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Verteidiger Erni sieht Pierin Vincenz als Opfer

Verteidiger Erni sieht Pierin Vincenz als Opfer: «Erfolg schafft bekanntlich Neider»

Der Staranwalt argumentierte am Freitag, der frühere Raiffeisen-Chef sei Opfer einer medialen Kampagne, die auch die Sicht der Staatsanwaltschaft auf den Fall verzerrt habe. Er fordert Freispruch und Genugtuung.
28.01.2022, 22:24
Daniel Zulauf / ch media
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Der ehemalige Raiffeisenchef Pierin Vincenz, links, erscheint mit Anwalt Lorenz Erni zum vierten Prozesstag des Raiffeisen-Prozess des Zuercher Bezirksgerichts vor dem Volkshaus, am Freitag, 28. Janua ...
Lorenz Erni (r.) mit seinem Klienten Pierin Vincenz erscheint zum vierten Prozesstag im Volkshaus.Bild: keystone

«Erfolg schafft bekanntlich Neider», sagte der Zürcher Staranwalt Lorenz Erni gleich zu Beginn seines Plädoyers im Raiffeisen-Prozess, mit dem er seinen Mandanten Pierin Vincenz zu entlasten hoffte. Neid sei vermutlich auch die Triebfeder gewesen, die einen nicht bekannten Whistleblower dazu bewogen, dem Finanzblog «Inside Paradeplatz» eine Banküberweisung zuzuspielen, mit der 2.9 Millionen Franken vom einen Hauptangeklagten Beat Stocker zu Pierin Vincenz geflossen waren.

Diese Überweisung hatte die Strafuntersuchung 2017 erst richtig ins Rollen gebracht. Nach Ernis Auffassung hätte dieses «rechtswidrige Beweismittel» gar nie Grundlage für das nun laufende Verfahren sein dürfen. Dass es trotzdem so weit kam, zeigt nach Auffassung des Verteidigers nicht nur auf, dass die Staatsanwaltschaft ihre Anklage auf einem brüchigen Beweisfundament abstellt. Vielmehr habe sich die Staatsanwaltschaft in der Folge auch stark von der Berichterstattung der Medien leiten lassen und entsprechend voreingenommen ermittelt.

Erni verlangte für seinen Klienten den Freispruch in allen Punkten. Die Staatsanwaltschaft fordert derweil sechs Jahre Gefängnis für Vincenz und hält ihn des gewerbsmässigen Betrugs und anderer Vergehen für schuldig.

«Raiffeisen wäre heute nicht Raiffeisen ohne ihn», zitierte Erni ein früheres Geschäftsleitungsmitglied von Vincenz, unter dem «die frühere Bauernbank» zur drittgrössten Bank der Schweiz aufgestiegen sei. «Man muss schon einen gehörigen Hang zur Erbsenzählerei haben, darin ein die Bank schädigendes Verhalten zu sehen», sagte Erni unter Verweis auf die kostspieligen Eskapaden des einst populärsten Bankers des Landes im Schweizer Rotlichtmilieu. Der freizügige Umgang von Vincenz mit Geschäftsspesen ist zwar materiell der am wenigsten schwer ins Gewicht fallende Teil der Anklage. Aber er zeigt am deutlichsten auf, wie weit die Positionen von Anklage und Verteidigung auseinanderliegen.

Striplokale, Villen und fragwürdige Geschäfte – darum geht es beim Raiffeisen-Prozess

Video: watson/Corsin Manser, Emily Engkent

Ein «Chefverkäufer» brauche ein ausgedehntes Kontaktnetz

Erni zitierte den früheren Raiffeisen-Präsidenten Johannes Rüegg-Stürm, der Vincenz einmal als «Chefverkäufer» der Bank bezeichnet hatte, was die Bewirtschaftung eines ausgedehnten Kontaktnetzes auch ausserhalb der eigentlichen Arbeitszeit notwendig gemacht habe. Dazu gehörten auch die vielen Besuche in Nachtclubs, die im Geschäftsleben eben dazugehörten.

Am Vortag hatte die Staatsanwaltschaft den gleichen Rüegg-Stürm zitiert, nachdem es bei Auslagen für Stripclub-Besuche nicht um einen Geschäftsaufwand gehen könne. «Es ist ganz einfach: Wenn das öffentlich geworden wäre, hätte das der Marke Raiffeisen einen gigantischen Schaden zugefügt», hatte Rüegg-Stürm den Ermittlern zu Protokoll gegeben.

Der ehemalige Raiffeisenchef Pierin Vincenz verlaesst das Volkshaus bei einer Unterbrechung am dritten Prozesstag des Raiffeisen-Prozess des Zuercher Bezirksgerichts im Volkshaus, am Donnerstag, 27. J ...
Der ehemalige Raiffeisenchef Pierin Vincenz verlässt das Volkshaus bei einer Unterbrechung am dritten Prozesstag.Bild: keystone

Eine luxuriöse Golfreise nach Dubai, mit der sich Vincenz bei ehemaligen Geschäftspartnern für deren Dienste für Raiffeisen habe bedanken wollen, war nach Ansicht der Staatsanwaltschaft weit über dem vertretbaren Mass: «Eine Dame, drei Herren, sechs Tage Golfferien, knapp 100'000 Franken. Das war, mit Verlaub, jenseits von Gut und Böse.» Erni sieht das anders: «Warum soll das Dankeschön nicht geschäftlich begründet sein.» Sein Mandant habe doch nur das getan, was ein «Chefverkäufer» einer Bank tun muss. «Warum soll diese nun plötzlich ein strafrechtliches Vergehen sein?»

Die Eskapaden auf Spesen waren bei Erni nur Nebensache

Freilich stellte Erni seine Bemerkungen zu Vincenz' Eskapaden auf Geschäftskosten ganz an den Schluss seines rund siebenstündigen Plädoyers, was wohl als Hinweis gedeutet werden kann, dass sein Mandant in diesen Anklagepunkten die schlechtesten Karten haben dürfte.

Ins Zentrum stellte Erni stattdessen die diversen Firmentransaktionen, mit denen sich Vincenz und Stocker nach Auffassung der Staatsanwaltschaft auf betrügerische Weise und eben teilweise gewerbsmässig um insgesamt 25 Millionen Franken bereichert haben sollen. Insbesondere bestritt Erni, dass Raiffeisen und der Kreditkartenfirma Aduno, in der Raiffeisen die grösste Aktionärin ist, dadurch ein Schaden entstanden ist. Das Ziel des Verteidigers ist klar: Kann ein Schaden nicht beziffert werden, fällt auch der Betrugsvorwurf dahin.

Offenbar hatte die Staatsanwaltschaft ihren ursprünglichen Ansatz der Beweisführung geändert, nachdem klar geworden war, dass dieser zur Feststellung des Schadens nicht geeignet war, wie Erni sagte. Eine einfache Methode zur Bemessung des Schadens wäre es gewesen, wenn die von Vincenz und Stocker in deren leitenden Funktionen bei Raiffeisen und Aduno dazu geführt hätten, dass diese Firmen zu einem überhöhten Preis eingekauft hätten und von den Hauptbeschuldigten somit übervorteilt worden wären.

Der ehemalige Raiffeisenchef Pierin Vincenz, rechts, verlaesst mit Anwalt Lorenz Erni, links, nach der ersten Prozesswoche des Raiffeisen-Prozess des Zuercher Bezirksgerichts das Volkshaus, am Freitag ...
Pierin Vincenz, rechts, verlässt mit Anwalt Lorenz Erni, links, nach der ersten Prozesswoche des Raiffeisen-Prozess des Zürcher Bezirksgerichts das Volkshaus.Bild: keystone

Nun aber macht die Staatsanwaltschaft geltend, die beiden hätten nicht dafür gesorgt, für die von ihnen vertretenen Firmen (Raiffeisen/Aduno) das beste Preis-Leistungs-Verhältnis herausgeholt zu haben. Darauf aufbauend leitet die Klägerin ab, dass sich aus den erzielten Gewinnen der beiden Hauptbeschuldigten der Schaden für Aduno und Raiffeisen ableiten lassen. Der Betrugsvorwurf ergibt sich aus der Tatsache, dass die Beklagten ihre Gewinne nicht herausgerückt haben und zudem ihre Beteiligungen an den übernommenen Firmen versteckt haben.

Erni stellte diese Argumentation in Zweifel, zumal sie auf einem Bundesgerichtsurteil aus dem Jahr 2018 über die Herausgabepflicht sogenannter Retrozessionen im Vertrieb von Anlagefonds beruhe, das für die weiter zurückliegenden Transaktionen nicht geltend gemacht werden könne. Damit bereitete er bereits das Terrain für einen Weiterzug des Falles in die nächsthöhere Instanz vor. Dort dürfte es dann um die Frage gehen, ob es sich beim Bundesgerichtsurteil um eine eigentliche Praxisänderung oder, wie von der Staatsanwaltschaft behauptet, eine Präzisierung bestehender Rechtsprechung handelt.

Die Klärung des Falles Raiffeisen droht die Gerichte noch länger zu beschäftigen und zunehmend ein Spiel um juristische Spitzfindigkeiten zu werden. Das dreiste Verhalten der Hauptakteure, die im Umgang mit dem fremden Geld offensichtlich keine Hemmungen zeigten, dürfte dabei immer weiter in den Hintergrund treten. (aargauerzeitung.ch)

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32 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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SirMike
28.01.2022 23:12registriert Juni 2017
Na ja, neidisch auf was genau? Auf die 40 verbrannten Mio. und die Schulden bei seinen ehemaligen Buddies?
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Fairness
29.01.2022 05:54registriert Dezember 2018
Hat man keine besseren Argumente, kommt immer der Neid. Ich mag das nicht mehr hören. Niemand ist auf ehrlich verdiente Millionen neidisch. Ertrogene oder nicht verdiente, hinterher geworfene Millionen schaden aber der gesamten Gesellschaft.
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Fairness
29.01.2022 07:25registriert Dezember 2018
Das Einzige, das Erni wunderbar bewiesen hat, ist dass Verwaltungs-, Stiftungsräte usw. oft nur unnötige, teure Abnickgremien und Nachtclubbegleiter sind. Revisionen sind oft auch nur sehr teuer.
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