Die Lohnerhöhungen in der Schweiz fallen seit Jahrzehnten immer geringer aus, man muss sie unterdessen mit der Lupe suchen. Was kann getan werden, um diesen Trend zu stoppen oder umzukehren?
Der Reflex bei wirtschaftspolitischen Problemen besteht seit Jahren darin, zu den Notenbanken zu schielen. Könnte also die Nationalbank durch eine Erhöhung der Geldmenge und damit über die Geldentwertung (Inflation) die Löhne ankurbeln? Soll sie gar – wie derzeit diskutiert – das Geld statt über das Bankensystem in die Wirtschaft den Konsumenten gleich direkt überweisen – notfalls per Abwurf aus dem Helikopter?
Das Problem ist, dass damit langfristig auch die Güterpreise steigen würden. Was die Arbeitnehmer mit ihrem (höheren) Lohn dann kaufen könnten, bliebe nach herrschender Lehre gleich.
Welche andere Möglichkeiten bestünden, um das Malaise zu beenden? Und was wäre ein fairer Anstieg, um die langen Jahre der Enthaltsamkeit bei den Lohnforderungen auszugleichen?
Der Lohn ist der Preis für Arbeit. Sein wichtigster Bestimmungsfaktor ist der Wert, der von dieser Arbeit geschaffen wird – beispielsweise berechnet in Dollar pro Stunde. Der Zusammenhang ist statistisch belegt und hochsignifikant: Eine um ein Prozent höhere Arbeitsproduktivität führt im Durchschnitt zu einem Zuwachs des Bruttolohns von rund einem drittel Prozent.
Doch hier gibt es schlechte Neuigkeiten: Obschon die Schweiz in so gut wie allem als Vorzeigeland der Effizienz gilt, ist sie kein Musterschüler mehr in der Arbeitsproduktivität. Diese hat sich seit 1970 schwächer entwickelt als in anderen Industriestaaten.
Eine Studie des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) von 2013 bestätigt das Bild: In der Zeit vor 2002 war der durchschnittliche Produktivitätsfortschritt höher als danach. Und eine Untersuchung von 2003 von Aymo Brunetti – von 2003 bis 2012 Seco-Chef – zeigt, dass die Produktivität seit den 1960er-Jahren immer weniger zunimmt.
Liegt der Stillstand bei den Produktivitätszuwächsen vielleicht daran, dass die Produktivität in der Schweiz bereits auf sehr hohem Niveau angekommen ist?
Im Bericht «Grundlagen für die neue Wachstumspolitik» von 2013 schreibt das Seco dazu in der Tat, das hohe Einkommensniveau der Schweiz spiegle sich auch in überdurchschnittlich hohen Löhnen, denen eine hohe Arbeitsproduktivität gegenüberstehen müsse – sonst könnten die Firmen auf Dauer nicht profitabel wirtschaften.
Diesem indirekten Schluss von hohen Löhnen auf hohe Produktivität widerspricht aber die Studie von Brunetti: Die Arbeitsproduktivität der Schweiz sei nicht nur vom Wachstum her unterdurchschnittlich, sondern zudem vom Niveau her mittelmässig. Das abnehmende Wachstum der Produktivität im Vergleich zu anderen Ländern lässt den Schluss zu, dass sich darin kaum etwas verbessert haben dürfte.
Das klingt eher danach, als sei es nur fair, wenn die im Vergleich zu den anderen Ländern ohnehin hohen Löhne in der Schweiz kaum mehr steigen.
Kann die Schweiz ein Sonderfall bei den hohen Löhnen bleiben, wenn sie in der Produktivität mit der Masse mitschwimmt? Die Schweiz verfüge durchaus über hochproduktive Branchen, präzisiert Alexis Bill-Koerber von BAK Basel und nennt etwa Pharma- und Finanzindustrie, die den Durchschnitt der Löhne heben. Bill-Koerber ist zuversichtlich, dass die Finanzbranche auch in Zukunft die Produktivität stützen wird.
Der Eindruck bleibt dennoch bestehen: Die Schweiz verfügt trotz Produktivitätsniveau im Mittelfeld und sogar unterdurchschnittlichem Wachstum dieser Produktivität ein erstaunlich hohes Lohnniveau. Anders gesagt: Wegen der Produktivität allein sollte man in der Schweiz in den nächsten Jahren besser nicht auf Lohnerhöhungen hoffen. Und andere Hoffnungsträger für eine prallere Lohntüte sind keine in Sicht.
Bleibt die Frage, warum die Schweiz im Fortschritt der Produktivität an Terrain verloren hat. Das erstaunt umso mehr, als sich das Wirtschaftswachstum auch in der Krise im Unterschied zu anderen Ländern als sehr robust erwiesen hat. Der Grund war vor allem der Privatkonsum, gestützt durch tiefe Zinsen und die hohe Zuwanderung.
Doch gerade hier könnte die Krux liegen. Denn pro Kopf nimmt sich das Wirtschaftswachstum seit Jahren bescheiden aus. Die Zuwanderung könnte auch für die geringe Zunahme von Produktivität und Löhnen verantwortlich sein. Hat das erhöhte Angebot an Arbeitskräften dazu geführt, dass der Druck zu Effizienzsteigerung nachliess? Die Investitionen in Technik, Maschinen und Ausbildung könnten nachgelassen haben. Dabei wären es genau diese Investitionen, die die Arbeit produktiver machen.
Für Alexis Bill-Koerber lässt sich dieser Schluss zwar nicht verallgemeinern. Doch er räumt ein, die Zuwanderung habe die Verfügbarkeit von Arbeitskräften auch in weniger produktiven, arbeitsintensiven Branchen erleichtert, etwa dem Gastgewerbe. Die Wurzel für zu geringe Produktivitätsgewinne im nationalen Durchschnitt sieht er aber vor allem in regulierten Bereichen des Binnenmarktes, wie etwa die Landwirtschaft. (aargauerzeitung.ch)
Aber wehe dem, der in der fleissigen Schweiz solche Forderungen stellt!
Ganz sicher!
Hierzulande lachen viele Leute über die 35-Stunden-Woche Frankreichs, es scheint aber doch effizient zu sein.
Persönlich glaube ich, ich könnte auch
locker 1 Stunde weniger am Tag arbeiten und gleich produktiv bleiben.