Die Corona-Winterdepression weicht mit den steigenden Temperaturen den Frühlingsgefühlen. Nun wird der Ruf nach Lockerungen lauter – trotz steigender Corona-Zahlen. Gleichzeitig wird eine «sofortige Notbremse» gefordert. Die Übersicht:
Infektiologe Manuel Battegay, bis vor kurzem Vizepräsident der wissenschaftlichen Taskforce, denkt laut über weitere Öffnungsschritte nach. Er hält Lockerungen für möglich, wenn sich die Bevölkerung wieder diszipliniert verhält:
«Kulturelle Anlässe können aus meiner Sicht zugelassen werden, natürlich mit adaptierten Zuschauerzahlen und Schutzkonzepten», sagte er am Montag im «Blick». Auch Restaurantterrassen solle man bald öffnen – mit schon vorgesehenen Kapazitätsbeschränkungen und vorgängiger Reservierung, damit kein Gedränge entstehe.
Aber einfach lockern, wie das viele forderten, sei auch nicht möglich. Streng kontrolliert und mit Begleitmassnahmen lägen schrittweise Öffnungen jedoch durchaus drin. Dies, wenn die Impfgeschwindigkeit sehr hoch sei.
Wichtig sei aber: Die Bevölkerung müsse sich wieder so stark an die Hygieneregeln halten wie während der 1. Welle vor einem Jahr. «Auch wenn alle – inklusive mir – es fast nicht mehr hören können: Abstand, Hygiene und Maske bleiben, sehr diszipliniert angewendet, das Wichtigste», sagt der Chefarzt des Unispitals Basel weiter zum Blick.
Nichts von Lockerungen wissen will die Virologin Isabella Eckerle, die als Verfechterin einer «Zero-Covid-Strategie» gilt. Sie fordert angesichts der steigenden Fallzahlen eine «sofortige Notbremse». «Die dritte Welle kommt mit Vollgas angerauscht. Wer jetzt lockern, diskutieren oder erst abwägen möchte, hat nach 1 Jahr Pandemie nichts verstanden», schreibt die Professorin der Universität Genf auf Twitter.
#SARSCoV2 #COVID19 #DritteWelle kommt mit Vollgas angerauscht. Wer jetzt lockern, diskutieren oder erst abwägen möchte, hat nach 1 Jahr #Pandemie nichts! verstanden. Man hätte die letzten Monate zur Umsetzung von #NoCovid nutzen können - jetzt braucht es sofort eine #Notbremse.
— Isabella Eckerle (@EckerleIsabella) March 28, 2021
Sie rate allen Politikern, sich sofort von der Vorstellung zu verabschieden, dass man sich auf den letzten Metern der Pandemie befinde und sich durchwursteln könne. Es brauche nun einen nachhaltigen, langfristigen Plan für die Gesundheit und Wirtschaft. «Der Frust bei allen steigt und niemand profitiert von den Mini-Öffnungen zwischen den Jo-Jo-Lockdowns.»
Die zunehmende Impfung von Risikogruppen, Schnelltests und saisonale Effekte seien alles Bausteinchen, die ein bisschen helfen werden. Aber keine davon seien aktuell ein Gamechanger. «Ohne strenge Massnahmen wird Kontrolle nicht gelingen», betont Eckerle.
Auf Anfrage von watson stützt Epidemiologe Marcel Tanner den von Battegay vorgeschlagenen Weg. Es sei wichtig, dass man sich Überlegungen über Lockerungen mache, so der Präsident der Akademien der Wissenschaften Schweiz. Jetzt seien Kreativität und eine Gesamtsicht gefragt.
Auch Lukas Engelberger fordert trotz steigender Fallzahlen erste Lockerungen im April. Der Präsident der kantonalen Gesundheitsdirektoren plädiert dafür, dass grössere Veranstaltungen wieder ermöglicht werden, wenn diese negativ getesteten oder geimpften Personen vorbehalten sind, sagte Engelberger im Interview mit der Sonntagszeitung. Seine Forderungen lassen aufhorchen. Denn er galt eigentlich als Mahner im Umgang mit der Pandemie und hat den Corona-Kurs des Bundesrats stets mitgetragen.
Battegay stösst im «Blick»-Interview weiter eine grosse Informationskampagne an. Denn gefährdete Personen machten fast ein Drittel der Bevölkerung aus. Diese müssten sich ihres Risikos stärker bewusst werden. «Einem übergewichtigen Mann, der älter als 50 ist, an Bluthochdruck und Diabetes leidet, würde ich davon abraten, ein Bier auf einer Restaurantterrasse vor einer vollständigen Impfung zu nehmen. Aber ist ein Verbot längerfristig tragbar? Nein.»
Ob und wann es in der Schweiz weitere Lockerungen gibt, entscheidet der Bundesrat voraussichtlich in der Sitzung vom 14. April.
(amü)
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