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«Was die Post derzeit macht, ist gesetzeswidrig»: Softwarefirma klagt an

Ein Postbote liefert Pakete aus, am Donnerstag, 19. Maerz 2020 in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
Die Post will in Zukunft mehr sein als nur ein Paketdienst.Bild: KEYSTONE

«Was die Post derzeit macht, ist gesetzeswidrig»: Softwarefirma zeigt Staatskonzern an

Nun muss die Wettbewerbskommission die Expansionspläne der Post überprüfen. Abacus wirft dem Bundesbetrieb «Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung» vor.
19.03.2022, 08:41
Florence Vuichard / ch media
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Es geht ihm ums Prinzip: «Wieso sollen sich die Bürgerinnen und Bürger an das Gesetz halten, wenn der Staat selbst Gesetze missachtet?», sagt Claudio Hintermann, Chef und Mitgründer der Softwarefirma Abacus - und derzeit wohl Post-Chef Roberto Cirillos gefährlichster Widersacher. Denn für Hintermann ist klar: «Was die Post derzeit macht, ist gesetzeswidrig.» Und er sei nicht gewillt, tatenlos zuzusehen, wie die Post trotz fehlender rechtlicher Grundlage ihren Aktionsradius weiter ausdehne.

Und so hat Hintermanns Abacus am Donnerstag, 17. März, bei der Wettbewerbskommission (Weko) eine «Anzeige mit Antrag auf Erlass vorsorglicher Massnahmen» eingereicht - gegen die Post und gegen das Unternehmen Klara, das wie Abacus cloudbasierte Buchhaltungssoftware anbietet und seit Oktober 2020 mehrheitlich zur Post-Familie gehört.

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Die Klara-Übernahme durch die Post hat auch Konsequenzen für Hintermanns Softwarefirma mit Sitz im st.gallischen Wittenbach. In der Anzeige, welche CH Media vorliegt, hält Abacus fest, dass das Softwareunternehmen jetzt «substanziell mehr Aufwand zur Kundenpflege und Kundengewinnung betreiben» müsse.

Dennoch, ergänzt Hintermann, «wir können es mit Klara als Teil der Post-Gruppe aufnehmen. Wir sind stark genug.» Kleinere Unternehmen hingegen seien in ihrer Existenz bedroht, einige Firmenchefs hätten ihn «aufgelöst» angerufen und um Hilfe gebeten. «Wenn wir nichts machen, wer dann?»

Heikler Datenaustausch: Mit dem Post-Login zu Klara

In der Anzeige wirft Abacus der Post und Klara vor, ihre marktbeherrschende Stellung zu missbrauchen, was sich etwa in der «rechtswidrigen» Weiterleitung von Kundendaten von der Post an Klara zeige, namentlich die Daten der 2.6 Millionen Privatkunden sowie 300'000 Geschäftskunden, die einen Post-Account eingerichtet haben.

Abacus-Mitgründer Claudio Hintermann.
Abacus-Mitgründer Claudio Hintermann.bild: zvg

Das leiten die Kläger aus dem Umstand ab, dass sich die Post-Kundschaft mit demselben Login auch gleich bei Klara anmelden kann. Die Folge: Klara verzeichne ein überdurchschnittliches Wachstum bei der Anzahl der Nutzerinnen und Nutzer - «und zwar auf Kosten der Konkurrenten». Und dies nicht etwa, weil die Qualität bei Klara besser sei, sondern dank des vereinfachten Login-Verfahrens und weil die Buchhaltungssoftware «aufgrund der Quersubventionierungen durch die Post-Gruppe» unentgeltlich angeboten werden könne.

Deshalb fordert Abacus, dass die Weko hier sofort einen Riegel schiebt und den Datentransfer zwischen dem Monopolbereich der Post und Klara unterbinde. Das würde auch heissen, dass mit dem Post-Login keine Klara-Dienstleistungen mehr bezogen werden könnten - weder die Buchhaltungssoftware noch der elektronische Briefkasten.

Die Voraussetzungen für eine solche vorsorgliche Massnahme von Seiten der Weko seien gegeben, argumentieren die Kläger. Denn: «Wird den missbräuchlichen Praktiken nicht unverzüglich Einhalt geboten», drohe eine «gravierende und irreversible Marktanteilsverschiebung». Demnach sei auch einer allfälligen Beschwerde von Seiten der Post die aufschiebende Wirkung zu entziehen.

Klara schreibt rote Zahlen - und kann es sich leisten

Abacus argumentiert in seiner Anzeige nicht nur im Namen aller Buchhaltungssoftware-Firmen, sondern breiter, liefert auch Argumente für Anbieter von elektronischen Briefkästen und sogenannten Hybridpostprodukten, also Dienstleister, welche die physische Post in digitale Post umwandeln.

Nebst der Entkoppelung beim Login sollen die Wettbewerbshüter gemäss Anzeige Klara untersagen, Angebote mit den Post-Logos und -Farben zu beschriften. Und Abacus fordert von Konkurrenten in Post-Besitz «kostendeckende Preise», was derzeit nicht der Fall sein dürfte. Jedenfalls schreibt Klara, das sich selbst als «cloudbasiertes Ökosystem» bezeichnet, bis heute nur Defizite und will erst 2024 den Sprung in die schwarzen Zahlen schaffen, wie auch Klara-Chef Renato Stalder im November gegenüber CH Media festgehalten hatte. Abacus wittert «kartellrechtswidrige Quersubventionierungen».

Die Grundsatzfrage: Was darf die Post? Und was nicht?

Fundament der Abacus-Anzeige ist das Postorganisationsgesetz, das in Artikel 3 den Unternehmenszweck des Staatskonzerns ziemlich präzis umschreibt. Die Post kann demnach - nebst festgeschriebenen Finanzdienstleistungen sowie Diensten im regionalen Personenverkehr - Folgendes anbieten:

«Die Beförderung von Postsendungen und Stückgütern in standardisierten Behältnissen sowie damit zusammenhängende Dienstleistungen.»

Für die Aufnahme von darüber hinausgehenden Tätigkeiten fehlt der Post-Gruppe hingegen die gesetzliche Grundlage, heisst es in der Anzeige von Claudio Hintermann. Findet der Abacus-Mitgründer bei den Wettbewerbshütern Gehör, dann wirds schwierig für Roberto Cirillos Expansionspläne. Dann könnte seine Firmenshopping-Tour zu Ende sein, bevor sie richtig angefangen hat.

Abacus ist mit seinem Widerstandswillen nicht allein, offenbar planen noch weitere Akteure bei der Weko Anzeige einzureichen. So wie auch schon mehrere Firmen und Verbände, aufgeschreckt durch die Akquisitionsstrategie der Post, sich mit Beschwerden an die Postcom gewendet haben: Mindestens zwei Anzeigen sind dort hängig: Eine von Abacus und eine vom Verband der Aussenwerbung. Die Anzeigen seien in Prüfung, heisst es bei Postcom. Mehr will die Aufsichtsbehörde nicht verraten.

Roberto Cirillo, CEO Schweizerische Post, aeussert sich an der Bilanzmedienkonferenz der Schweizerischen Post und der PostFinance, am Donnerstag, 10. Maerz 2022, in Bern. (KEYSTONE/Peter Schneider)
Post-Chef Roberto Cirillo.Bild: keystone

Der Mann, der 69 Gemeinden verklagt hat

Und auch in der Politik nimmt der Unmut zu: Nach dem Ständerat hat in dieser Frühjahrssession nun auch der Nationalrat zwei gleichlautende Motionen angenommen, die den Bundesrat beauftragen, «Wettbewerbsverzerrungen durch Staatsunternehmen» einzudämmen. Der Aargauer FDP-Nationalrat Matthias Jauslin wiederum hat soeben eine Motion eingereicht, in der er fordert, dass die Post bei allfälligen Firmenkäufen «im Minimum ein geeignetes Genehmigungsverfahren» bei einer noch genauer zu bestimmenden Instanz durchlaufen müsse.

Der Abacus-Mitgründer freut sich über all die Unterstützung, aber er scheut sich auch nicht, alleine anzutreten. Es ist jedenfalls nicht das erste Mal, dass Hintermann auf die Hinterbeine steht. 2015 hat er 69 St. Galler Gemeinden verklagt, weil diese ihre Buchhaltungssoftware bei einer Firma einkaufen wollten, die ihnen selbst gehört, statt die Aufträge auszuschreiben. Mittlerweile hat er sich mit den Gemeinden geeinigt, sie kaufen jetzt auch seine Software. (aargauerzeitung.ch)

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91 Kommentare
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Pbel
19.03.2022 09:09registriert April 2017
Danke für den Einsatz. Es ist schon fragwürdig, was die Post mit Monopol-Geld macht in Bereichen wo sie nichts verloren und keine Ahnung hat: siehe Publibike (hohe Verluste) und Bring! (Was hat eine Einkaufsliste mit dem Kerngeschäft der Post zu tun).
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Potzholzöpfel
19.03.2022 09:23registriert August 2019
Das ist in etwa so, wie wenn Bauern mit ihren subventionierten Maschinen/Diesel Baudienstleistungen anbieten und erst noch MWST. befreit. Da kann unsereins schlecht mithalten.
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Dave1974
19.03.2022 09:49registriert April 2020
"Mittlerweile hat er sich mit den Gemeinden geeinigt, sie kaufen jetzt auch seine Software."

Klingt jetzt aber auch nicht so nach einem ausgeschriebenen Wettbewerb. War wohl gerade noch unter einer verpflichtenden Summe? Zwinker zwinker.
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