Mikrobiologen und Mediziner warnen auf Kongressen seit Jahren davor, dass Antibiotika nicht mehr wirksam sind: Der exzessive Gebrauch führt bei Bakterien zu Resistenzen. So geschehen just im Kanton Genf, wo ein Stamm von Lungenbakterien mehrere bekannte Antibiotika-Ausweichmethoden kombiniert hat, um komplett resistent zu werden.
Das Bakterium hat Molekülpumpen entwickelt, die Antibiotika-Moleküle aus dem Zellinneren herausschleudern und wirkungslos machen. Und es hat gleichzeitig neue Enzyme gebildet, welche Reserve-Antibiotika zerstören können. Opfer dieses aggressiven Bakteriums war ein 41 Jahre alter Mann mit einer chronischer Lungenkrankheit, der 2019 mehr als sieben Monate lang ohne Besserung in einem Genfer Spital hospitalisiert war.
Als sich die Symptome des Mannes verschlechterten, entschlossen sich seine Ärzte für eine experimentelle Therapie mit sogenannten Phagen. Das sind Viren, die ausschliesslich Bakterien befallen und menschliche Zellen nicht infizieren. Ausserhalb von Russland und Georgien sind Phagen als Medikamente nicht zugelassen. Hierzulande verwendete man bisher immer die chemische Keule: Antibiotika. Im Falle des Genfer Patienten gab es aber keine andere Möglichkeit mehr. Und so verabreichte man ihm ein konzentriertes Gemisch mit Phagen zum Inhalieren.
Und siehe da: Nach mehreren Interventionen wurden die Symptome milder. Trotz einiger Rückfälle konnte der Mann im August 2022 aus dem Spital entlassen werden und sogar wieder seiner normalen Arbeit nachgehen, wie die behandelnden Ärzte in einer aktuellen Studie in «Nature Communications» schreiben.
Im Kampf gegen multiresistente Erreger setzen immer mehr Ärztinnen auf die bakterienfressenden Viren. Derzeit ist das aber nur in Fällen möglich, wo sonst alle anderen Therapien versagt haben. Denn Phagentherapie ist rein rechtlich in keinem westlichen Land zugelassen - trotz einigen publizierten Fällen von sensationeller Heilung von vermeintlich todgeweihten Patienten.
Nun sieht es ganz danach aus, als könnten Phagen zumindest in der Diagnostik offiziell Einzug ins Spital halten. Denn ein Team um Matthew Dunne und Samuel Kirchner hat eine Methode entwickelt, mit der Phagen dazu gebraucht werden, Diagnosen von Harnwegsinfekten schneller zu ermöglichen. Die Zürcher Methode funktioniert mit Urin, die Patienten kommen dabei nicht selbst mit den Phagen in Kontakt.
Beim neuen Diagnoseverfahren werden genetisch veränderte Phagen in den Urin des Patienten gegeben. Ein Phage befällt nur eine einzige Art von Bakterium und sendet dank der genetischen Veränderung dann ein Lichtsignal aus. Wenn die Forscher nun diese Lichtsignale messen, wissen sie, welches Bakterium den Patienten krank macht, und können so in weniger als fünf Stunden die richtige Therapie einleiten. Bisher mussten die Bazillen aus dem Urin aufwendig im Labor gezüchtet werden, was zwischen 18 und 30 Stunden dauerte.
Professor Martin Loessner von der ETH Zürich, der schon lange an Phagen forscht und an der Studie beteiligt war, erklärt:
Denn die Spitäler seien bei der Auswahl ihrer Diagnosemittel frei. Doch laut Loessner ist die Diagnostik mit Phagen vor allem dann sinnvoll, wenn danach auch mit Phagen behandelt wird. Schliesslich lässt sich anhand des Lichtsignals genau ablesen, welcher Phage im vorliegenden Patienten den grössten Behandlungserfolg erzielt.
Die Zürcher Forscher haben neben dem Diagnoseverfahren letzte Woche auch gleich eine weitere Studie veröffentlicht, die einen Meilenstein darstellt. Mithilfe der Genschere Crispr haben sie die Phagen gentechnisch so optimiert, dass sie für die Bakterien noch tödlicher geworden sind. Das ist wichtig, weil die Phagen in früheren Versuchen manchmal nicht alle Bakterien abgetötet haben. Loessner erklärt: «In der Natur gibt es ein Gleichgewicht, die Phagen sind zur Replikation auf Bakterien als Wirte angewiesen, deshalb löschen sie normalerweise nicht die ganze Population aus.» Dieses Problem habe man mit den neuen verbesserten Phagen endlich lösen können.
Laut Matthew Dunne, dem Letztautor der Studie, ist bereits eine Phase-I/II-Studie mit dem Zürcher Spital Balgrist geplant, welche in den kommenden Jahren starten soll. «Damit eine Zulassung gelingt, braucht es nun klinische Tests und gute Daten, welche auch die Gesundheitsbehörden überzeugen», so der Forscher.
Bis Phagen als Medikamente zugelassen werden, dürfte es noch eine Weile dauern - obwohl sich die meisten Experten einig sind, dass ein medizinischer Einsatz sinnvoll wäre. Grund dafür ist ein veraltetes Gesetz, das eine Zulassung bis heute sehr schwierig macht. Ein 338 Seiten umfassender Bericht des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag kam eben zur Konklusion, dass «eine Weiterentwicklung der rechtlichen Rahmenbedingungen erforderlich sei», weil es unter den aktuellen Umständen unwahrscheinlich sei, dass sich die Phagentherapie in grösserem Umfang etabliert.
«Es braucht eine Änderung der Zulassungsbedingungen», kommentiert Professor Martin Loessner. Die heutigen Gesetze seien nicht für die Zulassung von biologischen Anwendungen gemacht, sondern nur für chemische. Der Professor hofft, dass in naher Zukunft eines der europäischen Länder vorangeht und Phagen zur Therapie zulässt. Er ist sich sicher, dass dann schnell alle anderen Länder folgen würden.
Auch Matthew Dunne, einer der Autoren der beiden Zürcher Studien, ist überzeugt, dass dies bald Realität wird. «Man hat es bei Covid und der mRNA-Technologie sehr klar gesehen: Manche Technologien sind schon bereit, um eingesetzt zu werden. Die Öffentlichkeit realisiert das aber erst in der Krise, wenn es schon fast zu spät ist.» Das Gleiche könnte mit der Phagen-Technologie passieren, wenn Antibiotikaresistenzen sich so schnell verbreiten, wie das einige Forscher vorhersagen. (aargauerzeitung.ch)
Das könnte doch ausnahmsweise mal die Schweiz sein. Schickt den Verantwortlichen doch mal einen Brief oder einen Fax mit dieser Frage.