesem Raum waren wir sehr lange. Dann tauchen die ersten Probleme auf, die der Mensch üblicherweise verleugnet. Wir sind nun im Raum der Verleugnung. Wenn die Probleme dann immer grösser werden und nicht länger ignoriert werden können, kommt man in den Raum der Konfusion. In diesem Raum herrschen Unsicherheit und ein grosses Durcheinander. Erst wenn wir dann Lösungen erarbeiten, kommen wir in den Raum der Erneuerung. Und diesen gesamten Prozess durchlaufen wir auch bei der Klimaproblematik.
Und in welchem Raum stecken wir denn jetzt?
Die Menschen sind noch in unterschiedlichen Räumen. Den Happiness-Raum haben wir in Bezug auf Umwelt und Klima verlassen. Einzelne sind noch im Raum der Verleugnung. Die meisten von uns sowie auch der Finanzmarkt befinden sich im Raum der Konfusion. Nun müssen wir Lösungen entwickeln, um in den Raum der Erneuerung zu gelangen.
Kann man denn nicht auch wieder rückwärts gehen? Larry Fink zum Beispiel, der Chef des weltweit grössten Vermögensverwalters Blackrock, gab sich zuerst supergrün, jetzt will er nichts mehr davon wissen.
Ja, im Raum der Konfusion geht nicht alles in die gleiche Richtung. Nachdem institutionelle Anleger bei Blackrock über 2 Milliarden Dollar an verwalteten Vermögen abgezogen hatten, machte Larry Fink einen Rückzieher. Diese Entwicklung zeigt vor allem eines: Im Konfusionsraum wird mit harten Bandagen gekämpft. Bei den Banken ist die erste Euphorie verflogen. Doch während viele nun auf die Bremse treten, geben andere wie zum Beispiel die Schweizer Pensionskassen Gas. Der Dachverband Asip hat die Pensionskassen aufgefordert aufzuzeigen, welche Klimarisiken in ihren Portfolios schlummern. Wir haben zum Beispiel im Auftrag einer Stiftung deren Anlageportfolio analysiert und dessen Beitrag zur Erderwärmung analysiert: Statt den avisierten 2 Grad hatte das Portfolio 3.4 Grad, worauf die Stiftung von ihrer Bank verlangt hat, das Portfolio in Richtung 2 Grad umzubauen.
Diese präzisen Angaben sind möglich, weil Ringgers Globalance Bank eine Art Google Maps für Aktienportfolios entwickelt hat. Mit dem Tool kann der ökologische Fussabdruck jeder Firma gemessen sowie deren Beitrag zur Erderwärmung bestimmt werden. Ein Anlageportfolio zum Beispiel, das den Club der an ihrer Börsenkapitalisierung gemessenen 20 wertvollsten Schweizer Firmen des Swiss-Market-Index (SMI) umfasst, erwärmt die Erde um 1.7 Grad. Am besten schneiden darin der Telekomanbieter Swisscom und der Rückversicherer Swiss Re ab mit je 1.3 Grad, am schlechtesten Lonza und Sika mit je 2.9 Grad.
Wie viel Grad weist Ihr Portfolio aus?
Unsere Globalance-Portfolios sind mittlerweile unter 2 Grad. Beim Globalance-Zukunftbeweger-Fonds liegen wir sogar bei 1,6 Grad.
Das ist nicht viel tiefer als der SMI-Fonds und immer noch zu hoch.
Das stimmt. Wir sind im Finanzmarkt auf einer langen Reise. Dennoch ist Globalance der Konkurrenz bei diesen Themen weit voraus. Viele Fonds von Grossbanken wie der UBS zum Beispiel liegen über 2.7 Grad. Wir dürfen nicht vergessen: Die Welt als Ganzes ist auf einem 3-Grad-Pfad. Und trotz aller Bekundungen für weniger CO2-Ausstoss haben die weltweiten Emissionen im vergangenen Jahr ein neues Rekordniveau erreicht. Deshalb braucht es mehr Transparenz. Denn Transparenz ist ein starker Treiber. Wenn man etwas nicht weiss, dann kümmert es einen auch nicht.
Glauben Sie, dass die Welt die Probleme dank des technischen Fortschritts in den Griff bekommt?
Die Technologie spielt eine sehr wichtige Rolle. Ich bin nicht naiv technologiegläubig, aber wir können nicht nur auf Verhaltensänderungen bei den Menschen setzen. Der Mensch wird sein Verhalten nicht so rasch verändern. No way!
Wollen die Länder tatsächlich wie versprochen ihr Netto-Null-Ziel erreichen, braucht es da nicht auch einen gewissen Verzicht?
Wir werden auf Gewohnheiten verzichten müssen, die wir heute kennen. Aber wir werden auch von neuen Entwicklungen profitieren, die positiv sind und die wir heute noch gar nicht kennen. Diese Veränderungen finden statt und unsere Welt wird sich ändern, ob wir wollen oder nicht.
Ihre Globalance-Bank ist die erste und bis anhin noch immer einzige Bank, welche die hierzulande entwickelten sogenannten Swiss Climate Scores anwendet, welche die Klimaschädlichkeit von Anlageprodukten messen. Ist das Konzept gescheitert?
Nein, aber das braucht Zeit. Wir gehen davon aus, dass ab dem ersten Quartal 2024 weitere Banken die «Swiss Climate Scores» anwenden werden. Immerhin gibt es jetzt in der Schweiz ein Label, mit welchem die Kundinnen und Kunden die Angebote der verschiedenen Banken werden vergleichen können. Das ist ein erster, wichtiger Schritt. Der Markt steckt noch in den Kinderschuhen. Wenn der Wechsel hin zu einer nachhaltigen Anlagestrategie ein Marathon ist, dann sind wir erst bei Kilometer 5.
Wieso dauert das mit den Labels für Finanzanlagen so lange? Beim Kühlschrank funktioniert es ja auch mit einfachen Etiketten.
Es haben auch nicht alle Anbieter ein Interesse an mehr Transparenz. Aber fairerweise muss ich sagen, dass es nicht ganz so einfach ist wie beim Kühlschrank. Nachhaltigkeit zu messen und auf ein einfaches Label zu reduzieren, ist schwierig.
Vielleicht hat in jüngster Zeit auch das Kundeninteresse für nachhaltige Anlagen nachgelassen?
Dafür sehen wir bei unserer Kundschaft keine Anzeichen. Aber natürlich gehört diese zum Segment der «do care», also zu jener Gruppe von Anlegern, die sich für diese Zukunftsthemen interessieren und auch etwas dafür tun wollen. Das heisst: Unsere Kundinnen und Kunden wollen eine gute Rendite, aber sie wollen dabei auch ein gutes Gefühl haben.
Wie setzt sich denn die Gruppe der «do care» zusammen?
Es sind eher Frauen, eher Erben, eher jüngere Personen. Wir sehen das auch bei den Family Offices, die wir betreuen: Sobald die nächste Generation übernimmt, wird Nachhaltigkeit zum Thema.
Und die nehmen bewusst eine tiefere Rendite in Kauf für mehr Nachhaltigkeit?
Man muss doch nicht auf Rendite verzichten! Zahlreiche Studien bestätigen das Gegenteil. Wieso soll mehr Nachhaltigkeit weniger Rendite bringen?
Weil mit mehr Kostenwahrheit mehr Kosten für die heute nicht beglichenen Schäden anfallen, die folglich die Rendite schmälern.
Die Zeiten, in denen Schäden externalisiert werden konnten, sind vorbei. Der Druck von der Gesellschaft, der Wirtschaft und der Politik nimmt zu. Die Allgemeinheit ist immer weniger bereit, für Schäden zu bezahlen, welche einzelne Unternehmen verursachen. Ausserdem möchte ich festhalten: Nachhaltige Anlagen haben über die letzten drei, fünf und zehn Jahre besser rentiert als traditionelle Anlagen.
Aber nicht in den letzten 12 Monaten. Oben aus schwangen die Ölkonzerne, die dank hoher Energiepreise Riesengewinne schreiben konnten.
Das stimmt. 2022 hat man mit Ölaktien viel Geld verdient. Aber das hat schon wieder gedreht. Seit Anfang Jahr haben die Ölaktien 1 Prozent verloren, während die Wertpapiere von Firmen im Bereich erneuerbare Energien bei plus 8 Prozent liegen. Die Investitionsrisiken werden bei den alten Technologien wie fossile Brennstoffe oder Verbrennungsmotoren immer höher.
Die meisten Banken investieren weiterhin in Firmen, die auf Öl und Verbrennungsmotoren setzen. Sie argumentieren damit, dass sie diese Firmen auf ihrem Transformationsprozess zu einem nachhaltigen Geschäftsmodell unterstützen müssen.
Diese Transformation ist sicher wichtig. Und es ist begrüssenswert, wenn sich Firmen verpflichten, ihren CO2-Ausstoss zu reduzieren. Aber wenn man die Verpflichtungen und Versprechen all dieser CEOs addiert, dann sind wir bereits in 10 Jahren bei Netto-Null. Irgendwie geht das nicht auf. Die meisten dieser CEOs werden dann ohnehin nicht mehr in ihrem Amt sein.
Es wird ja laufend kontrolliert, ob sie mit ihren Firmen auch wirklich auf dem Absenkpfad sind.
Ja. Aber aus Anlagesicht sind Unternehmen in der Transformation nicht so interessant: Denn das sind Firmen mit Problemen, die sie lösen müssen. Vielversprechender sind doch Firmen, welche durch ihre Produkte und Dienstleistungen von dem Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit profitieren werden. Oder anders gesagt: Statt Autofirmen, die noch immer Verbrennungsmotoren anbieten, hat man heute besser Unternehmen im Portfolio, die Sensoren oder Batterien für Elektromobilität herstellen. Es wird grosse Veränderungen geben. Und dann ist es besser, dort zu investieren, wo Neues entsteht.
Apropos Neues. Sind Sie auch bereit, sich anzupassen - und allenfalls Ratschläge Ihrer 17-jährigen Tochter zu befolgen?
Ich biete meiner Tochter nicht viel Angriffsfläche: Seit Jahren fahre ich ein Elektroauto, wir haben zu Hause eine Wärmepumpe und Solarpanels auf dem Dach. Aber meine Tochter ernährt sich im Gegensatz zu mir vegan. Und ich muss zugeben: Sie hat die besseren Argumente. (aargauerzeitung.ch)
War da nicht mal was mit 1.5 Grad in Paris?