Unbeschwertheit war aus ihrem Leben entwichen. Stattdessen Leere, Niedergeschlagenheit, nicht enden wollende Dunkelheit. Das änderte sich, als Johanna (Name geändert) sich auf einen Trip begab: «Es war überwältigend, ich musste heulen und hatte gleichzeitig so viel Liebe im Herzen», erzählt sie. Noch Tage später seien die wunderschönen Gefühle mitgeschwungen.
Gut ein halbes Jahr ist es her, dass die Mittvierzigerin sich selbst erstmals mit Psilocybin therapierte, dem bewusstseinserweiternden und rauscherzeugende Wirkstoff, der in sogenannten Zauberpilzen steckt. Über einen holländischen Onlineshop hatte sie sich ein Säckchen des psychoaktiven Pilzes namens «Mexikanischer Kahlkopf» besorgt. Gemäss Betäubungsmittelgesetz ist das zwar verboten, aber Johanna nahm die Illegalität in Kauf. Seit mehreren Jahren litt sie an einer mittelschweren Depression, wovon sie sich auch nach einem Klinikaufenthalt nicht erholte. Von Antidepressiva spürte sie vor allem die Nebenwirkungen – Schlaflosigkeit, Übelkeit, Störungen der Sexualfunktion. Der eigene Körper habe sich fremd angefühlt, erzählt sie.
«Antidepressiva können wie eine Keule wirken», sagt der Psychiater, Psychotherapeut und Neurowissenschafter Gregor Hasler. Der an der Universität Freiburg lehrende Professor erklärt: «Sie fördern in vielen Fällen die emotionale Abstumpfung.» Genau umgekehrt verhalte es sich mit halluzinogenen Substanzen: Sie erweitern das Bewusstsein, machen das Gehirn empfindlicher für Gefühle und wecken das Interesse für die Umgebung und andere Menschen. Hasler sagt:
Er gehört zu den wenigen Fachleuten in der Schweiz, die ausgewählte Psychedelika in der Psychotherapie mit einer entsprechenden Bewilligung des Bundesamts für Gesundheit (BAG) einsetzen dürfen. Soeben hat er zu diesem Thema ein populärwissenschaftliches Buch mit dem Titel «Higher Self» veröffentlicht.
Psychedelika umfassen verschiedene Substanzen, neben Psilocybin unter anderem auch LSD, eines der stärksten bekannten Halluzinogene, MDMA, im Volksmund Ecstasy genannt, und Ayahuasca, einen halluzinogenen Trank, der ursprünglich von südamerikanischen Ureinwohnern des Amazonasbeckens zur Bewusstseinserweiterung eingesetzt wurde (siehe Kasten).
Am häufigsten kommen psychedelische Behandlungen zum Einsatz, um therapieresistente Depressionen zu bekämpfen, gefolgt von posttraumatischen Belastungsstörungen und Angststörungen. Hoffnung ruht auch auf der Behandlung von Leiden wie Autismus, Essstörungen, Zwangsstörungen und Suchterkrankungen.
Das Spektrum der Patienten, die Gregor Hasler betreut, ist breit, von 25- bis 75-Jährigen, Männer wie Frauen. Nicht geeignet sei die Therapie für Kinder und Menschen mit einer psychotischen oder manischen Störung.
Die von ihm empfangenen Patienten erleben den Rausch unter seiner Aufsicht, nicht in einem kalten Klinikzimmer, sondern in einem wohnlichen Raum mit Teppichen. Manchmal spielt Musik im Hintergrund während der bis zu acht Stunden dauernden Sitzung, anschliessend wird das Erlebte in therapeutischen Gesprächen aufgearbeitet. Das ist zeitintensiv. «Psychedelika sind keine magischen Pillen», sagt Hasler denn auch.
Der enge Austausch zwischen dem Therapeuten und dem Patienten ist essenziell, da sind sich Experten einig. Von Selbstexperimenten raten sie ab. Denn die Einbettung in ein kontrolliertes Setting gewährleistet, dass die Substanz rein ist und in der richtigen Dosis verabreicht wird. Ausserdem sei die Betreuung des Patienten wichtig, falls die Psychedelika unangenehme Gefühle wie Angst, Panik oder Paranoia hervorrufen.
Bisherige Studien zeigen, dass Therapien unter ärztlicher Aufsicht relativ sicher sind, psychotische Episoden oder Überdosierungen sind demnach selten. Widerlegt werden konnte auch, dass die Substanzen abhängig machen.
Zudem schützen Psychedelika vor einer sonst in der Psychotherapie gefürchteten Nebenwirkung: der Retraumatisierung. Retraumatisierung bedeutet, wenn ein Patient im Rahmen einer Gesprächstherapie ein Trauma erneut durchlebt und sich sein Zustand dadurch verschlechtert statt verbessert. Solche Fälle sind in der Forschung reichlich dokumentiert, etwa infolge unmittelbarer psychotherapeutischer Betreuung nach Naturkatastrophen oder Unfällen.
Den psychedelischen Schutz gegen Retraumatisierungen vergleicht Hasler mit einem Helioskop, einem Instrument zur Beobachtung der Sonne. Das Helioskop macht Farben und Konturen der Sonne sichtbar, die dem blossen Auge verborgen bleiben. Gleichzeitig schützt das Instrument vor der schädlichen direkten Sonnenstrahlung.
Er erzählt von einer Patientin, die als zwangsverheiratetes Kind von ihrem damaligen Mann brutal vergewaltigt wurde. In der Therapie wollte sie zunächst nicht mit Hasler über ihre Vergangenheit sprechen, es würde sie «wie eine Sonne verbrennen», sagte sie. Doch die Gabe von MDMA und der einsetzende Helioskop-Effekt hätten es ihr schliesslich erlaubt, die traumatische Geschichte in den nachfolgenden Sitzungen aufzuarbeiten, sagt Hasler.
Trotz der ermutigenden Erfahrungen: Psychedelische Stoffe werden in der Öffentlichkeit nach wie vor stigmatisiert. Das war nicht immer so. In den 1950er- und der ersten Hälfte der 1960er-Jahre wurden Psychedelika als paradigmenverändernde Substanzen in der Psychotherapie angepriesen. Vielversprechende wissenschaftliche Studien schürten Hoffnung, die Medienberichterstattung war überaus positiv.
Doch dann wendete sich das Blatt, als Psychedelika in den Mainstream gelangten und in der Hippie-Bewegung populär wurden. Nun war in den Medien zu lesen von Menschen, die durchdrehten, homosexuell wurden, erblindeten, weil sie zu lange in die Sonne starrten, oder sogar starben, weil sie glaubten, sie könnten fliegen. Zweifelhafte Studien berichteten darüber, dass LSD neurotoxisch wirke und die DNA schädige. Manche Wissenschafter kritisierten die «moralische Panik», die sich ausbreitete, und woraufhin sämtliche psychedelischen Substanzen verboten wurden.
Infolgedessen kam die seriöse Forschung praktisch zum Erliegen. Dass berauschende Substanzen von medizinischem Nutzen sein können, zeigt sich schon länger bei Cannabis. Dessen Verbot zu medizinischen Zwecken wurde in der Schweiz denn auch im August 2022 aufgehoben, zudem darf es seit 2021 im Rahmen von Pilotversuchen zu «Genusszwecken» abgegeben werden. Für Psychedelika sei dies derzeit nicht vorgesehen, hält das BAG auf Anfrage fest.
Doch auch bei Psychedelika findet seit Mitte der 2000er-Jahre ein Umdenken statt, immer mehr Forscher beschäftigen sich mit diesen Substanzen. So zeichnen zahlreiche Studien zu LSD und Co. aus den letzten Jahren ein immer schärferes Bild zu deren Wirksamkeit. Demnach erzielen psychedelische Stoffe durchaus einen überzeugenden Effekt bei schweren psychischen Problemen. Aber er ist schwächer, als kleinere Studien zunächst vermuten liessen. Zudem sprechen nicht alle Patienten gleichermassen gut auf die Substanzen an.
Ein Grund für die mitunter ernüchternden Ergebnisse ist, dass man den Wirkmechanismus von Psychedelika im Gehirn noch nicht nachvollziehen kann. Das sagt Katrin Preller, Neuropsychologin an der Universität und am Universitätsspital Zürich. Gesichert ist zwar, dass Psychedelika die sogenannte Neuroplastizität verbessern. So nennt man die Fähigkeit des Gehirns, sich neu zu vernetzen, indem Nervenzellen und Synapsen wachsen und neue Verbindungen eingehen. Preller sagt:
Aus Laborstudien und Tierversuchen weiss man, dass Psilocybin und LSD einen bestimmten Serotoninrezeptor aktivieren, den 5-HT2A-Rezeptor. Infolgedessen gibt es eine Signalwirkung, durch die neue Fortsätze und Verzweigungen bei Nervenzellen gebildet werden. «Wenn wir diese zugrunde liegenden Mechanismen im Detail verstehen, können wir die Behandlung verbessern», ist die Neuropsychologin überzeugt. Denn wenn man wisse, was in der Phase der Gehirnreorganisation geschehe, könne man die Begleittherapien darauf abstimmen, was man in der kritischen Phase meiden sollte, worauf der Fokus gelegt werden müsse in der Gesprächstherapie sowie wann und ob die parallele Gabe anderer Psychopharmaka gewinnbringend sei. Auch könne ein besseres mechanistisches Verständnis dazu beitragen, bessere psychedelische Substanzen synthetisch zu entwickeln.
Zunehmend populär ist Microdosing. Dabei nehmen Menschen regelmässig kleine Mengen einer psychedelischen Substanz ein – in der Hoffnung, ihre Kreativität zu steigern und ihre persönliche Entwicklung zu verbessern. Nur: Bislang deuten keine Studien darauf hin, dass Microdosing eine klinisch bedeutsame Wirkung entfaltet. «Generell ist es so, dass die Wirkung umso besser ist, je mehr man den Rausch spürt», sagt der Psychiater Gregor Hasler. Skeptisch stehen viele Fachleute daher auch der Idee einiger Wissenschafter gegenüber, die neue Medikamente entwickeln wollen, die die psychedelische Erfahrung aufheben, aber dennoch therapeutische Vorteile bieten sollen.
Unsicher ist derzeit auch, ob die Einnahme einer niedrigen Dosierung über längere Zeit unerwünschte Nebeneffekte hat. «Zu diesem Thema braucht es unbedingt mehr Studien», sagt die Neuropsychologin Preller. Unter anderem in Basel läuft derzeit eine Untersuchung zur Wirksamkeit von Microdosing bei Patienten mit Aufmerksamkeitsstörung. Die Ergebnisse werden diesen Herbst erwartet.
Weltweit hat bislang noch keine Arzneimittelbehörde ein Psychedelikum als Medikament zugelassen. Der Freiburger Professor Gregor Hasler geht davon aus, dass MDMA für die Behandlung posttraumatischer Belastungsstörungen die besten Chancen hat, gefolgt von Psilocybin bei Depressionen. Dies dürfte ihm zufolge in den nächsten fünf bis zehn Jahren geschehen. «Die Schweiz wird vermutlich nicht vorangehen», sagt er. Doch es sei wichtig, dass sie mitziehen werde, wenn etwa die US-Arzneimittelbehörde FDA die Medikamente als wirksam und sicher einstufe und die Zulassung erteile. Denn: «Die Ausnahmeregelung in der Schweiz kann man rechtlich nicht beliebig ausdehnen. Die Praxis ist nicht darauf ausgelegt, viele Menschen zu behandeln.»
Bei Johanna ist es inzwischen einen Monat her, seit sie das zweite und bislang letzte Mal Psilocybin eingenommen hat. Antidepressiva nimmt sie keine mehr. «Die Angst vor einem Rückfall ist da», sagt sie. Dass sie dann aber wieder auf Psychotherapeutika zurückgreift, kommt für sie kaum in Frage: «Ich fühle mich wohl in der Welt der Pilze.»