Leben
Schweiz

Nur Drachen fehlen noch: Wilhelm Tell gibts jetzt als echtes B-Movie

CLAES BANG in WILLIAM TELL, 2024, directed by NICK HAMM. Copyright Free Turn / Tempo Productions. Credit: Free Turn / Tempo Productions / Album
Claes Bang als reifer, leidender Wilhelm Tell.Bild: www.album-online.com
Review

Nur Drachen fehlen noch! Wilhelm Tell gibt's jetzt als echtes B-Movie

Nick Hamm orientiert sich in seinem historischen Action-Film mal mehr, mal weniger an Friedrich Schiller.
01.08.2025, 20:4602.08.2025, 14:04
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Nein, wir haben die Sache mit dem Apfelschuss nicht erfunden. Also das Märchen von dem Mann, der auf Befehl eines anderen, mächtigeren Mannes wechselweise einen Apfel oder eine Münze vom Kopf seines Kindes schiessen muss. Das Motiv war schon da, bevor es eingeschweizert wurde, kam aus Dänemark oder in einer leichten Abwandlung aus Persien, erschien Ende des 15. Jahrhunderts fast zeitgleich im «Weissen Buch von Sarnen» und im deutschen «Hexenhammer». Letzterer war das Grundlagenwerk zur Hexenverfolgung und stellte den Vater als vom Teufel besessen dar, anders war seine überragende Schiesskunst nicht zu erklären.

Der Schweizer Mythos um den Mann mit Namen Tell wurde schliesslich von den Franzosen adaptiert und von Friedrich Schiller (und ein paar anderen). Überlebt hat von allen so richtig Schillers Theaterstück (und Rossinis Tell-Oper), nicht zuletzt dank seiner markigen Kalendersprüche: «Die Axt im Haus erspart den Zimmermann», «Früh übt sich, was ein Meister werden will» – etc.

Tell-Verfilmungen gibt es seit 1898 immer wieder, der Stoff ist ja auch zu verführerisch, der Held ist eine Mischung aus Robin Hood und Alpöhi, dazu Freiheitskampf vor alpiner Kulisse, Familiendrama, revolutionäre Gesinnung im Überfluss, moralische Einwandfreiheit gegen dekadente Tyrannei, starke Männer und mutige Frauen, der Unterhaltungswert von «Wilhelm Tell» ist gross.

Der irische Regisseur und Drehbuchautor Nick Hamm hat ihn nun mit «William Tell» noch grösser gemacht. Also schamlos ins B-Movie-Universum hinein erweitert. Dorthin, wo restlos alles möglich ist, bloss Drachen fehlen noch. Schiller hat er dabei sehr ernst genommen, alle Figuren sind fiktional verbürgt, die meisten auch historisch, und was sie tun, ist, was man im Theater eine «Überschreibung» von Schillers Vorlage nennen würde.

Trailer zu «William Tell»

Sagen wir's gleich: Erfolg hat Hamm damit bis jetzt nicht, der Film läuft seit Mitte Juni in mehreren Ländern, das Budget wird auf 45 Millionen Dollar geschätzt, eingenommen sind bis jetzt 680'000 Dollar, die Schweiz wird das Ruder dieses maroden Schiffchens auch nicht mehr rumreissen.

Obwohl es fast ein bisschen schade ist, denn 130 Minuten lang wird wahnsinnig viel geboten, da gibt's kein Innehalten, kein Atemholen, da wird in einem Fort gemeuchelt und gebrandschatzt, da werden unzimperlichst ganze Berge von mit Schwert oder Sense abgetrennten österreichischen Gliedmassen angehäuft, das Blut fliesst in Strömen. Und immerzu denken sich die schlauen Eidgenossinnen neue Tricks aus für ihre geistig etwas schwerfälligen Kampfmaschinen von Männern, bis sie selbst mit Schwertern ins Geschehen eingreifen.

«Es ist völlig lächerlich, wird aber mit absoluter Ernsthaftigkeit vorgetragen, und das Ergebnis ist ein unschuldiges Amüsement.»
«The Guardian» über «William Tell».
William Tell (Claes Bang)
Die Frau an Tells Seite heisst nicht Hedwig, sondern Suna (Golshifteh Farahani) und stammt auch nicht aus der Innerschweiz, sondern aus Israel.Bild: Crossbow Films Limited

Die Schweizer Dörfer sehen aus, als hätten Architekten aus dem Elsass in Tolkiens Auenland gebaut, so hat man Altdorf und Sarnen echt noch nie gesehen, und Tell selbst (Claes Bang) besitzt einen korrekt gestutzten Hipster-Barber-Bart. Ein paar aufrührerische Priester tragen Miniarmbrüste am Handgelenk, und die habsburgische Prinzessin Bertha von Bruneck, die aus Liebe zu den Schweizern überläuft, versteht sich prima auf Martial Arts.

Von Nick Hamm erfahren wir auch endlich, wieso Tell ein tendenzieller Einzelgänger ist, der Überwindung braucht, um sich in den Kampf gegen die Österreicher zu begeben: Er ist ein traumatisierter Kriegsveteran, er kämpfte einst in einem Kreuzzug, der ihn bis nach Jerusalem brachte, von wo er mit einer muslimischen Frau und ihrem Sohn Walter zurückkehrte. Nun ist es historisch gesehen zwar unmöglich, dass sich Tell zu seiner angeblichen Lebzeit auf einem derartigen Kreuzzug befand, aber egal, es geht ja um das grosse Ganze der erzählerischen Möglichkeiten.

CONNOR SWINDELLS in WILLIAM TELL, 2024, directed by NICK HAMM. Copyright Free Turn / Tempo Productions. Credit: Free Turn / Tempo Productions / Album
Gessler (Connor Swindells, Mitte) ist erstaunlich jung.Bild: www.album-online.com

Tells Frau Suna wird übrigens von der Iranerin Golshifteh Farahani gespielt – sie wird am 6. August am Filmfestival Locarno auf der Piazza Grande für alle ihre bisherigen Filme ausgezeichnet, nur nicht für «William Tell».

Claes Bang ist am besten, wenn er sehr leise oder sehr laut sein, also schweigen oder schreien darf, denn leider ist Hamm ein lausiger Dialogschreiber, der versucht hat, banale Gebrauchstexte mit Schiller zu kreuzen, und Claes Bang hat nun mal am meisten Text. Die Bösen sind superböse – Connor Swindells (Adam Groff aus «Sex Education») gibt Gessler die Züge eines lausbübischen Psychopathen, und Ben Kingsley als König Albert betrachtet Menschenleben eh nur als eine Art fleischgewordenes Geld.

Und da sind wir nun: Ein Ire dreht im Tirol einen Film nach einer deutschen Vorlage über einen Schweizer Helden, der von einem Dänen gespielt wird, dessen Frau eine Israelin ist, die von einer Iranerin verkörpert wird. Wenn das unseren Willi nicht zum Universal-Mythos erhebt!

Ach ja, die Geschichte von Gessler endet anders, als wir sie kennen, offenbar wäre die hohle Gasse als Schauplatz zu bescheiden gewesen. Und am Ende kriegt man mit aller Macht eine Sequel-Idee um die Ohren gehauen. Wie heisst es bei Schiller? «Neues Leben blüht aus den Ruinen.» Lieber nicht.

«William Tell» läuft jetzt im Kino.

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Das? Ach, das ist nur «The Shining» aus Lebkuchen!
1 / 27
Das? Ach, das ist nur «The Shining» aus Lebkuchen!
Nur dass diese beiden aus Lebkuchen geformt sind ...
quelle: reddit / reddit
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47 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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circumspectat animo
01.08.2025 22:44registriert März 2019
Gedreht in Uri und mit Beat Schlatter in der Hauptrolle wäre der Film wohl Oscarwürdig. Aber so…
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