Wenn morgen der Bezirksrichter James I. Cohen in Fort Lauderdale (US-Bundesstaat Florida) den Prozess gegen den Schweizer Banker Raoul Weil eröffnet, ist grosses Kino garantiert. Es ist tatsächlich wie im Film: Geheimtreffs, präparierte Laptops und Kronzeugen, die weich geklopft worden sind – alles ist vorhanden.
Es geht auch um viel Geld. Dem Chef der UBS-Vermögensverwaltung wird vorgeworfen, mitgeholfen zu haben, rund 20 Milliarden Dollar Steuergelder vor dem amerikanischen Fiskus zu verstecken. Weil plädiert auf unschuldig. Sollte er jedoch vom Geschworenengericht für schuldig erklärt werden, drohen ihm bis zu fünf Jahre Gefängnis.
So viel zu den Fakten. In Fort Lauderdale wird jedoch kein gewöhnliches Verbrechen verhandelt. Es geht auch um eine Abrechnung mit dem Schweizer Bankgeheimnis. Daher sind die Reaktionen hierzulande leicht vorauszusagen: In den nächsten Tagen wird viel von einem «Wirtschaftskrieg» der mächtigen USA gegen die kleine Schweiz zu hören sein; und an Hinweisen auf das Steuerparadies Delaware wird es ebenfalls nicht fehlen.
Wer in die Mühlen der US-Justiz gerät, hat nichts zu lachen. Der Fall Raoul Weil ist ein Paradebeispiel dafür. Angefangen hat es mit einem unzufriedenen Mitarbeiter namens Bradley Birkenfeld, der sich als Whistleblower bei den amerikanischen Behörden gemeldet hat. Dann wurde Weils Untergebener Martin Liechti filmreif verhaftet, als er gerade ins Flugzeug steigen wollte.
Liechti wurde zunächst in U-Haft gesteckt, wo andere Häftlinge ihm mit Vergewaltigung drohten. Danach wurde er in Fussfesseln in Hausarrest gesteckt. Jetzt wird er als Kronzeuge gegen Weil aussagen, zusammen mit rund 60 anderen Zeugen. Im Fall Weil spielen die Amerikaner das ganze Programm herunter.
Das wird zweifellos unschön werden. Doch anstatt in Selbstmitleid zu versinken, könnte es auch Anlass zu einer Selbstreflexion sein. Der Showprozess in Florida erfolgt mit Ansage und hat eine lange Vorgeschichte.
In der zweiten Hälfte der 90er Jahre wurde die Schweiz durch die Holocaust-Gelder erschüttert. Auf Schweizer Bankkonten würden nach wie vor riesige Summen von Juden liegen, die ihre Geld vor den Nazis in Sicherheit gebracht hätten und denen diese Gelder nun vorenthalten würden, lautete der aus jüdischen Kreisen aus den USA vorgebrachte Vorwurf.
Die Schweizer Banker und Politiker fielen zunächst aus allen Wolken. Erst als sie erkannten, wie gross der internationale Druck geworden war, setzten sie eine Untersuchungskommission unter der Leitung von Paul Volcker ein, dem gefeierten Ex-Präsidenten der US-Notenbank.
Die Untersuchung gab der Schweiz materiell Recht. Volcker & Co. förderten lediglich rund 400 Millionen Franken zutage, die möglicherweise immer noch auf Konten verstorbener Holocaust-Opfer lagen, ein Bruchteil der zuvor genannten Summen.
UBS, CS & Co. hatten jedoch schon zuvor nichts anbrennen lassen und sich mit einer Summe von 1,5 Milliarden Dollar aus einer drohenden Sammelklage losgekauft. Das Schweizer Bankgeheimnis war gerettet, so schien es zumindest. Die Banken selbst schienen zunächst ebenfalls etwas gelernt zu haben. Sie versprachen, das Bankgeheimnis den veränderten geopolitischen Verhältnissen anzupassen.
Im Zweiten Weltkrieg und im darauf folgenden Kalten Krieg war das Bankgeheimnis von den Alliierten, allen voran von den Amerikanern, bloss geduldet. Zu wichtig schien ihnen ein sicherer Hort im Herzen des von Kommunisten bedrohten Europas. Doch mit dem Fall der Berliner Mauer änderte sich das grundlegend. Das Schweizer Bankgeheimnis wurde zum reinen Steuerhinterziehungsvehikel und auch den Amerikanern nur noch lästig.
Für den Finanzplatz Schweiz hingegen war das Bankgeheimnis nach wie vor ein glänzendes Geschäftsmodell. Wer Ausländern half, Schwarzgeld zu verstecken, konnte sehr hohe Margen einkassieren. Deshalb beliessen es die Schweizer Banken bei Lippenbekenntnissen und bauten das Geschäft mit unversteuerten Vermögen aus – gerade in den USA, wie der Prozess wohl zeigen wird.
Die UBS schickten regelmässig als Privatpersonen getarnte Banker in die USA, um reiche Kunden zu gewinnen, und verstiessen dabei wissentlich gegen amerikanisches Recht. Auch die CS richtete im Flughafen Kloten ein Büro eigens für amerikanische Steuerbetrüger ein. Sie musste kürzlich dafür eine Busse von gegen drei Milliarden Dollar bezahlen.
Die UBS hingegen schien zunächst mit einem blauen Auge davon zu kommen. Weil die Bank nach dem Verrat von Birkenfeld mit den US-Behörden zusammenarbeitete und dank eines vom Bundesrat und Parlament eilends durchgewinkten Notrechts Kundendaten auslieferte, musste sie bloss 780 Millionen Dollar Busse bezahlen, ein aus heutiger Sicht lächerlicher Betrag.
Der Prozess gegen Weil zeigt aber, dass die Schonzeit gegenüber der Schweiz endgültig vorbei ist. Das amerikanische Justizministerium lässt keinen Zweifel mehr daran, dass die USA in Sachen Steuerbetrug nicht mehr gewillt sind, auch nur ein Hühnerauge zuzudrücken.
In Florida werden die Banken gewissermassen eingestimmt, auf das, was auch sie erwarten könnte, sollten sie nicht bedingungslos kooperieren. Teuer wird es auf jeden Fall werden, wie die bereits gefällten Bussen gegen die CS, aber auch gegen die französische Bank BNP Paribas zeigen.
Nicht nur die Banken tun sich schwer mit dem Abschied vom Bankgeheimnis, auch die Politik. Die SVP will dieses Geheimnis gar per Initiative in der Verfassung verankern. Die nötigen Unterschriften dazu hat sie bereits gesammelt.
Allerdings kann selbst die Annahme dieser Initiative nicht verhindern, dass das Bankgeheimnis für Ausländer definitiv der Vergangenheit angehört. Die Schweiz hat sich nämlich verpflichtet, die Regeln der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit OECD einzuhalten und beim Automatischen Informationsaustausch (AIA) mitzumachen. Die SVP-Initiative ist deshalb reine Folklore.
Die Diskussionen um Bankgeheimnis und Steuern führen jedoch zu gefährlichen Trotzreaktionen. Im Sommer 2013 hat beispielsweise eine unheilige Allianz zwischen SVP und SP verhindert, dass in der leidigen Steuerfrage das Bankgeheimnis für ein Jahr ausgesetzt wurde und in dieser Zeit die hängigen Verfahren erledigt wurden.
Der Widerstand gegen diese «Lex USA» wurde mit Schweizer Souveränität und dem Rechtsstaat verteidigt. Erreicht wurde lediglich, dass die Verfahren gegen die Schweizer Banken noch länger dauern werden – und noch viel mehr kosten dürften.
In rechtspopulistischen Kreisen ist das Bankgeheimnis zu einem Fetisch geworden. Anstatt es als Sonderfall zu betrachten – begünstigt durch die geopolitische Lage des 20. Jahrhunderts –, wird es zu einer Art Geburtsrecht der Schweiz emporstilisiert und dabei erwartet, dass der Rest der Welt dies klaglos akzeptiert.
Die welsche Journalistin Joëlle Kuntz hat in einer kürzlich veröffentlichten Schrift aufgezeigt, dass die Unabhängigkeit der Schweiz historisch gesehen stets relativ war. Sie weist dabei nach, dass eine mythisch überhöhte Unabhängigkeit mehr Schaden als Nutzen anrichtet. «In den Gesellschaften, in denen die Debatte frei und informiert verläuft, ist es keine Schande mehr, nicht vollständig unabhängig zu sein», stellt Kuntz klar. «Im Gegenteil, es ist das sture Festhalten an Unabhängigkeit, das angesichts der Vielfalt der zwischenstaatlichen, wirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Bande als überholt erscheint.»